30.01.2022 | 07:10 | WunderBar

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Aber: Das Höchste ist doch die Liebe

Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Initiative #OutInChurch in der ARD-Dokumentation Wie Gott uns schuf / © EyeOpeningMedia/rbb (dpa)
Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Initiative #OutInChurch in der ARD-Dokumentation Wie Gott uns schuf / © EyeOpeningMedia/rbb ( dpa )

Sendung

Beginn:

Als Studentin hatte ich ein Stipendium. Das Geld war eine große Hilfe, aber das vielleicht Beste daran  waren die Sommerakademien in den Bergen.

Morgens Seminar, nachmittags ging es in die Berge, abends gab es heiße Diskussionen und alles habe ich geliebt.

In einem Jahr reizte mich ein Ethikseminar, das der Fundamentaltheologe Franz Böckle anbot.

In eben diesem Seminar saß ich und verstand nicht, warum sich Student Stefan andauernd mit dem Professor anlegte, fast schon Streit suchte.

Dass Stefan ein doppeltes Zeichen für männlich in rosa trug, hatte ich wohl gesehen, aber seine Bedeutung kannte ich nicht. Nur mit Nachhilfe verstand ich: Stefan outet sich mit dem rosa Zeichen als schwul. Da war mir klar: Es geht nicht um den theologischen Disput. In Wirklichkeit will Stefan vom Professor hören, dass mit seinem Schwulsein alles gut ist.

In den 1980ern aber war natürlich gar nichts gut, wenn sich ein Mensch in der Kirche als queer outete.

Sofort fällt mir Stefan ein, als ich mir in der Mediathek der ARD die Doku „Wie Gott uns schuf“, anschaue.

125 Menschen aus der Kirche outen sich hier als queer. Die leitende Pfadfinderin erzählt, dass sie asexuell ist, ein Religionslehrer, dass er transident ist, ein Jesuit, dass er schwul, die Krankenhausärztin, dass sie lesbisch ist.

Video für Video, Lebensgeschichte für Lebensgeschichte, schaue ich in Qual und Leid, Ausgrenzung und Verletzung.

Video für Video habe ich Gänsehaut, weil die Menschen so mutig sind, schießen mir Tränen in die Augen, weil sie so viel leiden müssen.

Video für Video aber wächst auch meine Hoffnung.

Endlich.

Endlich wehren sich Menschen gegen die vielen Lügen, das Versteckspielen und dass solange alles gut ist, wie zwar alle von ihr wissen, aber keiner über eine sexuelle Orientierung spricht.

Wieviel einfacher wäre es, wenn in der Kirche gälte, was damals im Seminarraum in den Südtiroler Bergen passierte.

Irgendwann unterbrach der Professor den erneut erbittert streitenden Theologiestudenten Stefan mitten im Satz.

Angespannte Stille im Raum.

Dann sagte der Professor: „Stefan. Das Höchste ist die Liebe. Immer und für alle.“

Furchtbar, dass es heute immer noch Mut bedarf, um in der Kirche zur eigenen Liebe zu stehen. Wunderbar, dass es endlich, endlich passiert.

Angela Krumpen