Studie zur Grundsicherung warnt vor Folgekosten von Kinderarmut

3,1 Prozent der Menschen ab 65 Jahren beziehen Grundsicherung / © Stephanie Pilick (dpa)
3,1 Prozent der Menschen ab 65 Jahren beziehen Grundsicherung / © Stephanie Pilick ( dpa )

In der Debatte um die Kindergrundsicherung hat eine Studie auf die Folgekosten der Kinderarmut verwiesen. "Frühzeitige Investitionen sichern soziale und ökonomische Chancen und ersparen dem Sozialstaat weitaus höhere Folgekosten", betonte Diakonie-Präsident Ulrich Lilie am Freitag in Berlin. Die Expertise wurde vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW)/Econ im Auftrag der Diakonie erstellt.

Das evangelische Hilfswerk tritt wie anderen Wohlfahrtsverbände für eine Kindergrundsicherung von mehr als 20 Milliarden Euro ein. Lilie verwies auf gesamtgesellschaftliche Kosten vergangener und aktueller Kinderarmut, die sich laut einer OECD-Erhebung auf jährlich etwa 3,4 Prozent des Bruttoinlandsproduktes – also zwischen 110 bis 120 Milliarden Euro – beliefen.

DIW-Präsident Marcel Fratzscher bezeichnete die Kindergrundsicherung als eine entscheidende Zukunftsinvestition, die die Vererbung von Kinderarmut durchbreche und auch angesichts des Fachkräftemangels notwendig sei.

Fratzscher forderte einen höheren Garantiebetrag, der möglichst das Kindergeld von 250 Euro übersteigen sollte, "so dass jedes Kind unabhängig vom Einkommen der Eltern abgesichert ist". Hinzukommen müssten ein einkommensabhängiger Betrag und andere Leistungen für Bildung und Teilhabe, etwa für Klassenfahrten, Sportverein und Musikschule.

Die DIW/Econ-Studie legt drei Vorschläge mit jeweils höherem Finanzvolumen beim Kampf gegen Kinderarmut vor: Entweder eine Entbürokratisierung, die zur vollständigen Ausschöpfung des Kinderzuschlags führt – der oft nicht abgerufen wird –; oder ein kinderbezogener Transfer von 50 Euro für armutsbetroffene Kinder; oder ein kinderbezogener Transfer von 100 Euro. Das dritte Szenario sei am wirksamsten, heißt es in der Studie. Profitieren könnten vor allem Haushalte von Alleinerziehenden und Paare mit mindestens drei Kindern. Sie seien derzeit am stärksten von Armut betroffen.

Die Mehrausgaben auf dem Niveau von 2019 belaufen sich demnach auf 630 Millionen im ersten Fall, auf 2,13 Milliarden im zweiten Fall und auf 4,260 Milliarden Euro im dritten Fall.

Als langfristige Folgekosten durch Kinderarmut nennt die Studie etwa die direkten und indirekten Kosten im Zusammenhang mit Adipositas (starkem Übergewicht), deren Risiko mit Kinderarmut steigt. Sie hätten laut einer Studie 2016 bei jährlich mehr als 60 Milliarden Euro gelegen. Hinzu kämen die Kosten für einen oft schlechteren Zugang zu Bildungsangeboten und niedrigeren Bildungsabschlüssen und höherer Arbeitslosigkeit. Sie beliefen sich pro Jahrgang auf jährlich 1,5 Milliarden Euro. Die Kosten mangelnder sozialer Teilhabe seien nur schwer quantifizierbar.

Der Sozialverband VdK schloss sich den Forderungen der Diakonie an. "Sparen bei der Kindergrundsicherung ist unverantwortlich, unsozial und widerspricht wissenschaftlichen Erkenntnissen", sagte VdK-Präsidentin Verena Bentele. Der Paritätische Wohlfahrtsverband forderte ein Machtwort von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Der Verband sprach sich für einen existenzsichernden Kindergrundsicherungsbetrag von 600 Euro aus.

Derzeit streiten Bundesfamilienminister Lisa Paus (Grüne) und Bundesfinanzminister Christian Linder (FDP) über die Finanzierung der Kindergrundsicherung. Sie gilt als Kernvorhaben der Ampelkoalition. Paus hatte ursprünglich 12 Milliarden Euro gefordert und sprach dann von sieben Milliarden Euro. Lindner hat hingegen nur zwei Milliarden Euro für das Projekt in der Finanzplanung vorgesehen.

Der Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) mahnte die Politik mit Blick auf diesen Streit, sie dürfe nicht weiter Vertrauen verspielen. "Es braucht gesetzliche Regelungen, die gewährleisten, dass Eltern mit niedrigem Einkommen für ihre Kinder das Existenzminimum erhalten", forderte die SkF-Vorständin Renate Jachmann-Willmer am Freitag in Dortmund. (KNA 18.08.23)