China verschärft Grenzkontrollen um Tibet - Unruhen befürchtet

Fünfzig Jahre Kampf und Gebet gegen Besatzung

Aus Furcht vor Unruhen zum 50. Jahrestag des Tibeter-Aufstands hat China seine Grenzkontrollen um Tibet verschärft. An den Übergängen entlang der tibetischen Grenze seien "die erforderlichen Truppen" stationiert worden, sagte Fu Hongyu, Politkommissar im Ministerium für Öffentliche Sicherheit, am Montag in Peking. Er kündigte harte Maßnahmen gegen "kriminelle Aktivitäten" an. Das Tibetische Menschenrechtszentrum in Indien befürchtet neue Todesopfer. Auch in Europa stieß das Vorgehen der chinesischen Führung auf Kritik.

50 Jahre nach dem Aufstand: Gebetsfahnen an der Yumbulagang Festung bei Lhasa, Tibet (epd)
50 Jahre nach dem Aufstand: Gebetsfahnen an der Yumbulagang Festung bei Lhasa, Tibet / ( epd )

"Eine dunkle Wolke hat sich über uns zusammengeballt." Mit diesen Worten beschreibt ein namenloser Zeitzeuge das Lebensgefühl vieler Tibeter in jenen Märztagen 1959, als der 14. Dalai Lama vor den chinesischen Besatzern aus Lhasa flieht. In den Wochen zuvor hatte sich die Lage in Tibets Hauptstadt immer weiter zugespitzt.

Unter dem wachsenden Druck Chinas entwickelte sich die altehrwürdige religiöse Metropole schließlich zu einem wahren Hexenkessel. Aufständische vor allem aus dem Osten des Landes suchten Zuflucht in Lhasa, Versorgungsengpässe heizten die Stimmung zusätzlich an. Der Volksbefreiungsarmee drohte die Kontrolle zu entgleiten.

In dieser Situation wurde eine Einladung ins Theater zum Funken im Pulverfass. Der Dalai Lama sollte am 10. März im chinesischen Militär-Hauptquartier von Lhasa der Aufführung einer Tanzgruppe beiwohnen - allein, ohne sein Gefolge und nur mit einer Handvoll unbewaffneter Bewacher.

Im Nu machte das Gerücht die Runde, wonach die Gastgeber planten, das geistliche und weltliche Oberhaupt der Tibeter zu entführen. Bereits im Morgengrauen sammelten sich vor der Sommerresidenz des Dalai Lama, dem Norbulingka-Palast, unterschiedlichen Angaben zufolge mehrere Zehntausend Menschen, um die Visite zu verhindern. Dass der Besuch dann tatsächlich abgesagt wurde, änderte wenig an der aufgeladenen Atmosphäre.

Aus den folgenden Demonstrationen entwickelte sich schnell eine landesweite Revolte, in der die besser ausgerüsteten chinesischen Truppen jedoch bald die Oberhand gewannen. Allein bei den Kämpfen um Lhasa sollen zwischen dem 20. und 22. März rund 10.000 Personen ums Leben gekommen sein. Insgesamt lag die Zahl der Toten auf tibetischer Seite wohl bei 86.000.

Als der Dalai Lama am 30. März die Grenze zu Indien überquerte, um sich in Dharamsala niederzulassen, brach der Widerstand zusammen. Das kommunistische China schaffte innerhalb kürzester Zeit die Feudalherrschaft ab, auf der die Macht von adeliger und klösterlicher Elite seit Jahrhunderten beruhte. Tiefer konnte der damals 23-jährige Dalai Lama als höchste Verkörperung dieses Systems und oberster Repräsentant seines Volkes eigentlich nicht sinken.

Dass sich das Blatt dennoch wendete, zählt zu den Zufällen der Geschichte. Und zu den Gesetzmäßigkeiten der modernen Mediengesellschaft, wie Tibet-Expertin Karenina Kollmar-Paulenz erläutert. «Tibet rückte durch die Flucht des Dalai Lama auf einmal in das Zentrum der internationalen Schlagzeilen», so die Professorin für Religionswissenschaft an der Universität Bern.

Der neue Sitz der Exilregierung brachte die wichtigsten Protagonisten näher an die Weltöffentlichkeit. «Man konnte nun nach Dharamsala reisen, wo das alte Tibet als 'little Lhasa' weiterlebte und konserviert wurde.» Das von dort transportierte Bild eines gewaltlosen Befreiungskampfes habe sich letzten Endes auch positiv auf die westliche Wahrnehmung des Buddhismus als «Religion des Friedens» ausgewirkt.

Die tibetische Frage bleibt freilich auch ein halbes Jahrhundert nach dem Aufstand ungelöst. Immer noch ist der Dalai Lama, obwohl inzwischen 73 Jahre alt und gesundheitlich angeschlagen, eine zentrale Figur. «Doch sein Einfluss auf die nachwachsende Generation sinkt», sagt der Asien-Referent der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV), Ulrich Delius.

Gleichzeitig steige die Protestbereitschaft unter den Jüngeren, «viele haben nichts mehr zu verlieren». Die chinesische Regierung fürchte nach den Aufständen im Frühjahr 2008 auch in diesem Jahr neue Unruhen und reagiere mit zunehmender Härte. Ein Indiz sei die Zahl der politischen Gefangenen, die sich seither von 200 auf bis zu 6.000 erhöht habe. Vor diesem Hintergrund, fasst Delius zusammen, gebe es wenig Hoffnung auf Besserung. «Der 10. März 1959 bleibt ein düsteres Datum für eine düstere Geschichte.»