Ein halbes Jahr nach der Flut laufen psychosoziale Hilfen an

Zu wenig psychologische Angebote?

Vor sechs Monaten traf die Flutkatastrophe auch das Schleidener Tal in der Eifel. Nach den ersten Aufräumarbeiten brauchen die Menschen jetzt psychologische Angebote. Doch von denen gibt es zu wenig, sagen Einsatzkräfte.

Autor/in:
Anita Hirschbeck
Die Urft in Schleiden / © Anita Hirschbeck (KNA)
Die Urft in Schleiden / © Anita Hirschbeck ( KNA )

Seit Tagen regnet es im Schleidener Tal. Seit Tagen steigen die Pegel von Olef und Urft, bald werden die beiden eigentlich unscheinbaren Flüsschen über das Ufer treten, befürchtet Frank Waldschmidt.

Der Leiter der Beratungs- und Koordinierungsstelle "Schleidener Tal" hört in diesen Tagen öfter die Sorgen von Menschen aus der Umgebung, es könne wieder ein Hochwasser geben. Sicher würde es nicht so schlimm werden wie vor fast einem halben Jahr, als die Flutkatastrophe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz Häuser weg- und Menschen aus dem Leben riss. Aber trotzdem: "Man kann sich sehr gut vorstellen, was in den Köpfen der Menschen gerade vorgeht", sagt Waldschmidt.

Der 59 Jahre alte Psychotherapeut und Theologe mit verwuschelt gestyltem Haar, grauer Brille und dunkelblauer Malteser-Jacke war für den katholischen Hilfsdienst schon während des Elbe-Hochwassers in Ostdeutschland im Einsatz. Nun hat es seine Heimat getroffen: den Kreis Euskirchen in der Eifel - eigentlich beliebtes Ausflugsziel für Menschen aus Köln und Region, die ein wenig Natur erleben wollen. Bis zu 3.500 Haushalte sind in der Stadt Schleiden von den Folgen der Unwetterkatastrophe betroffen. Neun Menschen verloren ihr Leben.

Ort für Beratung, Hilfe und Gespräche

Seit Anfang Dezember betreiben die Malteser und die Stadt zusammen mit weiteren Organisationen die Beratungs- und Koordinierungsstelle im Ortsteil Gemünd. Das Zentrum, das zunächst zwei Jahre geöffnet hat, ist in einem vormals leerstehenden Haus untergebracht, in dessen Erdgeschoss das Wasser "nur" etwa 30 Zentimeter stand.

Auf eben dieser Etage helfen jetzt Sozialarbeiter Betroffenen dabei, Formulare auszufüllen. Im ersten Stock bieten Psychologen und eine Trauerberaterin Gespräche an. Im Cafe Lichtblick - einem Raum mit Küchenzeile und fünf Bistrotischen - treffen sich alle zwei Wochen Menschen aus der Region, um sich auszutauschen. Im Dachgeschoss liegen Malstifte und gespendete Kuscheltiere für Kinder bereit.

Ein "warmer, sicherer Ort mitten im Flutgebiet" soll das Zentrum sein, sagt Trauerberaterin Conny Kehrbaum. Die 54-Jährige ist ebenfalls für die Malteser tätig. Im Idealfall würden die Betroffenen direkt im eigenen Haus an eine Sozialarbeiterin, einen Psychologen oder eben die Trauerexpertin vermittelt. Vor allem die psychosozialen Bedarfe würden erst jetzt wirklich sichtbar. "Alle waren erstmal mit Funktionieren, mit Aufräumen beschäftigt", sagt Kehrbaum. "Es war ja unglaublich viel Arbeit."

Versorgung vor Ort reicht nicht aus

Wer durch den Ort fährt, für den ist die Katastrophe nur noch an einigen Stellen sichtbar. Hier eine kaputte Hausfassade, dort fehlende Fensterfronten, aber keine meterhohen Schuttberge oder Schlammmassen. Dennoch: Wer genauer hinsieht, erkennt, dass die Erdgeschosse in etlichen Häusern immer noch leer sind. Die Menschen leben in den oberen Stockwerken, erzählt Waldschmidt. Oder sie kehren ihrer Heimat ganz den Rücken.

Rund 2.500 Anwohnende brauchen nach Einschätzung des Zentrumsleiters psychologische Hilfe - allein im Schleidener Tal. Doch Hilfesuchende hingen oft viel zu lange in Warteschleifen. Wer ein Angebot bekomme, müsse teilweise weite Strecken auf sich nehmen. Von "unhaltbaren Zustände" spricht der Psychotherapeut. "Das können wir jetzt mit verschiedenen Maßnahmen noch beherrschen." Aber ohne Beratung oder Behandlung drohten langfristige Folgen.

Viele seiner Kolleginnen und Kollegen engagierten sich zwar sehr, das System sei aber komplett ausgereizt. "Wir brauchen jetzt kreative Lösungen für die Regelversorgung", fordert Waldschmidt. Darüber habe er auch schon mit Vertretern der NRW-Landesregierung gesprochen.

Therapeut fordert praktische Lösungen satt theoretischer Konzepte

Der Zentrumsleiter kritisiert auch, dass viele Betroffene immer noch nicht die Unterstützungsgelder erhalten haben, die ihnen versprochen wurden. Von den rund 10.500 Anträgen, die in NRW bis zum 20. Dezember eingegangen sind, befinden sich 62 Prozent noch in Bearbeitung, wie der "Kölner Stadt-Anzeiger" unlängst berichtete. Waldschmidt warnt: Die bürokratischen Hürden könnten bei Betroffenen erneut ein Gefühl der Ohnmacht auslösen - genau wie in der Flutnacht. "Wir brauchen hier praktische Lösungen für die Menschen. Keine theoretischen Konzepte."


Frank Waldschmidt, Leiter der Beratungs- und Koordinierungsstelle "Schleidener Tal" der katholischen Hilfsorganisation Malteser Hilfsdienst / © Anita Hirschbeck (KNA)
Frank Waldschmidt, Leiter der Beratungs- und Koordinierungsstelle "Schleidener Tal" der katholischen Hilfsorganisation Malteser Hilfsdienst / © Anita Hirschbeck ( KNA )

Conny Kehrbaum, Trauerberaterin bei der Beratungs- und Koordinierungsstelle "Schleidener Tal" der katholischen Hilfsorganisation Malteser Hilfsdienst. / © Anita Hirschbeck (KNA)
Conny Kehrbaum, Trauerberaterin bei der Beratungs- und Koordinierungsstelle "Schleidener Tal" der katholischen Hilfsorganisation Malteser Hilfsdienst. / © Anita Hirschbeck ( KNA )
Quelle:
KNA
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