Worin besteht heute der Kernauftrag von Altenpastoral?

"Es reicht nicht, alte Menschen wertzuschätzen"

Ältere und alte Menschen können in der Kirche noch viel Kompetenz und Erfahrung einbringen. Das sollten die Gemeinden im Blick haben und verstärkt auf das Miteinander der Generationen setzen, findet Ute Aldenhoff.

Senioren mit bunten Fackeln / © Beatrice Tomasetti (DR)
Senioren mit bunten Fackeln / © Beatrice Tomasetti ( DR )

DOMRADIO.DE: Frau Aldenhoff, 2021 hat Papst Franziskus zum ersten Mal den Welttag für Großeltern und Senioren ausgerufen. Seitdem wird dieser jährlich am vierten Sonntag im Juli begangen. Welcher Auftrag erwächst Ihnen daraus?

Ute Aldenhoff tritt für ein Miteinander der Generationen ein. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Ute Aldenhoff tritt für ein Miteinander der Generationen ein. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Ute Aldenhoff (Referentin in der Altenpastoral): Franziskus nimmt mit diesem Welttag Bezug auf die Gedenktage der Großeltern Jesu, der Heiligen Anna und Joachim. Es ist ihm ein Anliegen, das christliche Miteinander der Generationen zu fördern. Denn alte Menschen spielen für den Papst eine wichtige Rolle bei der Verkündigung und der "Hinführung junger Menschen zum Glauben", wie er sagt. Gleichzeitig lassen sich alte Menschen gerne inspirieren durch die Begegnungen mit den Jüngeren, erleben mit ihnen Altes neu oder anders und bleiben damit aktiv.

Gerade hinsichtlich des demografischen Wandels mit seinen unterschiedlichsten Herausforderungen auf der einen sowie den derzeitigen globalen Konflikt- und Reizthemen auf der anderen Seite ist das friedfertige Miteinander der Generationen wichtiger denn je für eine funktionierende Gemeinschaft: gesellschaftlich wie kirchlich. Wir beobachten, dass die älter werdende Gesellschaft bei den Jüngeren, aber auch schon bei der großen Gruppe der Babyboomer, die auf dem Weg ins Alter ist, Ängste und Sorgen auslöst. Dazu gehören Fragen wie: Lässt sich dauerhaft überhaupt die Pflege finanzieren? Was passiert mit mir selbst, wenn ich alt bin und weniger selbstbestimmt leben kann als erhofft? Wie bekomme ich die Vereinbarkeit von der Sorge um die eigene Familie mit der Betreuung der älter werdenden Eltern hin?

Diese Ängste treffen auf die aktuellen Themen Krieg, Flüchtlingsbewältigung und Klimawandel, was schnell dazu führen kann, die Generationen – gerade bei der Umweltschutzdebatte – gegeneinander auszuspielen und an die Älteren den Vorwurf zu richten: Ihr habt nicht rechtzeitig Verantwortung übernommen. Tatsache ist, dass wir nur gemeinsam Lösungen für diese konfliktbehafteten Probleme finden können – eben im Miteinander aller Altersgruppen. Und da hilft auch keine Zuspitzung in der Sprache mit Begriffen wie "Generationenkrieg" oder "Generationengerechtigkeit". Hier müssen wir viel sensibler werden.

DOMRADIO.DE: Was ist Ihr Anliegen?

Ute Aldenhoff

"Dem Miteinander der Generationen kommt eine Schlüsselrolle zu. Es geht darum, Jung und Alt miteinander ins Gespräch zu bringen und gemeinsame Lern-, Handlungs- und Erfahrungsräume zu eröffnen – gerade auch in den neuen großen pastoralen Einheiten."

Aldenhoff: Kirchliche Seniorenarbeit versteht sich als Seelsorge mit und für älter werdende und alte Menschen sowie als Anwalt dieser Menschen, die sich noch aktiv mit dem, was sie können und was sie vielleicht jahrzehntelang an Kompetenz in ihr Gemeindeleben investiert haben, einbringen. Dabei kommt – wie gesagt – dem Miteinander der Generationen eine Schlüsselrolle zu. Es geht darum, Jung und Alt miteinander ins Gespräch zu bringen und gemeinsame Lern-, Handlungs- und Erfahrungsräume zu eröffnen – gerade auch in den neuen großen pastoralen Einheiten. Außerdem soll hochbetagten Menschen mit besonderem Unterstützungsbedarf weiterhin ein selbstbestimmtes Leben in Würde ermöglicht werden. Es reicht nicht, die Alten wertzuschätzen. Vielmehr wollen wir den christlichen Glauben und die daraus gelebten gemeinschaftlichen Werte und Rituale intergenerativ ins Gespräch bringen und damit ins Leben holen.

Der Glaube spielt für alte Menschen oft noch eine große Rolle. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Der Glaube spielt für alte Menschen oft noch eine große Rolle. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

DOMRADIO.DE: Wie sieht das konkret aus?

Aldenhoff: In diesem Jahr haben wir eine interaktive Postkarten-Aktion ins Leben gerufen, die niederschwellig in beide Richtungen Kontakt herstellen soll. Auf den mit Zeichnungen und Collagen versehenen Karten stehen Sätze wie "Schön, dass es Dich gibt" oder "Wir könnten mal wieder zusammen…". Diese Impulse sollen dabei helfen, konkrete Begegnungssituationen zu schaffen und sind mit ihren kurzen Textbotschaften gleichermaßen für Großeltern, Kinder und Enkel geeignet. Sie können mit der Post geschickt oder persönlich überreicht werden. Wir wollen damit nur etwas anstoßen; was dann konkret daraus wird, entscheidet jeder selbst. Da sind wir ganz auf die Ideen von denjenigen angewiesen, die bei der Aktion mitmachen: Schulen, Seniorenheime... Natürlich freuen wir uns über viele Rückmeldungen, wie und wo die Karten genutzt wurden und welche Wirkung sie hatten.

Zusätzlich feiern wir als Altenpastoral im Erzbistum Köln gemeinsam mit dem "Forum kirchliche Seniorenarbeit" schon seit 2014 immer den "internationalen Tag der älteren Generationen" am 1. Oktober, der eine große Öffentlichkeit hat und bei dem auch die Kirche präsent ist. Bei dieser Initiative können sich haupt- und ehrenamtlich engagierte Menschen aller Altersgruppen aus der Bildung, Beratung und Begleitung, den Gemeinden, Seniorenheimen etc. interdisziplinär vernetzen und austauschen. In diesem Jahr findet dieses Forum am 19. Oktober im Arbeitnehmer-Zentrum Königswinter unter dem Leitgedanken "Dem Leben Freude schenken" statt.

Füreinander sorgen wird im Alter immer wichtiger. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Füreinander sorgen wird im Alter immer wichtiger. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

DOMRADIO.DE: Sie sprechen gerne von "Altersbildern", wenn Sie die große Gruppe von Senioren, die unter Umständen ja eine Zeitspanne von vier Jahrzehnten erfasst, meinen. Wie kann für eine schon altersmäßig derart heterogene Zielgruppe kirchliche Seniorenarbeit gelingen? Wonach richten Sie sich da bei Ihren Angeboten aus?

Aldenhoff: Ich versuche, mit den und für die Menschen, die sich in der kirchlichen Seniorenarbeit engagieren, da zu sein, sie zu unterstützen und zu begleiten, was durch Impulse geschehen kann, aber auch durch Veranstaltungsangebote. Dabei löse ich mich allerdings von dem Anspruch, alle Altersbilder gleichermaßen ansprechen oder seelsorglich begleiten zu können. Schließlich erreicht man immer nur einen Teil. Unser Angebot richtet sich hauptsächlich an Menschen, die entweder im Alter oder eben mit den älteren Menschen bei unterschiedlichen Schwerpunktthemen engagiert sind. Das heißt, ich fokussiere mich auf diese Gruppe. Themen- und weniger zielgruppenorientierte Initiativen und Angebote haben in unserer Arbeit Vorrang. Auf diese Weise kommt es ganz von selbst zu einer Auswahl von Themen, die gesellschaftlich dran sind.

DOMRADIO.DE: Zum Beispiel?

Aldenhoff: Demnächst steht an, über Einsamkeit zu reden oder das Fördern eines Miteinanders der Generationen. Außerdem soll es in Zukunft um ethische Fragestellungen gehen, zu denen beispielsweise eine Positionierung zu künstlicher Intelligenz in der Pflege und Betreuung gehört. Auch die geistlich-seelsorgliche Begleitung hochalter Menschen ist ein Thema.

DOMRADIO.DE: Schaut man auf die größer werdende Gruppe der Menschen im hohen Alter, so finden sich darunter viele – Sie sagten es schon – die oft über einen langen Zeitraum das Gemeindeleben mitgestaltet, sich gewissermaßen auch darum verdient gemacht haben. Doch heute sind sie oft nur noch Zuschauer – wenn überhaupt – auch weil nicht jede Gemeinde mangels personeller Ressourcen gezielt diese Menschen in den Blick nehmen kann. Was würden Sie sich wünschen?

Ute Aldenhoff

"Es geht ja nicht um Bevormundung, sondern ums Hören, Sehen und Wahrnehmen, wie sich ein gutes generationenübergreifendes Leben gestalten lässt: um eine Begegnung auf Augenhöhe."

Aldenhoff: Dass wir in eine Haltung finden, mit den Menschen bis ins hohe Alter hinein gemeinsam zu leben und weniger für die Menschen mögliche Konzepte zu entwickeln, von denen wir meinen, dass sie gut für sie seien. Denn es geht ja nicht um Bevormundung, sondern ums Hören, Sehen und Wahrnehmen, wie sich ein gutes generationenübergreifendes Leben gestalten lässt: um eine Begegnung auf Augenhöhe. Auf dass wir – Alt wie Jung – aneinander lernen und uns weiterentwickeln und dies ganz im Sinne des Evangeliums und aus dem christlichen Glaubens heraus.

Auch alte und hochbetagte Menschen haben den Wunsch, selbstbestimmt zu leben. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Auch alte und hochbetagte Menschen haben den Wunsch, selbstbestimmt zu leben. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Dazu gehört ein gutes Maß an Ambiguitätstoleranz, das heißt, die Gelassenheit, mitunter auch etwas zu tolerieren, was wir nicht vollends verstehen oder nachvollziehen können. Das ist ja die ganz entscheidende Voraussetzung für ein Miteinander der Generationen und das, was wir letztlich neben der Vertiefung des Glaubens voneinander lernen können. Jedenfalls wäre das mein Wunsch – wohl wissend, dass das für beide Seiten schwer ist. Dazu braucht es vor allem Akzeptanz und Offenheit gegenüber dem Thema "Alter" in den verantwortlichen Teams von Haupt- wie Ehrenamtlichen vor Ort, die sich um das Leben in den Gemeinden kümmern.

DOMRADIO.DE: Alt sein bedeutet mitunter, nicht mehr gesehen zu werden und von daher auch einsam zu sein. In der Generation der alten und hochbetagten Menschen ist das jedenfalls ein besonders großes Thema, gerade wenn das Erleben von Gemeinschaft und Teilhabe wegfällt. Wie kann die Kirche hier gegensteuern?

Aldenhoff: Provokant formuliert, gar nicht. Das Thema Einsamkeit ist so vielschichtig und viel zu komplex, als dass eine "Institution" oder ein "gesellschaftlicher Player" alleine die Möglichkeit hätte, wirkungsvoll darauf einzugehen. Hier braucht es den Zusammenschluss vieler Akteure, wobei Kirche und Seelsorge dabei einen wichtigen Part übernehmen können. Meines Erachtens geht es in einem ersten Schritt darum, das Thema Einsamkeit aus der Tabuzone zu holen – wie es seit einiger Zeit mit dem Thema "Psychische Erkrankungen" und "Depressionen" gelingt. Wie gut, dass in diesem Kontext die "Strategie des Bundesministeriums für Familie gegen Einsamkeit" initiiert wurde, an der auch kirchliche Akteure beteiligt sind.

Aber auch wenn man auf die vielen Beratungseinrichtungen im Erzbistum schaut, gibt es dort sicherlich ein hohes Engagement für Menschen, die unter Episoden der Einsamkeit leiden: zum Beispiel die Telefonseelsorge, die Telefondienste der Malteser oder vor allem die vielen katholischen Ehe-, Familien- und Lebensberatungsstellen und nicht zuletzt die vielfältigen Angebote der Caritas. In den Kirchengemeinden und den vielen kirchlichen Gruppen und Verbänden gibt es darüber hinaus stärkende Strukturen, die mit ihren Angeboten dazu beitragen, dass Menschen Gemeinschaft erleben, Kontakte knüpfen und sich sinnstiftend engagieren können.

Auch von Seiten der Altenpastoral geben wir dem Thema im nächsten April eine größere Bühne. Unter dem Leitgedanken "Über Einsamkeit reden. Kein Tabu. Ein Thema." planen wir mit weiteren Akteuren eine Tagung, die ausgehend von der kirchlichen Seniorenarbeit den Blick auf andere Lebensphasen weitet. Denn in der Tat: Einsamkeit ist nicht ausschließlich eine Frage des Alters.

Das Interview führte Beatrice Tomasetti.

 

Quelle:
DR