ZdK-Präsident Sternberg spricht über Ökumene

"Ich bin hoch erstaunt"

Große Worte: Thomas Sternberg, Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken zu den Hintergründen des Versöhnungsgottesdiensts in Hildesheim.

Kardinal Marx und Landesbischof Bedford-Strohm / © Corinna Kern (dpa)
Kardinal Marx und Landesbischof Bedford-Strohm / © Corinna Kern ( dpa )

domradio.de: In Hildesheim fielen große Worte, es sei ein "Tag der Hoffnung" gewesen. Bundespräsident Gauck hat davon gesprochen "ein geistliches Wunder" erlebt zu haben. Höher kann man das nicht ansetzten, oder?

Thomas Sternberg, Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK): Ich denke schon, dass wir gestern etwas ganz Außergewöhnliches erlebt haben. Man muss sich vorstellen: Da feiert die evangelische Kirche in Deutschland 500 Jahre Reformation, 500 Jahre seit dem Thesenanschlags Martin Luthers - und das feiern wir gemeinsam, katholisch und evangelisch, in einem großem Gottesdienst, in dem sich evangelische und katholische Christen gegenseitig versichern, dass sie über die Aufarbeitung ihrer Geschichte und auch ihrer Verletzungen und gegenseitigen Herabsetzungen zu einem besseren und neuen Miteinander kommen wollen. Das war außerordentlich bewegend.

domradio.de: Das Bewusstsein, dass man sich vorher viel Leid zugefügt hat, besteht ja schon länger. Was war gestern neu?

Sternberg: Das ist richtig, aber das Besondere war gestern, dass offensichtlich wurde, dass die Ökumene einen Punkt erreicht hat, der hier so markiert worden ist, dass man dahinter nicht zurück kann. Auch die Selbstverpflichtungen, die Kardinal Marx und Bedford-Strohm vorgetragen haben, zeigen, dass da eine ökumenische Absichtserklärung da ist, die sich nicht damit zufrieden gibt, zu sagen: "Es läuft doch im Grunde ganz gut, lass es so mal weiter laufen." Nein, es gibt die klare Absicht, den erreichten Stand weiter fortzuführen und eine noch engere Zusammenarbeit zu schaffen.

domradio.de: Stimmen Sie mit dem Bundespräsidenten Joachim Gauck überein, wenn er sagt, dass die Christen in diesem Land eine größere Chance haben, wenn sie ökumenische Sache machen?

Sternberg: Das stimmt ganz ohne jede Frage! In den politischen Dingen machen wir das auch schon lange. Die katholischen und evangelischen Büros in den Ländern und wir als ZdK sprechen uns mit den evangelischen Glaubensgeschwistern ab, wenn wir politische Dinge vorhaben. Denn natürlich: Schon allein von der Zahl her sind wir gemeinsam eine gute Mehrheit in diesem Land.

domradio.de: Wenn man sich bewusst ist, dass man gemeinsame Sache machen möchte, welche konkreten Schritte müssten als nächstes folgen?

Sternberg: Ich denke, was ganz dringend ansteht, ist die weitere Arbeit an der Frage der gemeinsamen Zulassung zum Abendmahl und zur Eucharistie. Auch wenn die Schrift, die zu dem Thema nun erschienen ist, davon spricht, dass in vielen Gemeinden das pastoral gelöst sei, sind doch die konfessionsverbindenden Ehen nach wie vor davon belastet, dass es zumindest offiziell für Protestanten keine Zulassungen gibt.

domradio.de: Wie geht es Ihnen ganz persönlich mit der ökumenischen Bilanz?

Sternberg: Das ist schon eine enorme Veränderung passiert in den letzten dreißig Jahren. Das, was hier gestern möglich geworden ist und sich hier gezeigt hat, das war vor drei Jahrzehnten so nicht denkbar. Da ist sehr viel passiert. Und noch mal: Ein großes Kompliment an unsere evangelischen Glaubensgeschwister, dafür, dass sie ihr 500-jähriges Reformationsjubiläum so konzentriert und eindeutig als Christusfest feiern und mit Christus gemeinsam auf die Ökumene zugehen.

domradio.de: Im Vorfeld zu diesem Reformationsgedenken, das ja auch seit vielen Jahren vorbereitet wird, gab es viele Bedenken, inwiefern man als Katholik dabei ist und wie sich auch die katholische Kirche daran beteiligen kann. Hat man da nun einen Weg gefunden?

Sternberg: Wenn man sich durchliest, was gestern gesagt wurde, sieht man eine gegenseitige Anerkennung der jeweiligen Leistung der anderen Kirche. Wie etwa von katholischer Seite gesagt wurde, wie viel wir aus der Reformation lernen können und gelernt haben. Und wie die evangelische Seite darauf hingewiesen hat, wie die katholische Kirche als Weltkirche und in ihren Besonderheiten auch bereichernd für die Evangelische Kirche ist: Das ist dann ermutigend, um jetzt in klaren Schritten voranzukommen. Eins sollte nur klar sein: Das Schlimmste, was Ökumene passieren kann, ist sich zurückzulehnen und zu sagen: "So läuft es doch gut und in Ordnung." Nein, Ökumene bleibt weiterhin ein Auftrag, um wirklich zu einer Gemeinsamkeit zu kommen, die dem Willen Jesu im Johannesevangelium entspricht.

domradio.de: Ist es Ihr Wunsch und Ihre Perspektive, dass die 500 Jahre Reformation schon deutlich über die Halbzeit der Trennung hinaus sind?

Sternberg: Das ist meine Hoffnung, ja!

domradio.de: Im Gottesdienst gestern wurde ein schweres Kreuz benutzt, zuerst als Barriere, die vor dem Altar als Sperre aufgerichtet wurde und die später zu einem Kreuz aufgerichtet wurde. Ist das ein Zeichen für das Verhältnis?

Sternberg: In der Liturgie wurde das zu einem außerordentlich wirkungsvollen Zeichen, zumal junge Menschen dieses Kreuz hochhoben und auch eine Weile stehen blieben. Hier setzten sie wirklich ein Zeichen, wie man so eine Sperre - es sah aus wie eine Panzersperre - so aufrichten kann, dass sie zum Wegweiser wird. Ich glaube, dass dieser Gottesdienst tatsächlich seinen bildlichen Ausdruck in dieser liturgischen Handlung fand. Großes Kompliment dafür an Pater Abraham von der Abtei Königsmünster in Meschede, der das ausgeführt und ins Bild gebracht hat.

domradio.de: In der gemeinsamen Predigtansprache haben Kardinal Marx und Landesbischof Bedford-Strohm als Vorsitzender des EKD-Rats gemeinsam gesprochen, gemeinsam Amen gesagt. Wie sehen sie die Rolle der beiden?

Sternberg: Es ist eine wahrscheinlich auch erfreuliche Konstellation in diesem Jahr, dass sich hier zwei geistliche Häupter der beiden Kirchen in Deutschland so gut verstehen, dass sie wirklich eine sehr gute, gemeinsame Basis haben, die nicht zuletzt darin liegt, dass beide auch sehr stark diakonische, sozial-karitativ denken.

domradio.de: Liegt es dann im Endeffekt doch wieder an persönlichen Beziehungen, dass sich da etwas fortentwickeln kann?

Sternberg: Das spielt immer eine Rolle: Man wird nie solche Prozesse allein von der wissenschaftlichen Aufarbeitung oder vom Kopf her denken können, da spielen immer persönliche Beziehungen eine Rolle. Das gilt auch für die Ökumene vor Ort. Denn auch in unseren Gemeinden klappt Ökumene deswegen gut, weil sich die Gemeinden kennengelernt und gemerkt haben, dass sie vielleicht gar nicht so verschieden sind und sie sich dann auch vielleicht erzählt haben, welche misslichen Vorurteile es vom einen über den anderen gibt, um dann festzustellen, dass sie so gar nicht sind. Dann kann man auf dieser persönlichen Ebene Gemeinschaft finden.

domradio.de: Aus Ihren Worten höre ich eine Hoffnung heraus. Vor ein paar Jahren hat man dagegen noch von einer großen Krise im Dialog gesprochen, weil es ein Familienpapier der Evangelischen Kirche gab, es gab theologische Differenzen. Sehen Sie dahingehend auch einen Schritt in die richtige Richtung gemacht?

Sternberg: Da gab es im Gottesdienst gestern ein paar kleine Nebentöne, die waren ganz bezeichnend. Es wurde gesagt, dass man sich selbst verpflichtet, auch in den ethischen Fragen noch stärker aufeinander zu hören, bevor man an die Öffentlichkeit geht. Das ist eine ganz wichtige Feststellung, denn natürlich gibt es auch Unterscheide, in einigen Haltungen. Aber die sollen nicht sofort veröffentlicht und gegeneinander gestellt werden, sondern die sollen sich erst mal darüber geschwisterlich auseinandersetzen und beraten, um zu einem letztlich gemeinsamen Auftreten zu kommen.

domradio.de: Nun sind es noch acht Monate, bis der Jahrestag genau da ist. Was erwarten Sie sich davon und vom ganzen Reformationsjahr?

Sternberg: Ich muss sagen, dass ich als Katholik über dieses Reformationsjahr so erstaunt bin, dass ich mir noch weitere solcher kleinen Wunder erhoffe. Ich bin hoch erstaunt. Im Grunde hätte man gedacht, in diesem Jahr, 2017, hält man sich als Katholik in Deutschland etwas zurück und lässt die Evangelischen ihr Jubiläum feiern. Dass das Ganze dann so ökumenisch wird, das erfreut sehr. Ich denke, wir sollten als Katholiken überall bereit sein, mitzumachen und dieses große Christusfest mitzufeiern.

Das Interview führte Matthias Friebe.


Michaeliskirche in Hildesheim / © Julian Stratenschulte (dpa)
Michaeliskirche in Hildesheim / © Julian Stratenschulte ( dpa )
Quelle:
DR