DOMRADIO.DE: Viele zieht es in den Ferien die Alpen. Wie unterscheidet sich denn die spirituelle Erfahrung in den Bergen von der in einer Stadt?
Gabriel Steiner (Kaplan in der Neuen Pfarrkirche Götzis im österreichischen Vorarlberg): Ich würde immer grundsätzlich meinen, dass Gott einem in der Stadt wie auch in den Bergen begegnen kann. Beim Grünen und im Besonderen beim Gebirge ist es aber doch so, dass es sich abhebt vom Alltagsgeschehen.
Ich gehe mal davon aus, dass wir alle irgendwo im urbanen Gebiet leben oder in dörflichen Strukturen gemeinsam mit anderen Menschen.
Im Grünen und in den Bergen, wo weniger Menschen unterwegs sind, hebt sich das Erleben ab und wir werden empfänglicher, achtsamer gegenüber diesem Gott, der in seiner ganzen Schöpfung gegenwärtig ist und eben da, wo wir besonders achtsam sind, auch für uns empfänglich ist.
DOMRADIO.DE: Welche besonderen Herausforderungen stellen sich Ihnen denn als Kaplan im Hinblick auf die Betreuung der Gläubigen in solchen abgelegenen Gebieten, ist das anders als in der Stadt?
Steiner: Wir in Vorarlberg haben ja eine sehr rege Kultur, was das Almenwesen angeht. Das sind Menschen, die drei, vier Monate auf diesen Almen weilen.
Sie arbeiten dort mit dem Vieh, leben dort und kommen vielleicht einmal in der Woche da herunter, um Einkäufe oder Botengänge zu erledigen.
Und es ist eine sehr arbeitsintensive Zeit auf diesen Almen.
Die Leute dort oben, das Alpvolk, die sehnen sich irgendwie auch schon danach, dass jemand sie in ihrem Arbeitsalltag besuchen kommt und sie durchatmen können.
Damit sie etwas Distanz zur Arbeit gewinnen, oder aber auch ihre Arbeit unter einen besonderen Segen stellen können, der ihr eine neue Wertigkeit verleiht.
Es gibt Alpbenediktionen, Alpsegen, die Seelsorge mit Bergmessen, mit Leuten, die eben Bergsport betreiben und sich beispielsweise für eine heilige Messe am Gipfelkreuz zusammenfinden.
Die kommen eigentlich aus dem Alltag heraus und den Berg hinauf und dann muss man halt schauen, dass man die Situation je nachdem richtig erfasst und die richtigen Akzente setzt.
DOMRADIO.DE: Sie haben jetzt gerade schon die Gipfelkreuze erwähnt. Es gibt in Italien momentan eine Diskussion genau darüber. Der Auslöser sind angebliche Forderungen eines Alpenverbands, bestehende Kreuze aus Respekt vor anderen Kulturen zu entfernen.
Natürlich gibt es da auch schon Gegenstimmen. Infrastrukturminister Matteo Salvini sagte, Gipfel Kreuze zu verbieten sei Blödsinn, ohne Herz und ohne Verstand. Die Bergsteiger-Legende Reinhold Mesner sprach von einem unpassenden und nutzlosen Vorstoß. Wie stehen Sie dazu?
Steiner: Es mag in einer Gesellschaft, in der sich die wenigsten noch zum Christentum bekennen, Sinn machen, dass man diese Debatte vom Zaun reißt.
In unseren Breiten, da zählt Italien auch dazu, Norditalien, die Gegend um Turin, wo es überall wunderbare Berge gibt, scheint mir die Relevanz nicht gegeben, weil sich dort eben auch ein Großteil zum Christentum bekennt und schätzungsweise auch nicht daran stößt.
DOMRADIO.DE: In Deutschland wird zeitgleich viel über Kirchenaustritte und auch Kirchenschließungen gesprochen.
Jetzt gibt es ja die eine oder andere Kapelle in den Bergen. Droht das eventuell den Bergkapellen auch irgendwann, dass Besucher vor verschlossenen Türen stehen?
Steiner: Bei uns sind diese Kapellen auf den Bergen nicht automatisch Eigentum der Pfarreien, sondern werden durch Private getragen. In der Hinsicht obliegt es den Privaten, ob sie die weiterhin erhalten oder nicht.
Es ist jedoch sehr häufig der Fall, dass die Eigentümerfamilien Verbundenheit fühlen mit diesen Gebäuden, mit diesen Kapellen, die ihre Ahnen errichtet haben und die sie weiterhin sorgen und pflegen.
Diesbezüglich sehe ich das sehr gelassen, dass diese Kapellen im Gebirge weiterhin gepflegt werden.
DOMRADIO.DE: Wir müssen auch einmal über den Klimawandel reden, der nagt an den Bergen. Es gibt immer wieder Gerölllawinen, das wissen wir. Zahlreiche Gefahren drohen in den Bergen.
Gottes Schöpfung bröckelt im wahrsten Sinne des Wortes dahin. Wie wirkt sich das auf Ihre Arbeit aus und wie wirkt sich das auch auf die Substanz der Kapellen aus?
Steiner: Sie sprechen an, dass der Permafrost zurückgeht und schmilzt. Dann reden wir aber über einen Bereich oberhalb der 2900 Meter und dort stehen im seltensten Fall wirklich Kapellen, wenn dann vielleicht Kreuze oder Gedenkstätten, und die sind jetzt nicht in Gefahr.
Das wäre jetzt Panikmache, wenn man sagen würde, die Kapellen in den Bergen sind bedroht. Was anderes ist es natürlich, wenn sie an Bächen stehen und gegebenenfalls von Schlagwetter (Explosionen von Methan-Luft-Gemische in Gruben, Anm. d. Red.) betroffen sind.
Die werden im Zuge des Klimawandels immer häufiger und auch extremer. Da besteht natürlich eine gewisse Gefahr, wenn sie nicht dort gebaut wurden, wo sie vor Murenabgängen (strömende Erdrutsche aus Schlamm und Gestein, Anm. d. Red.) geschützt sind. Aber auch da läge es mir fern, zu dramatisieren.
Das Interview führte Oliver Kelch.