Forderung nach Aufarbeitung der Corona-Politik wird lauter

Karl Lauterbach (SPD), Bundesminister für Gesundheit, wirft im Bundestag seine Stimmkarte zur Abstimmung über eine Impfpflicht gegen das Coronavirus  / © Michael Kappeler (dpa)
Karl Lauterbach (SPD), Bundesminister für Gesundheit, wirft im Bundestag seine Stimmkarte zur Abstimmung über eine Impfpflicht gegen das Coronavirus / © Michael Kappeler ( dpa )

Vier Jahre nach Beginn der Corona-Pandemie mit Zehntausenden Toten in Deutschland wird der Ruf nach einer Aufarbeitung der staatlichen Politik zur Eindämmung des Virus immer lauter. FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai verlangte am Dienstag eine kritische Beschäftigung damit und forderte das Einsetzen einer Enquete-Kommission des Bundestags. Auch Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann machte sich dafür stark, diese Fragen im Parlament zu diskutieren. AfD-Partei- und Fraktionschefin Alice Weidel forderte einen Corona-Untersuchungsausschuss.

FDP sieht soziale und wirtschaftliche Schäden durch Corona

Djir-Sarai sagte der Deutschen Presse-Agentur in Berlin: "Dass auch rationale Kritik an den verhängten Freiheitseinschränkungen oftmals in die Nähe von Corona-Leugnern gerückt wurde, hat zur Spaltung unserer Gesellschaft beigetragen." Gerechtfertigte Forderungen nach einem gemäßigten Kurs, wie sie der heutige Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) gestellt habe, seien diffamiert worden. Dringend nötig sei eine Enquete-Kommission, um die begangenen Fehler klar zu benennen und künftig zu vermeiden. "Auch Teile der Politik werden ihre Rolle während dieser Zeit erklären müssen."

FDP-Chef Christian Lindner bekräftigte die Kritik. "Heute wissen wir, dass viele Entscheidungen der früheren Bundesregierung großen sozialen und wirtschaftlichen Schaden angerichtet haben", sagte der Bundesfinanzminister dem "Kölner Stadt-Anzeiger" (Mittwoch). "Schulschließungen, Kontaktbeschränkungen, Ausgangssperren und Zutrittsverbote waren zum Teil absolut unverhältnismäßige Eingriffe in die Freiheitsrechte." Eine Enquete-Kommission nannte er "das Mittel der Wahl" zur Aufarbeitung der Corona-Politik.

Grüne verweisen auf lebensrettende Erfolge

Die Grünen-Politikerin Haßelmann wies dagegen viel stärker auf die Erfolge der deutschen Corona-Politik hin und verteidigte staatliche Auflagen in der Hochphase der Pandemie. "In der Rückschau können wir mit Erleichterung feststellen, dass unser Land die Corona-Pandemie und ihre Folgen gut bewältigt hat", sagte sie der dpa in Berlin. "Die getroffenen konsequenten Maßnahmen haben sehr vielen Menschen das Leben gerettet."

Politik und Gesellschaft seien aufgefordert, aus "dieser einzigartigen Krise" zu lernen, sagte Haßelmann über die Pandemie. "Wir alle wissen, wie sehr die Pandemie die Lebenssituation von vielen Menschen, vor allem von Kindern und Jugendlichen, beeinflusst hat." Sie betonte, es sei wichtig, sich im Nachgang damit zu befassen sowie Lehren und Schlussfolgerungen zu ziehen. "Schließlich waren wir alle noch nie mit einer solchen Extremsituation konfrontiert. Wir sollten diese Fragen im Parlament diskutieren, dort wo schwierige Abwägungen getroffen wurden, um für die Zukunft daraus zu lernen."

Habeck will Evaluierung

Ihr Parteikollege, Vizekanzler Robert Habeck, sprach sich ebenfalls für eine Rückschau auf die Corona-Zeit aus, äußerte sich aber nicht dazu, in welcher Form dies geschehen soll. "Wir sollten jetzt eine Phase einleiten, in der wir über die schwere Pandemie-Zeit mit all ihren Auswirkungen noch mal nachdenken", sagte er der "Bild-Zeitung". 

Die damalige Bundesregierung habe in der Pandemie in einer nie gekannten Situation schnell tiefgreifende Entscheidungen treffen müssen. "Sicherlich sind da auch Fehler passiert, aber genauso wäre es ein Fehler gewesen, nicht zu entscheiden", sagte der Bundeswirtschaftsminister. "Ich denke, wir sollten den Mut haben, die Lehren ziehen, Abläufe überprüfen, die Auswirkungen evaluieren."

AfD will ungeschwärzte RKI-Protokolle

Am Vortag war das Bundesgesundheitsministerium Vermutungen über eine externe Einflussnahme auf eine höhere Risikobewertung des Robert Koch-Instituts (RKI) zur Corona-Lage im März 2020 entgegengetreten. "Das RKI ist in seinen fachlichen Bewertungen von Krankheiten absolut unabhängig", sagte eine Sprecherin am Montag in Berlin zu einem Bericht des Online-Magazins "Multipolar", das teils geschwärzte Protokolle des RKI-Krisenstabs aus der Zeit von Januar 2020 bis April 2021 veröffentlicht hatte.

Die AfD-Politikerin Weidel sagte dazu: "Jede geschwärzte Passage muss wieder lesbar gemacht werden. Die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf zu erfahren, was damals wirklich passierte." Weidel äußerte die Vermutung, dass es sich bei den geschwärzten Passagen um mehr als unkenntlich gemachte Namen handelt.

Lehren für die Zukunft

Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer unterstützte die Forderungen nach einer Aufarbeitung der Corona-Politik: "Ich halte eine Aufarbeitung – in welcher Form auch immer – für wichtig, um für die Zukunft zu lernen und auch, um den Riss zu kitten, der zwischen Befürwortern und Gegnern der Corona-Maßnahmen entstanden ist", sagte die SPD-Politikerin dem Nachrichtenportal "t-online". 

Der Linken-Politiker Gregor Gysi sagte "t-online", eine Enquete-Kommission müsse klären, "welche Maßnahmen richtig und notwendig waren, welche bei einem ähnlichen Fall nicht wiederholt werden dürfen und ob es wesentlich weniger beeinträchtigende Alternativen zu den getroffenen Entscheidungen gibt". (dpa/26.03.2024)