Zehn Jahre Grabeskirche St. Bartholomäus in Köln

"Ein gemachtes Nest des Zuhörens"

Die Bestattungskultur erlebt gerade einen enormen Wandel. Immer mehr Menschen lassen sich einäschern. Auch die Beisetzung im Kirchenraum verzeichnet einen Trend. Was daran attraktiv ist, weiß Theologin Doris Dung-Lachmann.

 Vor den Urnengräbern findet viel Begegnung und Beziehung statt. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Vor den Urnengräbern findet viel Begegnung und Beziehung statt. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

DOMRADIO.DE: An diesem Wochenende feiern Sie in der Grabeskirche St. Bartholomäus ein kleines Jubiläum. Wie schauen Sie auf die vergangenen zehn Jahre und die Entwicklung dieser Kirche zu einem Kolumbarium zurück? Schließlich geht es hier ja nicht nur um einen Ort der Trauer und des Trostes, sondern auch um ein Wirtschaftsunternehmen im Kirchensystem…

Doris Dung-Lachmann ist Seelsorgerin und Bestattende in der Grabeskirche. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Doris Dung-Lachmann ist Seelsorgerin und Bestattende in der Grabeskirche. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Doris Dung-Lachmann (Pastoralreferentin im Sendungsraum Bickendorf, Ehrenfeld, Ossendorf): Die Veränderung von St. Bartholomäus von einer Pfarr- zu einer Grabeskirche ist eine Art glücklicher Notfall. In der Zeit, als dieses Gotteshaus zunehmend weniger genutzt wurde, standen wir vor der Herausforderung, Gebäude abbauen zu müssen. 

Schon um die Jahrtausendwende hatten wir uns die Frage gestellt, was wird eines Tages aus dieser Kirche und wie können wir dann hier trotzdem noch würdig den Geist Gottes spürbar werden lassen. Damals haben sich Ehrenamtler – noch mit Pfarrer Josef Embgenbroich – in Nachbarbistümern umgeschaut, um Anregungen zu sammeln, wie man dort mit umgewidmeten Kirchen umgeht. Aus vielen Überlegungen ist schließlich die Idee zu einer Grabeskirche entstanden. 

Doch als dann das Vorhaben gereift war, hat Kardinal Meisner unseren Plänen eine Absage erteilt, die auf der Begründung fußte, dass die Feuerbestattung seiner Meinung nach für Katholiken nicht infrage kommt. Davon war er fest überzeugt, obwohl sich das Bestattungswesen bereits zu diesem Zeitpunkt stark veränderte – wenn auch noch nicht so rasant wie heute, wo wir fast 80 Prozent Urnenbeisetzungen haben. 

Doris Dung-Lachmann

"Am Ende verdanken wir diese Kirche wesentlich den Ehrenamtlern in unserer Gemeinde".

Am Ende verdanken wir diese Kirche wesentlich den Ehrenamtlern in unserer Gemeinde, die mit ihrer juristischen und betriebswirtschaftlichen Expertise genug Kraft hatten, diese Idee an den späteren leitenden Pfarrer Klaus Kugler heranzutragen, mit ihm gemeinsam dieses Projekt Grabeskirche in Eigenregie auf die Beine zu stellen und das Gebäude in ein seelsorglich gebundenes und dennoch wirtschaftlich funktionierendes Unternehmen umzuwidmen. 

DOMRADIO.DE: Was bedeutete das konkret? 

Dung-Lachmann: Was man hier sieht, sind die Außenmauern, das Dach und die Grundrisse der alten Pfarrkirche St. Bartholomäus. Neu sind die Urnengrabstellen, der Standort des Altares, der Goldvorhang, die Beleuchtung – das, was sie zur Grabeskirche macht und selbst finanziert wird. Auch die Leitungsstelle an dieser Kirche finanziert die Grabeskirche selbst – im Grunde alles, was man für einen kompletten Friedhof braucht und was durch die Menschen, die sich hier bestatten lassen, refinanziert werden muss. Nur so ist garantiert, dass sich die Kirche auch finanziell selbst trägt.

DOMRADIO.DE: St. Bartholomäus liegt in einem dicht besiedelten Wohngebiet. Wie kam es, dass diese Kirche mit einem Mal ausgedient hatte?

Dung-Lachmann: In den späten 50er Jahren, als diese Kirche gebaut wurde, boomte das Pfarrleben geradezu. Es zogen viele Menschen hierher, die in den Ehrenfelder Betrieben Arbeit fanden und für die Glaube und Kirche eine große Rolle spielten. Sie suchten in dieser arbeitergeprägten Ecke des Viertels die Loslösung vom bürgerlichen Teil und von der Pfarrgemeinde St. Rochus. 

Der Kreuzweg wurde von dem tschechischen Künstler Ludek Tichy geschaffen.  / © Chris Franken (privat)
Der Kreuzweg wurde von dem tschechischen Künstler Ludek Tichy geschaffen. / © Chris Franken ( privat )

Man wollte eine eigene Kirche, die dann mit viel Herzblut gebaut und bis in die 90er Jahre sehr belebt wurde. Gleichzeitig zogen allerdings auch immer mehr Muslime in die Straßen um St. Bartholomäus, so dass sich hier eine klare gesellschaftliche Wende vollzog. Die Generation, die zum Aufbau des kirchlichen Lebens an St. Bartholomäus beigetragen hatte, wurde älter, und nur noch wenige stemmten das Gemeindeleben. Die Kirche schien zeitweise fast verwaist. 

Das war eine Zäsur, in der dann mit Beginn der Gemeindefusion aus St. Rochus, St. Bartholomäus und Heilige Drei Könige der Kirchenvorstand, der Pfarrgemeinderat und weitere engagierte Ehrenamtler nach einer Lösung suchten, die finanziell tragbar war und die dennoch gewährleistete, dass diese Kirche als spiritueller Ort erhalten bleiben konnte. 

DOMRADIO.DE: Hinter diesem Konzept stecken viele Überlegungen und Ideen, die – Sie sagten es schon – anfangs auch nicht unumstritten waren. Was soll hier heute im Kern erfahrbar werden? 

Doris Dung-Lachmann

"Letztlich soll hier auch und vor allem Beziehung erfahrbar werden, eine Beziehung zwischen Gott und den Menschen über den Tod hinaus."

Dung-Lachmann: Diese Frage zielt auf die Seele dieser Kirche ab. Letztlich soll hier auch und vor allem Beziehung erfahrbar werden, eine Beziehung zwischen Gott und den Menschen über den Tod hinaus. Gott spricht uns durch Jesaja zu: "Ich habe deinen Namen in meine Hand geschrieben“ – diese zugesagte Beziehung ist uns ein Leitsatz in der Grabeskirche, was in der gefüllten Stille, den spirituellen Elementen ihrer Ausstattung, im Gebet und in der Beziehung zwischen den Menschen hier an diesem Kirchort erfahrbar sein kann. 

Der goldene Vorhang umrahmt den liturgischen Bereich der Grabeskirche.  / © Chris Franken (privat)
Der goldene Vorhang umrahmt den liturgischen Bereich der Grabeskirche. / © Chris Franken ( privat )

Auf vielfältige Weise deutlich wird das in der Begegnung mit Menschen des "Ich-bin-da-Teams", des Begrüßungsteams dieser Kirche – sie sind quasi das offene Ohr der Grabeskirche. Und dann wachsen immer auch Beziehungen zwischen den Angehörigen untereinander, die sich hier begegnen. 

Bei uns gibt es keine Schließkarte oder einen Zahlencode, wie das sonst bei Grabeskirchen üblich ist, hier öffnen Menschen die Türe. Und sie öffnen gleichzeitig – wie gesagt – auch ihr Ohr und Herz für die, die kommen. Und daraus entsteht eine wirklich warme Beziehung. Für manche entsteht hier auch ein Stück Heimat.

DOMRADIO.DE: Führt dieses Team denn auch Seelsorgegespräche? 

Dung-Lachmann: Letztlich ist ja jedes Zuhören schon Seelsorge – da passiert ganz viel, wenn Menschen sich einfach angenommen wissen oder wenn verlässlich das symbolische Kerzchen angezündet wird. Hier kennt man sich. Angehörige müssen sich nicht erklären, sie kommen in ein gemachtes Nest des Zuhörens. 

Die Plastik mit dem Auferstandenen sei für die Spiritualität des Raumes wichtig, sagt die Theologin Dung-Lachmann. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Die Plastik mit dem Auferstandenen sei für die Spiritualität des Raumes wichtig, sagt die Theologin Dung-Lachmann. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Und wenn es ein schwieriger Tag ist, zum Beispiel der Hochzeits- oder Todestag eines lieben Verstorbenen, oder innerhalb der Trauer gerade ein Tal erreicht wird – dann tut ihnen das eben besonders gut. Immer gibt es Beziehung: manchmal kurz, manchmal mehr, in jedem Fall ist verlässlich jemand da. Und wer eine intensivere Begleitung benötigt, kann an mich oder eigens geschulte ehrenamtliche Trauerbegleitende in der Gemeinde weiterverwiesen werden.

DOMRADIO.DE: In St. Bartholomäus geht es um individuelle Trauerwege und unterschiedliche Zugänge zu Spiritualität. Beobachten Sie, dass das Aufbrechen strenger Konfessionalität dem Bedürfnis der Menschen entgegenkommt? Es geht ja um Transzendenz in ihrer ganzen Weite und dann auch doch wieder ganz konkret um den christlichen Glauben…

Doris Dung-Lachmann

"Was dagegen mehr wird, sind Menschen, die aus der Kirche ausgetreten sind, tausend Fragen haben oder sagen: 'Ich gehöre eigentlich nirgends hin, aber irgendetwas hier spricht mich an.'“

Dung-Lachmann: Das Aufbrechen aus jeglichen festgefügten christlichen Traditionen ist nahezu Tagesgeschäft. Es wird eher seltener, dass Menschen aus einer Tradition kommen, in der sie unsere Gebetsworte, wie wir sie pflegen, noch fühlen oder mit Inhalt füllen können. Was dagegen mehr wird, sind Menschen, die aus der Kirche ausgetreten sind, tausend Fragen haben oder sagen: "Ich gehöre eigentlich nirgends hin, aber irgendetwas hier spricht mich an.“ Das ist die Regel. 

Ausdrucksstark ins Szene gesetzt, Jesus fällt unter dem Kreuz.  / © Beatrice Tomasetti (DR)
Ausdrucksstark ins Szene gesetzt, Jesus fällt unter dem Kreuz. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Es ist immer noch wunderbar, wenn ich hier Menschen beisetzen darf, mit denen wir als Gemeinde schon lange Wege gegangen sind. Aber genauso ist dieser Ort eine tolle Chance, Menschen anzusprechen, die von außen kommen. Manche sagen: Es ist die Kunst, die mich aufbrechen lässt. Oder: Hier kommen auf einmal alle meine Fragen hoch. 

DOMRADIO.DE: Können sie ein Beispiel für dieses neue Suchen nennen?

Dung-Lachmann: Erst neulich hatte ich eine Beisetzung, bei der das patriarchale Gottesbild abgelehnt wurde. Da sagte jemand: "Auch wenn ich so groß geworden bin, halte ich diese Patriarchalität in der Kirche, so ein Wort wie ‚Herr’ nicht mehr aus. Es soll doch die göttliche Liebe spürbar werden – auch in der Zeremonie und in den Gebeten."

Da gilt es dann, eine Brücke zu finden zwischen der christlichen Verwurzelung und dem, was diesem Menschen ehrlichen Herzens die Möglichkeit eröffnet, in einen wirklich weiten Raum der Spiritualität einzutreten. In solchen Situationen sind wir dann gefordert, uns auseinanderzusetzen und neue Schritte zu gehen, auch unsere Sprache und unsere dogmatischen Grenzen auf ihren eigentlichen Wesensgehalt hin auszuloten und neu zu denken. Ich bin davon überzeugt, dass gerade die suchenden Menschen hier genau das tun, wofür die Grabeskirche steht und wozu sie einlädt. 

DOMRADIO.DE: Nämlich?

Dung-Lachmann: Zu einer offenen Auseinandersetzung mit dem eigenen Leben, dem eigenen Tod und einer Spiritualität, die uns durch den Tod hindurch trägt. Für uns heißt das, dass dieser Gott, der sich als "Ich bin der Ich bin (da)" selbst verkündet, der sich in Jesus Christus wirklich greifbar gemacht hat, durch den Tod hindurch in eine spirituelle Gegenwärtigkeit trägt, die wir nicht mehr ausdrücken können. Dafür offen zu sein, vielleicht mit unserer Hilfe neue spirituelle Wege zu wagen – das ist das, was wir in dieser Kirche anbieten.

Die Ehrenfelder Grabeskirche steht für individuelle Trauerwege und verdankt sich dem Engagement vieler Ehrenamtlicher. / © Chris Franken (privat)
Die Ehrenfelder Grabeskirche steht für individuelle Trauerwege und verdankt sich dem Engagement vieler Ehrenamtlicher. / © Chris Franken ( privat )

Und da ist die Kunst ganz klar ein Türöffner. Die Menschen machen eine Tür auf und stehen in diesem kunstvollen Raum. Manchmal denke ich, die atmen hier regelrecht die Kunst, die Lichtführung, diese spirituelle Anmutung. Und das holt sie ab bei ihren Fragen, das lässt sie buchstäblich den Blick nach oben in eine völlige Offenheit heben. Hinzu kommt die Stille, die mir persönlich heilig ist. Auch sie ist ein ganz wesentlicher Aspekt. 

DOMRADIO.DE: Die schlichte Gestaltung und auch die Lichtkunst spielen, sagen Sie, eine nicht unbedeutende Rolle bei der Auseinandersetzung mit diesem sehr speziellen Raum, der dennoch eine ganz klare Aufforderung enthält. Können Sie denn – so wie Sie es schildern – überhaupt noch die christliche Botschaft der Auferstehung platzieren und mit Ihrem christlichen Grundverständnis kommen?

Dung-Lachmann: Absolut. Das ist auch der letzte Boden dieser Kirche. Wir fragen nach keiner Konfession, nicht mal nach einem Glauben, aber die Menschen müssen innerlich einstimmen können in ein weites christliches Feiern von Tod und Auferstehung, von Leid, Grenze und Hoffnung. 

Wie auf einem Friedhof gibt es Einzel- und Doppelgrabstellen. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Wie auf einem Friedhof gibt es Einzel- und Doppelgrabstellen. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Wenn sie das können, sind sie hier richtig. Das versuchen wir ihnen auch in der Feier der Beisetzung entgegenzubringen. Und da sind die – bei allen kirchlichen Beisetzungen immer gern zitierten – Bildworte etwa aus dem Johannes-Evangelium natürlich hilfreich, wenn es da heißt, Jesus geht, uns einen Platz, ein Zuhause zu bereiten. Solche Worte kann man Menschen wie einen warmen Mantel umhängen. Dann wird ihnen ein solches Wort spürbar und durch das Spürbare hindurch verständlich. 

DOMRADIO.DE: Welchen Wunsch haben Sie für die Zukunft dieser Kirche?

Dung-Lachmann: Dass sie bleibt, was sie ist. Dass sie in die Zukunft mit dem Lebensangebot für die Menschen, das sie zur Zeit bereit hält, Bestand haben kann. Und ich wünsche mir, dass uns die Menschen nicht ausgehen, die aus diesem Geist atmen können und sagen: Hier mache ich mit. 

Das Interview führte Beatrice Tomasetti.

Zehn Jahre Grabeskirche St. Bartholomäus in Köln

Zum zehnjährigen Bestehen der Grabeskirche wird an diesem Sonntag um 11.30 Uhr ein ökumenischer Gottesdienst mit Doris Dung-Lachmann, Pastoralreferentin, und Kristina Tsoleridis, evangelische Pastorin, gefeiert. Im Anschluss wird die Ausstellung "Spirit of Color" des Künstlers Christoph Gesing eröffnet. Am 25. Januar findet nach der Abendmesse um 18.30 Uhr ein Themenabend mit Jan Opiéla, Leiter der Seelsorge für Roma und Sinti im Erzbistum und in Deutschland, statt mit dem Titel: "Grabmonumente – Spuren über den Tod hinaus – eine Glaubensreflexion".

Dieser Raum hat etwas Besonderes, finden viele Menschen, die von außen kommen.  / © Chris Franken (privat)
Dieser Raum hat etwas Besonderes, finden viele Menschen, die von außen kommen. / © Chris Franken ( privat )
Quelle:
DR