Zum 200. Geburtstag der Gründerin der Schervier-Schwestern

"Wunden heilen und Seelen retten"

Cholera und Pocken – um Menschen mit diesen Leiden kümmerte sich Franziska Schervier und gründete deshalb in Aachen einen Orden. Auch an ihrem 200. Geburtstag sind ihre Themen noch brandaktuell, sagt die Generalsekretärin des Ordens.

Die Schervier-Schwestern betreiben auch eine Kleiderkammer / © Harald Oppitz (KNA)
Die Schervier-Schwestern betreiben auch eine Kleiderkammer / © Harald Oppitz ( KNA )

KNA: An diesem Donnerstag ist der 200. Geburtstag von Franziska Schervier. Wie präsent ist sie im Ordensalltag?

Sr. Dolores Haas (Generalsekretärin der "Armen-Schwestern vom heiligen Franziskus", kurz Schervier-Schwestern): Franziska Schervier ist sehr präsent, nicht nur, da ihre Grabstätte hier in Aachen im Mutterhaus ist. Sie gibt uns immer wieder neu Impulse. An ihren Schriften sehen wir, wie sie gehandelt hat und wo wir immer wieder schauen müssen: Wie gehen wir unseren Auftrag in der heutigen Zeit an.

KNA: Können Sie ein konkretes Beispiel nennen?

Sr. Dolores: Franziska Schervier hat damals Kinder und Bedürftige mit Lebensmitteln und Kleidung versorgt. Diese Aufgabe führen wir auch heute noch fort, etwa in der Franziska-Schervier-Stube in Aachen.
Dies geschieht natürlich anders als damals, aber immer noch mit der Ausrichtung, die Not der Menschen zu lindern. Jeden Tag kommen 80 bis 100 Menschen, die hier ein Frühstück und mittags etwas Warmes bekommen. Sie erfahren hier aber auch ein Angenommensein. Franziska Schervier hat den Menschen immer im Ganzen gesehen.

KNA: Gibt es weitere Beispiele?

Sr. Dolores: Aufgrund unserer Altersstruktur haben sich die Aufgaben verändert. Die Kranken- oder Altenpflege können die älteren Schwestern nicht mehr ausführen. Aber wir sind in der Seelsorge in unseren Altenheimen aktiv, nehmen uns Zeit, die der Pflege vielleicht fehlt und hören den Menschen zu. Oder in unserem Mutterhaus: In Aachen gibt es wenig bezahlbaren Wohnraum für Studierende. Da haben wir eine wenig genutzte Etage innerhalb der Klausur gründlich renoviert und neu eingerichtet. Jetzt wohnen hier drei Studentinnen aus unterschiedlichen Ländern. Eine von ihnen hat Fluchterfahrungen hinter sich, sie kommt aus Syrien.

KNA: Findet da auch eine Form von Gemeinschaft statt?

Sr. Dolores: Ja, wir nennen das "Wohnen im Kloster". Sie gehen bei uns ein und aus, nehmen - wenn sie möchten - an unseren Festen teil. Das ist eine ganz tolle Erfahrung mit diesen jungen Frauen, das gibt uns neuen Schwung. Es erweitert unseren Horizont. Wir bedauern jetzt schon, dass die Erste im Januar mit ihrem Studium fertig ist und uns verlassen wird.

KNA: Wie steht es denn derzeit um die Größe ihrer Gemeinschaft?

Sr. Dolores: Ich selbst bin vor 44 Jahren, im Jahr der Seligsprechung der Franziska Schervier, in den Orden eingetreten. Da waren wir hier im deutschen Raum noch rund 1.400 Schwestern. Jetzt sind wir 188 Schwestern, und wir haben einen Altersdurchschnitt von 78 Jahren. Das verändert natürlich einiges. Unserer Ordensgründerin war es wichtig, nicht Einrichtungen zu leiten, sondern für Menschen da zu sein. Deshalb hatten wir nicht so viele ordenseigene Einrichtungen wie andere sozial-karitative Gemeinschaften. Von 24 Krankenhäusern, in denen unsere Schwestern tätig waren, gehörte nur eins dem Orden. Von 60 Altenheimen waren nur 7 in unserer Trägerschaft. Diese werden heute von einer gemeinnützigen GmbH getragen, deren Gesellschafterin wir sind. So konnten wir uns neuen Aufgaben widmen.

KNA: Und zwar?

Sr. Dolores: Wir haben in den 90er Jahren viele kleine Kommunitäten gebildet, etwa in Dänemark oder in der Frankfurter City. So leben wir mitten unter den Menschen. Aufgrund des Alters geht das heute nicht mehr überall, aber wir überlegen dann immer, wie es weitergehen kann. Ein kleines Haus des Ordens im Aachener Stadtteil Verlautenheide haben wir für Flüchtlinge freigemacht. An solchen Projekten arbeiten wir Schwestern alle gemeinsam. Bei uns gibt es eigentlich keine desolate Stimmung.

KNA: Abgesehen von der Altersstruktur - was sind die stärksten Veränderung in Ihrer Gemeinschaft?

Sr. Dolores: Der Orden hat sich in den Jahren bedeutend mehr geöffnet. Der Kontakt zu den Menschen draußen hat sich verändert, nicht nur durch die neuen Medien. Wenn wir die Leute mit ihren Sorgen und Nöten verstehen wollen, müssen wir in der Jetztzeit leben, auch wenn unser Klosteralltag mit seiner Spiritualität und dem Gemeinschaftsleben das natürlich nicht immer ganz einfach macht.

KNA: Wo würden Sie heute die Schwerpunkte Ihres Wirkens sehen?

Sr. Dolores: Da geht es um die Frage, was Menschen heute brauchen. Wir bemerken, dass viele eine große Sehnsucht nach den Werten der Kirche haben. Vielleicht werden sie anders benannt, aber so kirchenfern sind sie in ihrer Einstellung gar nicht. Wir wollen versuchen, die Menschen an ihren Orten abzuholen und in ihrer Sprache Antwort zu geben. Einiges werden wir im kommenden Jubiläumsjahr umsetzen können. So wurde auch jedes unserer Angebote in den Tagungshäusern neu in den Blick genommen. Wir wollen Orte schaffen, die Ruhe und Kraft vermitteln.

KNA: Wie lässt sich Ihre Spiritualität in der Moderne leben?

Sr. Dolores: Unsere Spiritualität ist ja eine weltoffene. Ich empfinde es als Herausforderung, immer wieder neu zu schauen, wie ich im Sinne von Franz von Assisi leben kann. Spiritualität ist für mich nichts Abgehobenes. Es ist etwas, wo Gebet und Meditation in Einklang stehen, mit dem Tun und dem Leben. Im Moment haben wir Studierende der Fachhochschule Aachen als Gäste im Haus. Hier merke ich, wie wir einen Nerv bei Leuten treffen. Sie erfahren hier ein Leben mit Unterbrechungen durch Gebetszeiten. Dadurch spüren sie: Wir können nicht alles selbst machen, wir sind immer wieder angewiesen auf das, was uns von Gott geschenkt wird. Wir sind nicht die Allesmacher. Das ist viel wert. Es geht um Lebensfülle. Das entspricht dem Sendungsauftrag, den uns Franziska Schervier mit auf den Weg gegeben hat: Wunden heilen und Seelen retten.

Das Interview führte Nadine Vogelsberg.


Quelle:
KNA