England und Rom

Stationen der Entfremdung und Wiederannäherung

Symbolbild: Anglikanische Bischöfe ziehen in die Kathedrale von Canterbury ein / © Sabine Kleyboldt (KNA)
Symbolbild: Anglikanische Bischöfe ziehen in die Kathedrale von Canterbury ein / © Sabine Kleyboldt ( KNA )

In den Jahrhunderten nach der Reformation standen in England der Papst und "die Papisten" in einem ganz schlechten Ansehen. Erst im 20. Jahrhundert wendete sich allmählich das Blatt. Aus Anlass eines hochrangigen vatikanisch-anglikanischen Welttreffens in Rom und Canterbury zeichnet die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) zentrale Stationen einer Geschichte von gegenseitiger Befruchtung, Anfeindung und Ausgrenzung - und zuletzt allmählicher Wiederannäherung - nach:

596/97: Papst Gregor I. ("der Große") entsendet den römischen Benediktinermönch Augustinus (gest. 604) als Missionar zum angelsächsischen König Ethelbert von Kent. Augustinus wird erster Erzbischof von Canterbury und gilt als der "Apostel der Angelsachsen".

716/19: Papst Gregor II. entsendet den angelsächsischen Benediktinermönch Winfrid-Bonifatius (gest. 754/55) als Missionar zu den heidnischen Friesen. Bonifatius wird Missionserzbischof, päpstlicher Legat für Germanien, Bischof von Mainz, zuletzt Bischof von Utrecht und Gründer zahlreicher Klöster. Er gilt als "Apostel der Deutschen".

1170: Lordkanzler Thomas Becket wird auf Betreiben von König Heinrich II. 1162 Erzbischof von Canterbury. Die beiden Freunde zerstreiten sich jedoch über die Frage nach der kirchlichen oder weltlichen Gerichtsbarkeit über den Klerus. Papst Alexander III. lehnt einen Amtsverzicht Beckets ab. Nach einem Wutanfall des Königs erschlagen vier seiner Ritter Becket 1170 in dessen Kathedrale. Becket wird 1173 als Märtyrer heiliggesprochen; der reuige Heinrich II. ernennt ihn zu seinem Schutzpatron. Die Kirche des englischen Kollegs in Rom führt bis heute das Patronat "San Tommaso di Canterbury".

1397: Als letzter Primas von England vor der Reformation besucht Erzbischof Thomas Arundel die römische Kurie. 

1521: König Heinrich VIII. bekommt von Papst Leo X. den Ehrentitel Fidei defensor (Defender of the faith, Verteidiger des Glaubens) verliehen, den die britischen Monarchen bis heute tragen. Der Titel war eine Anerkennung für Heinrichs Buch "Verteidigung der Sieben Sakramente", in dem dieser - in Antwort auf die Reformatoren - den sakramentalen Charakter der Ehe und die Vorrangstellung des Papstes betonte.

1534: Da Heinrichs Ehe mit Katharina von Aragon ohne Thronfolger bleibt, strebt der König seit Mitte der 1520er Jahre die Annullierung an. Papst Clemens VII. lehnt dies ab; Heinrich VIII. bricht daher mit Rom und errichtet mit der sogenannten Suprematsakte vom November 1534 eine englische Staatskirche mit dem König als weltlichem Oberhaupt. Unermesslich reiche Klöster werden geplündert und zerstört, romtreue Bischöfe durch Männer des Königs ersetzt. Die Exkommunikation Heinrichs VIII. 1538 durch Papst Paul III. zementiert die Kirchenspaltung.

1548: Bis zu Heinrichs Tod 1547 gibt es noch keine entscheidende Änderung der Kirchendisziplin weg von der katholischen Lehre. Danach geht mit dem anglikanischen "Book of Common Prayer" klassische Kirchensprache immer mehr eine Verbindung mit protestantischem Gedankengut ein. In den folgenden Jahrzehnten von Intrigen, Thronzwisten und Verschwörungen fließt viel Blut im Namen der Religion ("Bloody Mary", Guy-Fawkes-Verschwörung 1605).

An deren Ende steht ein Mittelweg des Anglikanismus zwischen katholischer und protestantischer Lehre, Liturgie und Kirchendisziplin. Die Katholiken, «Papisten» genannt, bleiben fortan Englands größte, teils verfolgte, später teils geduldete und verachtete Minderheit. Zumeist handelt es sich um ärmliche irische Einwanderer, die stets unter dem Verdacht des Landesverrats stehen.

1666: Großer Stadtbrand von London. Trotz offenkundiger, über Jahrzehnte andauernde Verstöße der Stadt gegen Brandschutzvorschriften werden die Katholiken als Brandstifter beschuldigt.

1701: Der sogenannte Act of Settlement schließt jeden von der Thronfolge aus, der "die päpstliche Religion bekennt oder einen Papisten heiratet". Das Gesetz wird erst 2015 grundlegend geändert.

1850: Wiederherstellung einer regulären katholischen Kirchenhierarchie in England. Intellektuell spielt der britische Katholizismus - bis auf wenige Ausnahmen wie die Konvertiten Kardinal John Henry Newman (1801-1890) oder Gilbert Keith Chesterton (1874-1936) - bis in die 1950er Jahre praktisch keine Rolle.

1952: Unter der fast 70-jährigen Regentschaft von Königin Elizabeth II. ermöglichen vor allem das große karitative und schulische Engagement und eine moralische Glaubwürdigkeit der katholischen Kirche eine gewisse Verbürgerlichung des Katholizismus im Vereinigten Königreich. Elizabeth II. besucht zwischen 1951 und 2014 insgesamt fünf Päpste im Vatikan.

1960: Ökumenisches Tauwetter. Erzbischof Geoffrey Fisher von Canterbury betritt als erster Primas der Kirche von England seit 1397 den Vatikan. Als er dort von Papst Johannes XXIII. begrüßt wird, ist sich Fisher des Momentes bewusst: «Eure Heiligkeit, wir machen
Geschichte», sollen seine ersten Worte gewesen sein.

1966: Der anglikanische Primas Arthur Michael Ramsey und Papst Paul VI. beschließen im Vatikan die Einrichtung einer gemeinsamen internationalen Theologenkommission; der Beginn eines offiziellen Dialogs zwischen Katholiken und Anglikanern nach der Trennung 1534. Die verbliebene relative Verwandtschaft mit der katholischen Lehre nährt nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) gewisse Hoffnungen auf eine langfristige Rückkehr zu einer vollen Kirchengemeinschaft. Diese wird jedoch durch die Zulassung des
anglikanischen Frauenpriestertums 1992 sowie von Bischöfinnen 2014 gedämpft.

1982: Johannes Paul II. besucht als erster Papst überhaupt das Vereinigte Königreich.

1995: Mit Kardinal Basil Hume (1923-1999) von Westminster verbindet Elizabeth II. ein vertrauensvolles Verhältnis; sie nennt ihn "meinen Kardinal". 1995 wohnt sie als erster englischer Monarch seit der Reformation einer katholischen Vesper (Abendgebet) bei - in der Kathedrale von Westminster.

2002: Elizabeth II. lädt Kardinal Cormac Murphy-O'Connor von Westminister ein, vor ihr zu predigen.

2005: Prinz Charles, als Thronfolger künftiges Kirchenoberhaupt der Kirche von England, verschiebt seine Hochzeit mit Camilla Parker-Bowles aus Rücksicht auf die Beisetzung von Papst Johannes Paul II., vor dessen Sarg sich in Rom auch die britischen Spitzen von Kirche und Staat versammeln.

2009: Papst Benedikt XVI. schafft - bei aller gut funktionierenden Ökumene zwischen Rom und Canterbury - katholische Strukturen für übertrittswillige Anglikaner.

2015: Nach dem sogenannten Perth Agreement führt die Heirat mit einem Katholiken nun nicht mehr zu einem Ausschluss von der Thronfolge. Der Herrscher selbst (als weltliches Kirchenoberhaupt) muss aber weiter der anglikanischen Kirche angehören.

2016: Kardinal Vincent Nichols von Westminster zelebriert die erste katholische Messe seit rund 450 Jahren in der königlichen Kapelle von Hampton Court - jenes Schlosses, das Heinrich VIII. 1528 seinem Lordkanzler Kardinal Thomas Wolsey abgenommen hatte. Der anglikanische Bischof von London, Richard Chartres, beendet seine Predigt mit der Adresse an den katholischen Hauptstadt-Erzbischof: "Willkommen zu Hause, Herr Kardinal!"

2023: Papst Franziskus schenkt König Charles III., dem weltlichen Oberhaupt der anglikanischen Staatskirche von England, zwei Splitter des Heiligen Kreuzes Jesu. Als Stellvertreter des Papstes nimmt mit Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin die Nummer Zwei des Vatikans an der Krönung teil; der wohl ranghöchste Katholik seit der Reformation. (KNA)