Zehn Jahre vor dem Reformationsjubiläum wird in Wittenberg 2008 die Luther-Dekade eingeläute

Auf dem Weg zu einem protestantischen Rom?

Der 500. Geburtstag der Reformation steht zwar erst 2017 an. Doch schon jetzt liefern sich in Wittenberg Kirchen ein Rennen um die besten Plätze. Wenn das große Jubiläum steigt, wollen alle dabei sein - und das Festprogramm prägen. "Das ist schon wie ein Wettlauf", denkt sich derzeit nicht nur der Direktor der Stiftung Luthergedenkstätten, Stefan Rhein. Wittenberg wird die kommenden zehn Jahre Mittelpunkt der "Luther-Dekade" sein. Von der heute 47.000 Einwohner zählenden Elbestadt ging einst die kirchliche Reformbewegung aus.

Autor/in:
Karsten Wiedener
 (DR)

An die Tür der Schlosskirche soll der Augustinermönch Martin Luther 1517 seine berühmten 95 Thesen angeschlagen haben. Und nur wenige Schritte davon entfernt befindet sich seit seinem Tod 29 Jahre später sein Grab.

Um sich rechtzeitig auf das Jubiläum einzustimmen, fällt bereits im kommenden September der Startschuss für eine "Luther-Dekade". Im Mittelpunkt des zehn Jahre dauernden Veranstaltungsprogramms soll die Elbestadt stehen. Mit dem bisherigen Leiter der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt, Stephan Dorgerloh, hat die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) vor Weihnachten dafür sogar einen hauptamtlichen Sonderbeauftragten berufen.

Die EKD plant zudem die Gründung einer weiteren Luther-Stiftung, nachdem vor Wochen bereits eine erste mit Hilfe einer privaten Millionenspende ins Leben gerufen worden war. Bereits vor einem Jahr hatte die EKD just in Wittenberg ihren "Zukunftskongress" abgehalten.

Auch die Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands (VELKD), in der sich innerhalb der EKD die lutherischen Landeskirchen zusammengeschlossen haben, ist nicht untätig. Durch Einrichtung einer Pfarrstelle will sie zusammen mit dem Lutherischen Weltbund (LWB) Wittenberg zu einem Zentrum des Luthertums machen. Innerhalb des LWB gibt es sogar Überlegungen, den internationalen kirchlichen Dachverband von Genf sozusagen an das Grab Luthers zu verlegen.
"Hier bewegt sich ein Karussell an Umverteilung und Neuansiedlung", beobachtet Oberbürgermeister Eckhard Naumann (SPD). Die Stadt sei gerade dabei, dem LWB ein Immobilienangebot zu unterbreiten. Bei der für 2010 erwarteten Entscheidung muss sich Wittenberg gegen die Konkurrenten Bratislava und Jerusalem durchsetzen.
Ganz reibungslos wird die "Luther-Dekade" allerdings nicht verlaufen.
So deuten sich Spannungen mit der Missouri-Synode an, die laut Naumann bereits das alte Gymnasium gekauft hat und ausbauen will. Die zweitgrößte lutherische Kirche in den USA mit 2,6 Millionen Mitgliedern hat sächsische Wurzeln, ist zunehmend in Osteuropa aktiv und deutlich konservativer als die anderthalb mal so große Evangelical Lutheran Church in America (ELCA), die in der Elbestadt bereits ein "Wittenberg Center" eröffnet hat.
Angesichts des "ultrakonservativen" Kurses der Missouri-Synode, in der Frauen nicht Pfarrer werden dürfen, befürchtet der Wittenberger Theologe Friedrich Schorlemmer einen "schwierigen Wettlauf". Der evangelische Propst der Stadt, Siegfried Kasparick, berichtet auch von ersten Missionierungsversuchen einzelner Vertreter, spricht aber dennoch von einem guten Kontakt zur Spitze der US-Kirche.
"Zumindest für die Lutheraner ist Wittenberg so etwas wie Rom für die Katholiken und Mekka für die Moslems", betont Oberbürgermeister Naumann. Angesichts der anhaltend schwierigen Lage in Ostdeutschland hofft die Stadtverwaltung natürlich darauf, die Zahl von bislang 400.000 Touristen pro Jahr noch steigern zu können.
Beim EKD-Beauftragten Dorgerloh kommen solche Sprüche allerdings gar nicht gut an. "Um Gottes Willen" nicht Wittenberg zu Rom und den Vatikan machen, warnt er. Bei der Dekade gehe es darum, die Stadt als
Erinnerungs- und Begegnungsort zu etablieren. Dabei dürfe aber auch die selbstkritische Besinnung auf die "problematischen Wirkungen" der Reformation wie etwa der konfessionellen Spaltung Europas nicht zu kurz kommen, mahnt Friedenspreisträger Schorlemmer.
Zu tun haben bis 2017 aber auch noch die Historiker. Denn nach den vorliegenden Forschungsergebnissen erscheint es fraglich, ob Luther tatsächlich seine Thesen am 31. Oktober 1517 an die Schlosskirche schlug. Die Originaltür selbst kann nicht mehr untersucht werden. Sie ist bereits 1760 im Siebenjährigen Krieg verlorengegangen.