"An einem Scheideweg": Weltklimarat drängt auf mehr Klimaschutz-Tempo

Potenziale zu Einsparungen werden nicht genutzt

Bergbaumaschinen arbeiten im Braunkohletagebau Garzweiler, im Hintergrund das Braunkohlekraftwerk Neurath / © Federico Gambarini (dpa)
Bergbaumaschinen arbeiten im Braunkohletagebau Garzweiler, im Hintergrund das Braunkohlekraftwerk Neurath / © Federico Gambarini ( dpa )

Nur noch mit einer raschen und drastischen Verringerung des Treibhausgas-Ausstoßes ist die Erderwärmung nach Einschätzung des Weltklimarats auf maximal 1,5 Grad zu begrenzen. Das geht aus einem Bericht hervor, den der Weltklimarat (IPCC) am Montag veröffentlicht hat. "Wir sind an einem Scheideweg. Die Entscheidungen, die wir jetzt treffen, können eine lebenswerte Zukunft sichern", erklärte der IPCC-Vorsitzende Hoesung Lee. "Wir haben die Werkzeuge und das Wissen, um die Erwärmung zu begrenzen."

Einsparungen und Erneuerbare Energien

Die Vereinten Nationen hatten im vorigen Jahr ihr Ziel bekräftigt, die Erderwärmung im Vergleich zum späten 19. Jahrhundert auf 1,5 Grad zu begrenzen, um katastrophale Folgen des Klimawandels zu verhindern. Es seien mittlerweile Klimaschutzmaßnahmen, gesetzliche Regulierungen und Marktmechanismen bekannt, die effektiv seien, so Lee. "Wenn diese entsprechend skaliert und breiter angewendet werden, können sie tiefgreifende Einsparungen von Emissionen unterstützen und Innovationen ankurbeln." So seien etwa die Kosten für Solar- und Windenergie seit 2010 um bis zu 85 Prozent gesunken, was den Ausbau erneuerbaren Energien angekurbelt habe.

Im Durchschnitt lag der weltweite Ausstoß von Treibhausgasen zwischen 2010 und 2019 so hoch wie nie zuvor in der Geschichte der Menschheit. Allerdings habe sich die Wachstumsrate verlangsamt, heißt es im Bericht.

Als entscheidend für das Erreichen des 1,5 Grad-Ziels gilt das Umsteuern im Energiesektor. Dazu gehört, erheblich weniger fossile Energieträger zu nutzen, den Verkehr und andere Sektoren weitgehend zu elektrifizieren, die Energieeffizienz zu verbessern und alternative Kraftstoffe wie Wasserstoff zu nutzen.

Konsumverhalten ändern

Der Weltklimarat beleuchtete außerdem, welchen Einfluss es hat, weniger Fleisch zu essen oder sich klimafreundlicher fortzubewegen - und kommt zu dem Schluss: Der Lebensstil und das persönliche Verhalten spielt durchaus eine wichtige Rolle fürs Klima. Allerdings brauche es hier die richtigen Rahmenbedingungen durch die Politik, betonen die Autoren. Die Verantwortung dürfe nicht auf den Einzelnen abgewälzt werden. Mit Richtlinien, neuen Technologien und passender Infrastruktur könne man die Treibhausgas-Emissionen bis 2050 um 40 bis 70 Prozent reduzieren, heißt es - "ein erhebliches ungenutztes Potenzial".

Kritische Schwelle von 1,5-Grad bald überschritten

Die Wissenschaft hält es für immer wahrscheinlicher, dass die Erhitzung der Erde zeitweise die kritische Schwelle von 1,5 Grad übersteigen wird, bevor sie durch entsprechende Maßnahmen wieder darunter absinken könnte. Dabei wird auch die Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre eine Rolle spielen, die vom Weltklimarat erstmals ausführlicher betrachtet wurde. Die Experten befürworten zwar die Entwicklung und Erforschung solcher Techniken, warnen aber davor, sich darauf zu verlassen. Keine Technologie dieser Art könne auffangen, was an notwendigen Einsparungen in anderen Bereichen ausbleibe.

Hunderte Wissenschaftler aus 65 Ländern hatten für den Bericht in den vergangenen Jahren Zehntausende Studien ausgewertet. Er ist Teil des 6. Sachstandsberichts des Weltklimarats, dessen Veröffentlichungen als umfassendster und international anerkannter Stand der Klimaforschung gelten. In dem Teilbericht geht es um Maßnahmen zur Abschwächung des Klimawandels.

Klimaschutzminister Habeck plant Gesetzespaket

Bundeswirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) will in Kürze ein Gesetzespaket vorstellen, dass die Energiewende in Deutschland massiv beschleunigen soll. Im vergangenen Jahr hat Deutschland sein Klimaziel verfehlt. Bundesbildungs- und Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger sieht im neuen Bericht des Weltklimarats einen Beleg für die Notwendigkeit von Forschung zu technologischen Antworten auf die Erderwärmung. "Denn wir wollen lieber auf Innovationen setzen als auf Verzicht", betonte die FDP-Politikerin.

"Dokument der Schande"

UN-Generalsekretär Antonio Guterres machte Wirtschaft und Politik schwere Vorwürfe. "Es ist ein Dokument der Schande, ein Katalog der leeren Versprechen, die die Weichen klar in Richtung einer unbewohnbaren Erde stellen", betonte er in einer Videobotschaft. "Sie ersticken unseren Planeten", sagte Guterres über Regierungen und Firmen, die für hohe Treibhausgas-Emissionen verantwortlich sind. Guterres rief die Weltbevölkerung auf, selbst aktiv zu werden: "Fordert, dass erneuerbare Energie jetzt eingeführt wird - und zwar schnell und in großem Rahmen."

(Quelle: dpa, 04.04.2022)