Vatikanische Impulse für eine Post-Covid-Welt

Solidarität ist nicht kostenlos

​Mit der Pandemie wurde es ruhig um den Papst. Gleichwohl versucht er, mit einem Teil der Kurie die Krise zu begleiten: mit Netzwerken, Spenden, politischen Statements. Das trifft sich mit einer geplanten deutschen Aktion.

Autor/in:
Roland Juchem
Urbi et Orbi von Papst Franziskus (dpa)
Urbi et Orbi von Papst Franziskus / ( dpa )

Für Franziskus ist die Covid-Pandemie Ausdruck nicht einer Epoche des Wandels, sondern eines "Wandels der Epochen", auf den der Papst seit Beginn seines Pontifikats mehrfach hinwies. Deswegen versuchen er und einige kuriale Mitstreiter, auch bei diesem Thema große Räder zu drehen: Die Welt werde nach Corona eine andere sein. Und in dieser geht es nicht nur um China, Europa und USA, um Recovery Funds und das Wettrennen zu einem Impfstoff. Weswegen die Zentrale der Weltkirche massiv auf die Pandemie-Folgen für die Armen hinweist.

Vor allem tut dies die eigene Corona-Kommission, die zu gründen der Papst am 20. März Kurienkardinal Peter Turkson aufforderte. Deren behördenübergreifende Arbeitskreise sollen sich - zunächst für ein Jahr - um fünf Aufgabenfelder kümmern: Einer entwirft mit Caritas Internationalis Pläne zur Unterstützung der Ortskirchen. Ein zweiter sucht mithilfe wissenschaftlicher Expertise, ein Bild von der Gesellschaft nach Covid-19 zu zeichnen: Umwelt, Wirtschaft, Arbeit, Gesundheit, Politik, Kommunikation und Sicherheit. Zwei weitere Gruppen sind beauftragt, Ergebnisse, Informationen und Anregungen an Entscheidungsträger in Politik und Kirche weiterzutragen - auch über das weltweite diplomatische Netzwerk der Kirche. Nummer fünf kümmert sich um Fundraising für diese Projekte.

Gegen die "Engstirnigkeit nationaler Eigeninteressen" 

Zwei Mal meldete sich auch die Päpstliche Akademie für das Leben zu Wort. Erstmals Ende März, dann in der vergangener Woche über "menschliche Gemeinschaft im Pandemie-Zeitalter". In dem weithin ethisch-besinnlichen Impuls stecken aber auch politische Aussagen. "Einzig zu akzeptierendes Ziel" bei der Entwicklung eines Impfstoffs sei es, dass "ausnahmslos alle Zugang dazu erhalten". Und damit meint der Vatikan wirklich alle gut 7,8 Milliarden Menschen. Wirtschaftliche Interessen hätten dabei hintanzustehen.

Ohne Namen zu nennen, kritisiert die Akademie die "Engstirnigkeit nationaler Eigeninteressen" und fordert mehr internationale Kooperation. Um dem Nachdruck zu verleihen, ließ sich Akademiepräsident Vicenzo Paglia vom hauseigenen Portal Vatican News interviewen. Die Pandemie lehre zwei Dinge, stellte er klar: Erstens zeige sie, wie sehr die Menschen weltweit miteinander verbunden seien und voneinander abhingen. Zweitens verschärfe die Krise bestehende Ungleichheiten: "Wir befinden uns alle im selben Sturm, aber es sitzen nicht alle im selben Boot", so der Erzbischof.

Damit führt er einen Schlüsselsatz des Papstes aus dessen Ansprache beim außerordentlichen Urbi-et-orbi-Segen weiter. An jenem verregneten Abend des 27. März sprach Franziskus davon, "dass wir alle im selben Boot sitzen, alle schwach und orientierungslos sind". Alle seien "aufgerufen, gemeinsam zu rudern, alle müssen wir uns gegenseitig beistehen". Paglia bekräftigt dies - und geht weiter: Im Sturm der Pandemie seien nicht alle Boote gleich seetüchtig, weswegen viele Menschen eher untergehen.

"Retten wir uns dadurch, dass sich alle mehr und mehr voneinander entfernen oder macht die gemeinsame Verletzlichkeit uns menschlicher?", fragt er und verlangt schnelle Antwort. Weil die des Vatikan in einer anderen Richtung liegen könnte als von vielen Politikern propagiert, nennt die Akademie ihre Überlegungen im Untertitel "unzeitgemäß". Das sei durchaus provozierend gedacht, so Paglia.

So spricht das Dokument der Weltgesundheitsorganisation eine "besondere Rolle" zu. Zwar habe die WHO auch ihre Schwächen, räumt Paglia ein. Sie müsse daraus lernen und besser arbeiten. Aber kein Land könne mit einer solchen Pandemie allein fertig werden - weder medizinisch noch wirtschaftlich. Deswegen brauche es eine "Organisation, die von jedem unterstützt wird, die Operationen in jeder Phase überwacht und koordiniert". Forschung etwa müsse "so reguliert werden, dass sie nicht nur den politischen und wirtschaftlichen Interessen einiger weniger dient".

Paglia: Solidarität ist nicht kostenlos

Aufgabe der Kirchen sei es zu lehren, dass diese Krise nicht nur als eine organisatorische zu begreifen ist, die durch mehr Effizienz überwunden werden kann. Vielmehr blieben "Unsicherheit und Zerbrechlichkeit konstitutive Elemente menschlichen Daseins". Dies einzusehen bedeutet nach Aussage Paglias eine Umkehr. Erst dann werde es möglich sein, "von der faktischen Verflechtung, die wir erlebt haben, zu verantwortlicher Solidarität" zu gelangen.

Solche Solidarität sei eine Pflicht, die nicht kostenlos erfüllt werden könne und nicht "ohne die Bereitschaft der reichen Länder, den Preis zu zahlen", den "das Überleben der Armen und die Nachhaltigkeit des gesamten Planeten verlangen". Solchen Mahnungen schließt die Kirche in Deutschland sich gerne an. Ist doch in genau diesem Sinn ihre Sonderkollekte gemeint, zu der Bistümer, Hilfswerke und Orden für den 6. September aufrufen. Sie soll jenen Pandemie-Opfern weltweit helfen, die keinen Zugang zu einem weitgehend funktionierenden Gesundheits- und Sozialsystem haben.


Kurienerzbischof Vincenzo Paglia / © Paolo Galosi (KNA)
Kurienerzbischof Vincenzo Paglia / © Paolo Galosi ( KNA )
Quelle:
KNA