Was Kirche aus der Corona-Krise mitnehmen kann

Zu sehr auf Gottesdienste konzentriert?

Corona hat Einfluss auf fast alle Lebensbereiche. Als zu Beginn der Pandemie Kirchen für öffentliche Gottesdienste geschlossen wurden, wurde gesagt, sie seien nicht systemrelevant. Benedikt Jürgens hat die Kirche seitdem genau beobachtet.

Symbolbild: Geschlossene Kirchentür / © Julia Steinbrecht (KNA)
Symbolbild: Geschlossene Kirchentür / © Julia Steinbrecht ( KNA )

DOMRADIO.DE: Wie bewerten Sie das Verhalten der Kirche angesichts dieser Pandemie? Hat sie richtig gehandelt oder kamen manche Entscheidungen möglicherweise auch zu spät? Was meinen Sie?

Dr. Benedikt Jürgens (Leiter des Kompetenzzentrums "Führung" am Zentrum für angewandte Pastoralforschung / ZAP): Ich würde, wie es wahrscheinlich nicht anders bei Wissenschaftlern zu erwarten ist, ein differenziertes Bild zeichnen. Aber eine Problemanzeige will ich gleich vorwegschicken. Die Kirche hat aus meiner Sicht in einem zentralen Punkt nicht gut auf die Corona-Krise reagiert: Sie hat die Pandemie als ein Problem für die Gottesdienste wahrgenommen und das ist sehr, sehr fragwürdig, wie ich finde.

DOMRADIO.DE: Das heißt, die Kirche hat es zu sehr auf diesen Bereich beschränkt?

Jürgens: Genau, zumindest in der reflektierten Wahrnehmung, in der medialen Darstellung, hat die Kirche eigentlich nur auf dem Liturgie-Ohr geantwortet und hat überhaupt nicht präsent gehabt, dass sie in den Schulen, Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen an vorderster Front gestanden hat und eben einen diakonischen Dienst geleistet hat.

DOMRADIO.DE: Jetzt besteht Kirche für viele Menschen in erster Linie aus dem Gottesdienstbesuch. Das ging nicht mehr oder nur eingeschränkt und es wird möglicherweise auch noch einige Zeit dauern, bis das wieder normal läuft. Was muss die Kirche denn Ihrer Meinung nach jetzt tun?

Jürgens: Bleiben wir bei dem Gottesdienst-Thema, bei dem Verkündigungs-Thema. Da ist in der Tat einiges passiert. Deswegen sage ich es differenziert, nach manchen Anfangsschwierigkeiten, die man natürlich verstehen kann, weil der Shutdown ja total überraschend kam, hat sich einiges getan.

Es ist sehr viel experimentiert worden und es sind viele interessante Dinge entstanden. Alternative Gottesdienstformen, interessante neue digitale Formate, all das muss man sicherlich würdigen. Das wird ja auch im Moment gerade ausgewertet. Es gibt ja die so genannte Contoc-Studie (Churches online in Times of Corona; Anm. d. Red.), die gerade erstellt wird. Das muss man noch abwarten und es wird sicherlich einige sehr interessante Ergebnisse geben, wie man Gottesdienste, wie man Verkündigung, wie man Liturgie auch unter digitalen Verhältnissen interessant betreiben kann.

Aber auch dort ist klar: Was sich verändern muss, ist die Kommunikationsstruktur. Also es reicht nicht, wenn man digital sendet, dass man einfach einen Gottesdienst streamt. Zukunftsfähig ist es nur dann, wenn man die Teilnehmer aktiv in die Kommunikation einbindet.

DOMRADIO.DE: Wobei es einige Gemeinden gibt, die da mehr machen als nur "Gottesdienste zu streamen".

Jürgens: Da gebe ich Ihnen absolut recht. Das nehme ich durchaus wahr. Das meinte ich mit dem differenzierten Bild. Gerade an der Basis ist unermesslich viel Arbeit von Priestern, von Pastoral- und Gemeindereferent*innen, von den Ehrenamtlichen in den Gremien geleiset worden. Da ist sehr viel Kreativität in neue Formate gesteckt worden. Da muss man jetzt mal gucken, was davon beibehalten werden kann. Darin steckt möglicherweise in der Tat sehr viel innovatives Potenzial.

DOMRADIO.DE: Ihr Kollege Professor Spielberg hat vor einigen Monaten im Interview gesagt, dass die Menschen, die sich für die Kirche engagieren, auf einmal enttäuscht festgestellt haben, dass die Kirche nicht systemrelevant sei. Dennoch ist ja gerade Seelsorge enorm wichtig für uns. Wird die Kirche in dieser Krise vielleicht genau deshalb auch eine besondere, wichtige Aufgabe zuteil?

Jürgens: Ich finde ja. Die Kirche hätte eine wichtige Rolle spielen können. Sie ist ihr aus meiner Sicht vor allem deswegen nicht gerecht geworden, weil ihr selbst nicht klar gewesen ist, dass sie in den Pflegeeinrichtungen, in den Kindergärten, in den Schulen und natürlich auch in den Krankenhäusern extrem systemrelevant war, mit ihren Erzieherinnen, mit ihren Pflegekräften, mit ihren Ärzten und Ärzten usw. Das hat die Kirche überhaupt nicht auf dem Schirm gehabt.

Das ist aus meiner Sicht das Hauptproblem, dass die Kirche da nicht präsent gewesen ist. Hinzu kommt natürlich noch etwas ganz anderes. Spätestens seit Oktober wird das ganze Thema durch den Kölner Skandal überlagert, sodass die Kirche eigentlich überhaupt nicht mehr wahrgenommen wird, sondern im Moment ist Kirche ganz unithematisch "Missbrauch" bzw. "gescheiterte Aufarbeitung des Missbrauchs".

DOMRADIO.DE: Jeder von uns hat in der Pandemie irgendwie dazugelernt. Schule muss digitaler werden. Die Arbeit muss nicht immer im Büro stattfinden. Was können wir für Kirche und Religion aus dieser Krise mitnehmen?

Jürgens: Zweierlei würde ich sagen. Natürlich geht auch das Thema Digitalisierung an der Kirche nicht vorbei. Deswegen ist es extrem wichtig, dass Kirche wirklich große Erfahrung in der Digitalisierung von Gottesdienstangeboten gesammelt hat.

Das andere ist, dass sich die Kirche ihrer diakonischen Dimension bewusster werden sollte. Das hat was mit dem Selbstverständnis zu tun und natürlich auch mit der Würdigung derjenigen, die in diesen diakonischen Berufen arbeiten.

Das Interview führte Carsten Döpp.


Quelle:
DR