Vor 50 Jahren wurde in der DDR die Zwangskollektivierung der Bauern abgeschlossen

LPG oder Adenauer

Am 25. April 1960 verkündete SED-Parteichef Walter Ulbricht Vollzug: Die DDR-Landwirtschaft war vollkollektiviert, der freie Bauernstand ausgelöscht. Auf den Tag genau 50 Jahre danach wird am Sonntag in Kyritz ein Denkmal für die Opfer der Zwangskollektivierung eingeweiht.

Autor/in:
Markus Geiler
 (DR)

Es ist das erste und bisher einzige in Deutschland, das an dieses Unrecht erinnert. Initiator des Gedenksteins, eines zweieinhalb Meter hohen Findlings mit schlichter Bronzeplatte, ist der Deutsche Bauernbund, ein etwa 1.000 Mitglieder zählender ostdeutscher Konkurrent zum allmächtigen Deutschen Bauernverband.

Zur Einweihung des Denkmals haben sich Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) und die frisch gekürte Brandenburger Stasi-Beauftragte Ulrike Poppe angekündigt.

"Vom Ich zum Wir"
"Rotzfreche" waren dabei, aber auch ein paar "Anständige", erinnert sich Gerhard Born an die Agitationstrupps der SED, die im "Sozialistischen Frühling" vor 50 Jahren in die DDR-Dörfer einfielen. Sie kamen auf Lastwagen mit plärrenden Lautsprechern, holten die noch unabhängigen Bauern vom Feld und bearbeiteten sie solange, bis sie ihren Eintritt in die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) unterschrieben. Wer sich weigerte, wurde öffentlich angeprangert, schikaniert oder im schlimmsten Fall eingesperrt.

"Vom Ich zum Wir" war das beschönigende Motto dieser knapp viermonatigen Zwangskollektivierungs-Welle, an deren Folgen die ostdeutsche Landwirtschaft bis heute zu tragen hat. 400.000 bäuerliche Betriebe zwischen Ostsee und Erzgebirge wurden in die Genossenschaften gepresst, rund eine Million Menschen waren betroffen, darunter auch die Familie Born mit ihrem 24-Hektar-Hof im damaligen Bezirk Cottbus.

Zahlreiche Bauern begehen Selbstmord
"Die Zwangskollektivierung hat zahlreiche Bauern in den Selbstmord getrieben, viele andere flüchteten in den Westen", sagt Bauernbund-Geschäftsführer Reinhard Jung. Nach offiziellen Angaben verließen allein in den ersten drei Monaten des Jahres 1960 über 12.600 Landwirte und ihre Familien die DDR in Richtung Bundesrepublik, schreibt der Berliner Historiker Jens Schöne in seinem Buch "Das sozialistische Dorf".

Gerhard Born blieb, aber die damaligen Ereignisse sind ihm noch heute präsent. "Das ging schon vor 1960 mit Schikanen los", erinnert sich der 72-Jährige. "Wir Bauern sollten mürbe gemacht werden." Plötzlich mussten ihre Traktoren ständig zur technischen Untersuchung und wurden "aus Sicherheitsgründen" auch mal kurzerhand stillgelegt.

Anderswo blieb es nicht bei bürokratischen Schikanen. In Beschwerdebriefen an die DDR-Regierung, die Schöne auffand, klagten Landwirte vor allem in den Bezirken Neubrandenburg und Cottbus über die rabiaten Praktiken der Agitationsbrigaden und der Volkspolizei (VP).

Da heißt es beispielsweise, der Bauer Schimmel aus dem mecklenburgischen Penskow soll bis gegen 4 Uhr morgens von der VP festgehalten und erst nach der Unterzeichnung seiner Eintrittserklärung in die LPG entlassen worden sein. Ein Gemeindevertreter aus Groß Schönebeck bei Berlin berichtet, dass die Bauern zum Bürgermeister vorgeladen wurden und "dieser habe ihnen erklärt, wir hätten jetzt die Diktatur des Proletariats". Wer nicht in die LPG eintrete, sei "für Adenauer und Atomkanonen".

Verheerende Folgen
Die Folgen der Vollkollektivierung waren verheerend. Schon Anfang Mai 1960 beliefen sich DDR-weit die Ablieferungsrückstände auf fast 30 Millionen Kilogramm Fleisch, dazu kamen Engpässe bei Obst und Gemüse, beschreibt Schöne die Lage. Zwei Jahre nach Abschaffung der Lebensmittelkarten zog wieder der Mangel in die DDR-Läden ein.

Strukturell und kulturell wirkt die Zwangskollektivierung bis in die Gegenwart. Auch heute wird die ostdeutsche Landwirtschaft von den Agrargenossenschaften mit ihren riesigen Ländereien dominiert, die nach 1990 aus den Genossenschaften hervorgegangen sind. An ihrer Vormacht wurde auch im vereinten Deutschland nicht gerüttelt. So werde wieder "ein Großgrundbesitz etabliert, der alles, was der Adel mal zusammengerafft hat, in den Schatten stellt", kritisiert der langjährige Grünen-Europaabgeordnete und Landwirt Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf.

Entsprechend schwer tut sich die Politik. Drei Kommunen hatte der Bauernbund für einen Standort des Gedenksteins angefragt. In zwei Gemeinden, Jessen und Schönhausen in Sachsen-Anhalt, lehnten die Stadtverordneten eine Erinnerungsstätte ab, berichtet Bauernbund-Geschäftsführer Jung.

Nur in Kyritz fand sich eine Mehrheit - gegen die Stimmen der Linken und bei Enthaltung der SPD. Sie störe sich an der ideologischen Debatte, sagt die agrarpolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, Kirsten Tackmann, in deren Wahlkreis die Kleinstadt liegt. Zwangskollektivierung sei ein Begriff des "Kalten Krieges". Zwar sei damals "Unrecht geschehen" und vielerorts wurde "die Freiwilligkeit verletzt". Wogegen sie sich aber wehre, sei eine "generelle Kritik am Genossenschaftsmodell in der Landwirtschaft". Das dürfe man nicht nur "pauschal schwarz-weiß" sehen.