Auch Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) sagte, sie halte eine Gesetzesänderung für notwendig. Dabei gehe es nicht darum, den Grundkonsens beim Paragrafen 218 StGB infrage zu stellen. Als Spätabtreibung gelten Abbrüche ab der 23. Schwangerschaftswoche. In den vergangenen Jahren lag deren Zahl nach offiziellen Angaben bei jeweils gut 200.
Nahles und Schmidt äußerten sich bei einem Fachgespräch, zu dem die Initiatorinnen eines rot-grünen Gruppenantrags zum Thema eingeladen hatten. Dem Parlament liegen drei Gesetzentwürfe vor, von denen zwei
- ein unions- und ein rot-grün-dominiertes Konzept - begrenzte gesetzliche Veränderungen vorsehen. Dagegen lehnt eine große Gruppe in der SPD-Fraktion jede weitere gesetzliche Vorgabe ab. Bisher hat keiner der Vorschläge eine Mehrheit. Am 16. März steht zu dem Thema eine Bundestagsanhörung an, für Ende April ist die Schlussabstimmung im Parlament vorgesehen.
Nahles und Schmidt unterstützen den von Kerstin Griese (SPD) und Katrin Göring-Eckardt (Grüne) eingebrachten Entwurf. Er zielt auf mehr psychosoziale Beratung nach auffallender vorgeburtlicher Diagnostik und beinhaltet eine verbindliche dreitägige Bedenkzeit zwischen Diagnose und schriftlicher Indikation. Abgelehnt wird das Vorhaben der Union, Ärzte unter Strafandrohung dazu zu verpflichten, Frauen auf Beratungsangebote hinzuweisen. Griese und Göring-Eckardt lehnen auch eine statistische Erfassung von Spätabtreibungen ab.
Schmidt sagte, die Politik müsse zumindest sicherstellen, dass jede betroffene Frau oder jedes Paar sich umfassend informieren könne, beispielsweise auch über das Leben mit einem behinderten Kind. Die jetzige Debatte sei nicht einfach für Frauen, die über viele Jahre für das Recht auf Selbstbestimmung gekämpft hätten. Die Auseinandersetzung sei aber notwendig.
Göring-Eckardt verwies darauf, dass heute 95 Prozent der Kinder mit Down-Syndrom abgetrieben würden. Das sei ein "katastrophaler Befund". Ärzte sollten "gezwungen" sein, Frauen mehr Beratung angedeihen zu lassen.
Mehrere Expertinnen bekräftigten, die Situation vor einer Spätabtreibung habe eine ganz andere Dimension als vor einer Abtreibung in den ersten zwölf Wochen. Deshalb sei eine umfassende qualifizierte Beratung wichtig.
Am Mittwochabend hatten sich bereits die evangelische Bischöfin Margot Käßmann und der Verein Donum Vitae (Geschenk des Lebens) für eine gesetzliche Änderung bei Spätabtreibungen ausgesprochen.
Käßmann wandte sich gegen den Vorwurf, es gehe bei diesem Anliegen um eine Abschaffung des Paragrafen 218 StGB oder eine Gängelung von Frauen. "Es ist wichtig, dass Frauen in einer Schocksituation zu einer Entscheidung finden können, mit der sie nachher leben können", mahnte die Bischöfin.
Die Donum-Vitae-Vorsitzende Rita Waschbüsch sagte, die Politik solle durch bessere Beratung von Frauen "ein Stück Humanität" verwirklichen. "Um mehr geht es bei dieser Frage überhaupt nicht", bekräftigte sie. Mitte Februar hatten zwölf familienpolitische Verbände gegen eine gesetzliche Neuregelung votiert. Donum Vitae wurde 1999 von katholischen Laien gegründet, nachdem die Kirche auf päpstliche Weisung hin aus dem staatlichen System der Schwangerenkonfliktberatung mit Ausgabe des Beratungsscheins ausgestiegen war.
Nahles sieht Chancen auf Einigung bei Spätabtreibungen
Die Schnittmengen werden größer
Im Ringen um eine Eingrenzung von Spätabtreibungen gibt es erste Signale eines Kompromisses. "Die Schnittmengen werden größer, nicht kleiner", sagte die stellvertretende SPD-Vorsitzende Andrea Nahles am Donnerstagabend in Berlin. Es könne in den nächsten Wochen gelingen, zu einem gemeinsamen Vorschlag für eine Gesetzesänderung zu kommen.
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