Kirchen stehen zu Beteiligung am Heimkinder-Entschädigungsfonds

Verantwortung übernehmen

Zur Entschädigung ehemaliger Heimkinder soll ein Fonds gegründet werden – darauf hat sich der Runde Tisch Heimerziehung nach langem Ringen geeinigt. Doch nicht alle sind zufrieden mit der Lösung: Von einer "Farce" spricht der "Verein ehemaliger Heimkinder". Ein "gutes gemeinsames Ergebnis" sieht dagegen Johannes Stücker-Brüning. Warum, erklärt der Vertreter der katholischen Bischöfe im Interview mit domradio.de.

 (DR)

Der Fonds berücksichtige die "unterschiedlichen Betroffenheiten" der ehemaligen Heimkinder. Auf den Einzelfall komme es an. Stücker-Brüning reagierte damit auf die Kritik des Vereins ehemaliger Heimkinder, der von 30.000 Betroffenen und damit einer durchschnittlich zu geringen Entschädigungssumme ausgeht. Diese Zahl, so der Bischofsbeauftragte, sei am Runden Tisch nicht besprochen worden. Grundsätzlich gehe man von weniger Menschen aus, die sich wohl melden werden. Stücker-Brüning betonte, die Kirchen würden zu ihrer Verantwortung stehen und sich an dem Fonds beteiligen. Man gehe davon aus, "dass alle, die damals Verantwortung getragen haben, auch jetzt Verantwortung übernehmen."



Am Montag (13.12.2010) hat der Runde Tisch Heimerziehung sein Modell eines Fonds vorgestellt. Dieser soll 120 Millionen Euro umfassen und zu je einem Drittel von Bund, Ländern und Kirchen finanziert werden. Die Moderatorin des Gremiums, Antje Vollmer, sagte, dies müsse im kommenden Jahr geschehen. 20 Millionen Euro sollen in einen Rentenfonds für Betroffene fließen, denen durch den Heimaufenthalt Rentenansprüche entgangen sind. 100 Millionen Euro sollen als Ausgleichszahlungen für Folgeschäden zur Verfügung stehen, für Therapien und Traumabehandlungen ebenso wie für Mietzuschüsse oder Altershilfen. Pauschale Entschädigungen soll es nicht geben.



Die beiden großen Kirchen in Deutschland begrüßten die Ergebnisse. Der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, zeigte sich erleichtert, "dass nun eine Lösung gefunden wurde, die zentrale Anliegen ehemaliger Heimkinder berücksichtigt: das Bedürfnis nach Aussprache, den Wunsch nach Anerkennung, das Angebot von Beratung und therapeutischer Hilfe sowie finanzielle Hilfen für diejenigen, die sie brauchen". Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Präses Nikolaus Schneider, sprach sich für schnelle und unbürokratische Zahlungen aus. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) sagte, die Vorschläge des Runden Tisches zeigten einen Weg für einen angemessenen Umgang mit dem Leid der ehemaligen Heimkinder.



Opfer bewerten Ergebnisse unterschiedlich

Der geplante Entschädigungsfonds für ehemalige Heimkinder reicht nach Einschätzung von Opfervertretern nicht aus. Im Deutschlandradio Kultur sagte die Vorsitzende des Vereins ehemaliger Heimkinder, Monika Tschapek-Güntner, am Montag, die vereinbarte Höhe von sei eine Farce, wenn man bedenke, dass sich etwa 30.000 Betroffene melden würden. Bei geschätzten 30.000 Anspruchsberechtigten bekomme der Einzelne von der geplanten Stiftung 2.000 bis 3.000 Euro, sagte sie. Es könne nicht sein, dass Menschen, die als Kind Misshandlungen, Folter und sexuellen Missbrauch erlebt hätten, derart abgefertigt würden. Sie kündigte eine Klage an.



Bereits am Freitag wurden die ersten Ergebnisse der Einigung öffentlich. Auch die ehemaligen Heimkinder, die mit am Verhandlungstisch saßen, zeigten sich erleichtert und zufrieden. Sie hätten der Entschädigungs-Lösung schließlich zugestimmt, weil der Fonds nach oben offen sei, sagte Sonja Djurovic. So werde erreicht, dass alle Betroffenen gleich behandelt werden könnten. Djurovic appellierte an den Bund und die Länder, das notwendige Geld bereitzustellen.



Aus dem Fonds sollen ehemalige Heimkinder finanzielle Hilfen erhalten, die bis heute unter den Folgen von Traumatisierungen leiden und bedürftig sind. Ein weiterer Topf ist für Rentennachzahlungen vorgesehen. Viele Heimkinder, die bereits als Jugendliche schwer arbeiten mussten, waren von den Heimträgern nicht bei der Rentenversicherung angemeldet worden, wodurch ihnen bis heute ein Teil ihrer Rentenansprüche vorenthalten wird.



Das Parlament entscheidet über die Umsetzung

Der Runde Tisch Heimerziehung hatte im Februar 2009 seine Arbeit aufgenommen. Er beriet unabhängig vom Runden Tisch zu Fällen sexuellen Missbrauchs, der im Frühjahr dieses Jahres von der Bundesregierung ins Leben gerufen worden war.



Etwa 800.000 Kinder und Jugendliche wuchsen nach Angaben des Runden Tisches in den 1950er und 60er Jahren in kirchlichen und staatlichen Heimen auf. Brutale Erziehungsmethoden, Demütigungen, Prügel und Arbeitszwang waren an der Tagesordnung. In seinem Abschlussbericht erkennt der Runde Tisch das Leid der Heimkinder als Unrecht im Rechtsstaat an. Versagt hätten nicht nur die Erzieher und Heimträger, sondern auch die Heimaufsicht sowie Vormünder und Gerichte, die den Kindern und Jugendlichen keinen rechtlichen Schutz boten.



Im Januar soll der Abschlussbericht dem Bundestag überreicht werden. Das Parlament entscheidet über die Umsetzung der Empfehlungen. Auch die Länderparlamente der elf westdeutschen Bundesländer müssen zustimmen.