Bundestags-Anhörung zu Spätabtreibung - Ärzte mahnen

"Chance nicht vertun"

Der Bundestag befasst sich am Montag in einer Expertenanhörung mit dem Thema Spätabtreibung. Im Vorfeld forderten die Bundesärztekammer und die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe erneut gesetzliche Änderungen und ein "schlüssiges Beratungskonzept zum Schutz kranken und behinderten Lebens". Das Parlament dürfe die Chance auf eine einvernehmliche Lösung nicht vertun. Die Bundesvereinigung Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung beklagt einen "unsäglichen Abtreibungsautomatismus".

Ultraschalluntersuchung: "Abtreibungsautomatismus" bei Diagnose einer Behinderung? (epd)
Ultraschalluntersuchung: "Abtreibungsautomatismus" bei Diagnose einer Behinderung? / ( epd )

Als Spätabtreibung gelten Abbrüche ab der 23. Schwangerschaftswoche. Im vorigen Jahr betrug deren Zahl laut offiziellen Angaben 231. In aller Regel stehen sie im Zusammenhang mit einer schweren Behinderung oder mangelnder Lebensfähigkeit des Kindes.

Bei der Anhörung unter dem Titel «Konfliktsituationen während der Schwangerschaft» geht es um drei Gesetzentwürfe und zwei Anträge, die dem Parlament vorliegen. Im Kern unterscheiden sich die Entwürfe in der Grundsatzfrage, ob es zu begrenzten gesetzlichen Änderungen kommen soll oder ob neue Vorgaben zur Beratung auf einer untergesetzlichen Ebene ausreichen. Die beiden Anträge haben vor allem mehr Hilfen zum Ziel.

Die Vorlagen wurden im Dezember vom Plenum in Erster Lesung behandelt. Dabei äußerte sich eine knappe Mehrheit der Rednerinnen und Redner für eine Gesetzesänderung. Ende April soll der Bundestag abschließend entscheiden. Wie bei solchen Themen üblich, sind die Abgeordneten nicht auf eine Fraktionslinie festgelegt und entscheiden nach ihrem Gewissen.

Die Ärzteverbände betonten, die Bundestagsabgeordneten hätten die Regelungsdefizite fraktionsübergreifend erkannt. Deshalb müsse es zu Änderungen am Schwangerschaftskonfliktgesetz kommen, so BÄK-Präsident Jörg-Dietrich Hoppe. DGGG-Präsident Rolf Kreienberg sagte, die Politik solle die medizinische Beratung ausbauen und zusätzlich psychosoziale Beratung anbieten. «Der Beratungsbedarf steigt mit zunehmender Schwangerschaftsdauer, gerade bei komplizierten Schwangerschaften», so Kreienberg. Ähnlich hatte sich bei mehreren fraktionsinternen Anhörungen in den vergangenen Wochen eine Reihe weiterer Experten geäußert.

BÄK und DGGG plädieren für eine verpflichtende ärztliche Beratung vor und nach der Durchführung vorgeburtlicher Diagnostik. Dabei müsse es eine enge Verbindung von ärztlicher und ergänzender psychosozialer Beratung geben. Zugleich halten sie die von der Mehrheit der Konzepte vorgesehene dreitägige Bedenkzeit bis zur Durchführung des Abbruchs für notwendig und verteidigen die umstrittene Forderung nach einer detaillierteren statistischen Erhebung solcher Abtreibungen.

Gegen eine gesetzliche Neuregelung bei Spätabtreibungen hatten sich im Februar zwölf familienpolitische Verbände und Gewerkschaften ausgesprochen. Demgegenüber kommen Forderungen aus den Kirchen, von Behindertenvereinigungen und weiteren Fachverbänden, die jetzige Rechtslage zu ändern.

Lebenshilfe beklagt «unsäglichen Abtreibungsautomatismus»
Vor der Bundestagsanhörung hat die Bundesvereinigung Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung einen «unsäglichen Abtreibungsautomatismus» beklagt. Die Lebenshilfe sprach am Wochenende in Marburg von einer «gezielten Suche nach Kindern mit Down-Syndrom und anderen Behinderungen während der Schwangerschaft». Bei entsprechenden Befunden folge dann ein Abbruch.

Die Lebenshilfe verwies darauf, mehrere hunderttausend Familien zeigten, «dass ein glückendes Leben mit Behinderung möglich ist». Notwendig sei es, Eltern, die von den Ärzten eine entsprechende Diagnose erhielten, über die Lebensperspektiven eines behinderten Kindes umfassend zu informieren.