Unicef-Bericht zur Situation von Kindern in Industriestaaten vorgestellt

Deutschland, deine Kinder

Ein umfassender UNICEF-Bericht zum Wohlergehen der Kinder in Industrieländern zeichnet ein ernüchterndes Bild der Situation in Deutschland. Nur in Ungarn, Australien und Polen ist der Anteil arbeitsloser Eltern noch höher als in Deutschland und auch die Gesundheit vieler deutscher Jugendlicher ist gefährdet: In keinem anderen untersuchten Land rauchen mehr Jugendliche. Deutschland ist nur Mittelmaß, wenn es darum geht, verlässliche Lebensumwelten für die junge Generation zu schaffen.

 (DR)

Unicef hat erstmals die zentralen Aspekte der kindlichen Entwicklung in 21 Industrieländern in sechs Dimensionen zusammenhängend untersucht: Materielle Situation, Gesundheit, Bildung, Beziehungen zu Eltern und Gleichaltrigen, Lebensweise und Risiken sowie die eigene Einschätzung der Kinder und Jugendlichen. Deutschland liegt dabei insgesamt nur auf Rang 11. Die Niederlande führen die Unicef-Tabelle als kinderfreundlichstes Land an, gefolgt von Schweden, Dänemark und Finnland. Besonders schlecht schneiden Großbritannien und die USA ab.

Rauchen, Drogen, Alkohol
Besonders besorgniserregend ist das Risikoverhalten deutscher Jugendlicher. Wenn es um Rauchen, Alkohol und Cannabiskonsum sowie das Sexualverhalten geht liegt Deutschland vor Großbritannien auf dem vorletzten Platz. Hauptgrund für diese schlechten Werte ist das Gesundheitsrisiko Rauchen: Vergleicht man die Daten von insgesamt 29 Industriestaaten einschließlich Russland, so finden sich nirgendwo so viele Raucher wie in Deutschland.

In Deutschland benutzen nur 70 Prozent der Jugendlichen ein Kondom, im katholischen Spanien sind es 90 Prozent. Teenager-Schwangerschaften gibt es in Deutschland vor allem in Bremen und Berlin. Mit 16 Schwangerschaften pro 1.000 Mädchen liegen die beiden Stadtstaaten im unteren Drittel, während Baden-Württemberg besonders gut abschneidet. Dort werden weniger als acht Mädchen zwischen 15 und 19 schwanger. Deutschland als Ganzes liegt bei den frühen Schwangerschaften im Mittelfeld (Platz 12).

Den letzten Platz belegt Deutschland in der Frage, wie oft Eltern und Kinder miteinander sprechen. Nur etwas mehr als 40 Prozent der deutschen 15-jährigen gaben an, dass sich ihre Eltern mehrmals in der Woche einfach nur mit ihnen unterhalten. In Ungarn sagten fast 90 Prozent der Jugendlichen, regelmäßig mit ihren Eltern zu sprechen, in Italien über 85 Prozent.

Gute Beziehung zu Gleichaltrigen
Gut beurteilen deutsche Jugendliche ihre Beziehungen zu Gleichaltrigen. (Platz 5). Wie sonst nur in Finnland sind weniger als 30 Prozent der befragten Jugendlichen in den vergangenen zwölf Monaten in gewalttätige Auseinandersetzungen verwickelt gewesen (Platz 2).

Auch beim Besuch weiterführender Schulen (Platz 3) und dem Übergang zwischen Schule und Beruf (Platz 7) schneidet Deutschland gut ab. Trotzdem ist die Zukunftseinschätzung der Schüler selbst erschreckend schlecht. Mehr als 30 Prozent der 15-jährigen Deutschen glauben, dass sie später nur einer gering qualifizierten Arbeit nachgehen werden. In dieser Hinsicht belegt Deutschland nur Platz 20 von 25 Industrieländern.

Große Unterschiede zwischen Bundesländern
Professor Hans Bertram von der Humboldt-Universität zu Berlin hat die Studie für Deutschland vertiefend analysiert. Die wenigen vorliegenden Daten machen ein enormes Gefälle zwischen den Bundesländern deutlich, so Bertram. In den Ländern am unteren Ende der Rangliste - Bremen, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin - häufen sich die negativen Entwicklungen für Kinder. Bertram hält es für fraglich, ob diese Bundesländer aus eigener Kraft in der Lage sind, die Lebensbedingungen für Kinder so zu verbessern, dass Mädchen und Jungen, die beispielsweise in Bremen aufwachsen, gleiche Chancen wie Kinder in anderen Bundesländern erhalten.

Gesamtkonzept fehlt
In Deutschland hätten politische Maßnahmen und Entscheidungen für Familien und Kinder oft nur wenig bewirkt, weil sie nicht aufeinander abgestimmt und nicht zielgerichtet geplant und durchgeführt wurden, so die Analyse von Bertram. Auf Bund-, Länder- und Gemeindeebene wird Politik vielfach immer noch entlang der Logik und Zuständigkeit einzelner Institutionen betrieben.

Es fehle ein Gesamtkonzept, das die ökonomische Situation von Familien, die Infrastruktur für verlässliche Lebensumwelten für Kinder und die Neuorganisation der Aufgabenteilung zwischen Familien und Institutionen wie Schule, Kindergarten oder Jugendämtern umfasst. Die nordeuropäischen Länder, die beim internationalen Vergleich die Spitzenplätze belegen, hätten es dagegen geschafft, mit einem solchen „Policy Mix", der umfassende Maßnahmen für Familien integriert und bündelt, die Situation von Kindern und Familien positiv zu beeinflussen.