Vor 20 Jahren suchten DDR-Politiker nach Wegen aus Krise

Schule für Demokratie und Streitkultur

"Ich könnte mich heute noch aufregen, wenn ich an die erste Sitzung des Runden Tisches denke", sagt Konrad Weiß. Im weiß getünchten Kirchsaal der Evangelischen Brüdergemeine des Ost-Berliner Dietrich-Bonhoeffer-Hauses hatten sich am 7. Dezember 1989 unter dem Herrnhuter Adventsstern erstmals Vertreter der Reformgruppen und der Regierungsparteien am Runden Tisch niedergelassen.

Autor/in:
Hans-Jürgen Röder
 (DR)

Mit dabei waren einige Dutzend Fotografen, Kameraleute und Journalisten der schreibenden Zunft. Sie ließen keinen Zweifel daran, dass dieses Treffen ein öffentliches Ereignis war - ganz zum Ärger der SED-Genossen, die mit Macht darauf drängten, die Öffentlichkeit auszuschließen. Also mussten, nach heftigem Wortwechsel, die Berichterstatter den Saal wieder räumen, erinnert sich der gelernte Filmemacher Weiß, der damals als Berater für die von ihm mit gegründete Bürgerbewegung "Demokratie Jetzt" am Runden Tisch saß.

Doch damit wollte sich die Opposition nicht abfinden, so dass sich nach kurzem Streit die Türen für die Medienvertreter wieder öffneten und für alle folgenden 15 Sitzungen auch offen blieben. Eine wesentliche Hürde beim Versuch, im Dialog zwischen den alten und neuen politischen Kräften nach Wegen aus der schwersten Krise der 40-jährigen DDR-Geschichte zu suchen, war damit genommen.

Dabei war bereits die Tatsache, dass sich die SED überhaupt dem Dialog mit den Oppositionsgruppen stellte, ein bis dahin in der DDR einmaliger Vorgang. Denn über 40 Jahre hatte die Partei - gestützt auf die militärische Macht der sowjetischen Truppen und der eigenen Sicherheitskräfte - mit absolutem Führungsanspruch das Land regiert. Entsprechend rigoros war der Umgang mit denjenigen, die sich dem Machtanspruch nicht beugen oder für andere Ziele streiten wollten.

Keine andere Wahl
Der Druck, der auch nach Öffnung der Mauer am 9. November nicht nachließ, und das zunehmende Chaos in Betrieben und öffentlichen Einrichtungen durch die täglich tausendfache Abwanderung von DDR-Bürgern schien Anfang Dezember 1989 der SED keine andere Wahl zu lassen, als sich dem Gespräch mit der Opposition zu stellen.

Die Idee war keineswegs neu, sondern bereits in Polen zwischen der Regierung und der Gewerkschaft Solidarnosc praktiziert worden. Und auch DDR-Reformgruppen hatten im Laufe des Jahres 1989 wiederholt zum Dialog über die Probleme im Land aufgerufen. Sie waren es denn auch, die im Spätherbst 1989 die Kirchen baten, zu einem zentralen Runden Tisch in der DDR einzuladen.

Als im November dann die SED Bereitschaft signalisierte, waren die Vorbereitungen schnell getroffen: Mit dem Dietrich-Bonhoeffer-Haus in Berlin-Mitte wurde zunächst ein neutraler Tagungsort gewählt. Als Moderatoren sollten je ein Vertreter der evangelischen und der katholischen Kirche sowie der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen amtieren.

Kontrolle für Regierung
Nicht Ersatz für die Regierung, wohl aber deren Kontrolle wollte der Runde Tisch sein. Das war angesichts der fortgesetzten Versuche der Modrow-Regierung, für die eigene Partei zu retten, was zu retten war, kein leichtes Unterfangen. Gut sechs Wochen gingen ins Land, bis sich auch in der inzwischen umbenannten SED/PDS die Einsicht durchsetzte, dass ihre Vorherrschaft zu Ende war.

Schon in seiner ersten Sitzung stimmte der Runde Tisch einmütig für die vollständige Auflösung der verhassten Staatssicherheit unter ziviler Kontrolle sowie für freie Wahlen und für die Ausarbeitung einer neuen Verfassung. In den folgenden Sitzungen - in der Regel einmal wöchentlich - kamen aber auch Wirtschafts- und Finanzfragen, der Arbeitsmarkt und viele andere Politikbereiche zur Sprache.

Grundprinzip dabei war und blieb die Öffentlichkeit, die nach dem Wechsel vom Dietrich-Bonhoeffer-Haus in ein Tagungszentrum in Pankow zusätzlich durch Live-Übertragung der Sitzungen in Hörfunk und Fernsehen gewährleistet wurde. "Ich habe die Bedeutung öffentlicher Beratungen erst am Runden Tisch schätzen gelernt", äußerte später Oberkirchenrat Martin Ziegler, der als einer der drei Moderatoren maßgeblichen Anteil am Erfolg der Arbeit hatte.

Damit wurde der zentrale Runde Tisch auch zu einer Schule der Demokratie. Es entwickelte sich zugleich eine Streitkultur, die über die zahlreichen Runden Tische, die im Winter 1989/90 auf allen staatlichen und gesellschaftlichen Ebenen im Land entstanden, eine unbeschreibliche Breitenwirkung entfaltet hat.