Karl Kardinal Lehmann und der Missbrauchsskandal

Kardinal Karl Lehmann / © Jens Schulze (epd)
Kardinal Karl Lehmann / © Jens Schulze ( epd )

Karl Lehmann war mehr als drei Jahrzehnte eine der prägenden Gestalten der katholischen Kirche in Deutschland. Er wurde im schwäbischen Sigmaringen geboren, studierte Philosophie und Theologie in Freiburg und Rom. Er promovierte 1963 in Philosophie mit einer Arbeit über Martin Heidegger.

1963 wurde er in Rom zum Priester geweiht. 1967 promovierte er auch in Theologie mit einer Arbeit über die Auferstehung. Als Assistent des Theologen Karl Rahner erlebte er das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) und lehrte als Theologieprofessor in Mainz und Freiburg.

Fast 33 Jahre, von 1983 bis zum Rücktritt an seinem 80. Geburtstag am 16. Mai 2016, war er Bischof von Mainz. Ab 1987 leitete er die Bischofskonferenz, bis er am 18. Februar 2008 aus gesundheitlichen Gründen zurücktrat. Lehmanns Amtszeit war die drittlängste des Bistums Mainz. 2001 erhob ihn Papst Johannes Paul II. zum Kardinal.

Lehmann, der 2018 starb, galt als Mann des Dialogs der katholischen Kirche mit der modernen Gesellschaft. Er stand für ein weltoffenes, lebensbejahendes Christentum und für ökumenische Offenheit, genoss höchstes Ansehen auch in der evangelischen Kirche, in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur.

So verteidigte er lange die Schwangerenkonfliktberatung durch die katholische Kirche in Deutschland. Auch in der Frage der Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zur Kommunion gab es große Meinungsverschiedenheiten mit Rom und konservativen Bischöfen in Deutschland. Kritiker in Deutschland sahen eine "Lehmann-Kirche".

Als 2002 der Missbrauchsskandal in den USA zum Thema wurde, sagte Lehmann, er habe den festen Eindruck, dass es in Deutschland allerhöchstens eine sehr kleine Zahl von Missbrauchsfällen gebe. Er halte es zudem nicht für möglich, dass in der Bundesrepublik ein Serientäter von Gemeinde zu Gemeinde versetzt werde, wie das in den USA geschehen war. Man müsse sich den "Schuh der Amerikaner" nicht anziehen, sagte er im "Spiegel".

2010, als der Missbrauchsskandal in Deutschland aufgedeckt wurde, nannte er diese Äußerung unklug und falsch. In der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" schrieb er, die Kirche dürfe sich nicht wundern, wenn sie jetzt an jenen Kriterien gemessen werde, mit denen sie sonst sittliche Überzeugungen vertrete.

Im März 2023 hatten Rechtsanwälte eine unabhängig erarbeitete Studie zum Umgang mit Missbrauch und sexualisierter Gewalt im Bistum Mainz vorgestellt. Laut der Untersuchung muss sich auch Lehmann schwere Versäumnisse anrechnen lassen. 

"Bischof Lehmann hat theologisch die sündhafte Kirche akzeptiert, aber daraus keine Schlüsse für eine angemessene Übernahme von Verantwortung gezogen", lautet ein Fazit der Untersuchung. Das wird in dem knapp 1.200-seitigen Abschlussbericht umfassend dokumentiert.

Unter Berufung auf zahlreiche, zuvor teils geheime Unterlagen und Gespräche mit Opfern und anderen Zeitzeugen ergibt sich ein Bild, dass Lehmann sich trotz eines Wandels zum Ende seiner Amtszeit hin vor allem um das Ansehen der Institution Kirche sorgte. (KNA, epd)