DOMRADIO.DE: In der Bibel steht: "Ich war fremd und ihr habt mich aufgenommen". Ist das nicht eine eindeutige Aussage?
Wolfgang Bosbach (Ehemaliger CDU-Bundestagsabgeordneter): Das ist eine eindeutige Fehlinterpretation dessen, was in den letzten Jahrzehnten geschehen ist. Welches Land in der Europäischen Union hat denn mehr Schutzsuchende aufgenommen als Deutschland? Hier wird ja so getan, als wäre unser Land verriegelt und verrammelt. Es wird so getan, als wenn wir das inhumanste Land wären. Tatsächlich ist es genau umgekehrt.
Die aktuelle Flüchtlingspolitik, genauer gesagt die Flüchtlingspraxis in der Europäischen Union, beruht ja darauf, dass die Länder um uns herum fragen, warum sie sich anstrengen sollten. Nach dem Motto: "Die Deutschen machen das schon, die nehmen mit Abstand die meisten auf. Die sind auch das größte Land. Wir wollen gar keine Änderung." Und deshalb ist meine Befürchtung, wird es die EU nicht richten.
DOMRADIO.DE: Abgesehen von der Migrationsdebatte entzündet sich die Kritik bei vielen Leuten an dem sogenannten "Einreißen der Brandmauer zur AfD". Können Sie denn diese Bedenken der Kirche nicht verstehen?
Bosbach: Nein, die kann ich deshalb nicht verstehen, weil es überhaupt kein Einreißen der Brandmauer gibt. Ich bin konservativ, aber im besten Sinne des Wortes. Ich bekämpfe die AfD zu Lande, zu Wasser und in der Luft.
An dem Tag, an dem die CDU gemeinsame Sache mit der AfD machen würde - Kooperation, Koalition, was auch immer - wäre das mein Abschied aus der Union. Das sage ich für viele andere auch.
Aber, und darum geht es im Kern und das verschweigen die Kirchen, wenn bedeutet, dass die Union keine Anträge einbringen darf, wenn die Gefahr besteht, dass die AfD zustimmt, dann bestimmt die AfD, welche Anträge oder Gesetzentwürfe die Union einbringen kann oder nicht. Anders formuliert: Wenn es dabei bleibt, dann bestimmt die Restampel die Politik der Union. Die Restampel möchte uns ja genau da eingeklemmt sehen. Deren Credo lautet: Auf keinen Fall darf die AfD Anträgen der Union zustimmen und wir tun es auch nicht. Deshalb machen wir jetzt die Union politisch bewegungsunfähig.
Und daneben stehen die Kirchen und sagen: Richtig so!
DOMRADIO.DE: Was glauben Sie, woher kommt diese Entfremdung? Ist das nur einem emotionsgeladenen Wahlkampf geschuldet oder schwelt da schon länger was zwischen CDU und katholischer Kirche?
Bosbach: Meiner Beobachtung nach ist das ein schon länger anhaltender Prozess, der jetzt in der heißen Phase des Wahlkampfes ein bisschen eskaliert. Ich muss auch fairerweise sagen, dass alles das, was die Kirchen jetzt politisch inhaltlich sagen, nicht neu ist. Mich wundert nur die Härte und der Zeitpunkt.
Ich war vorige Woche in Oberbayern unterwegs und schlage die Zeitung auf und ein Bischof nach dem anderen hat großen Wert darauf gelegt, dass seine Kirche nicht in seinem Namen gesprochen hat, dass das nicht mit ihnen abgestimmt worden sei. Es war für mich als ehemaligem Messdiener überraschend, dass ein katholischer Bischof sagt: "Die katholische Kirche spricht in diesem Punkt nicht für mich." Das war mir neu.
DOMRADIO.DE: Wie hat sich denn die CDU verändert? Immer seltener ist ja der politische Nachwuchs in der Kirche sozialisiert. Es heißt, nach der Wahlniederlage von 2021 soll in einer internen Analyse über den Abschied vom "C" im Parteinamen nachgedacht worden sein. Und in das neue Grundsatzprogramm musste 2024 ein klarer Gottesbezug erst nachträglich hineinverhandelt werden. Heißt das, die Religion spielt auch in der CDU in der Parteipolitik so langsam eine geringere Rolle?
Bosbach: Religiöse Überzeugung und Parteipolitik würde ich jetzt nicht mit dem Tagesgeschäft verbinden. Für mich bedeutet das: "Politik vor dem Hintergrund des christlichen Menschenbildes". Der Mensch ist kein Objekt staatlicher Gewalt oder Willkür, sondern der Mensch ist Ebenbild Gottes - und der hat eine eigene Verantwortung. Wer Christ ist, trägt nicht nur Verantwortung für sich, sondern auch für seine Nächsten, wenn Sie so wollen, auch für die Gesellschaft.
Sie sprechen den Leiter der Grundwertekommission an, Professor Rödder. Der hat das vorgeschlagen. Unter anderem ich habe sofort dagegengehalten. So ein Marketinginstrument schwingt da mit: Hält das "C" möglicherweise Menschen davon ab, sich der Union zuzuwenden, weil es keine Christen sind?
Aber wir haben in der CDU auch Muslime, weil sie sich mit der Politik auf der Basis des christlichen Menschenbildes identifizieren. Das ist kein geschlossener Klub nur von Christen. Aber das "C" in der CDU ist für mich programmatische Verpflichtung und nicht zufällig oder aus Versehen Bestandteil des Parteinamens.
Wegen der hochumstrittenen Thematik zum Paragraphen 218 habe ich mich erstmals politisch engagiert und an diesen Vorgang darf ich jetzt auch erinnern - im Zusammenhang mit dem Vorwurf der gemeinsamen Abstimmung von Union und AfD:
Im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages hat es im gleichen Zeitraum zwei Abstimmungen über die Thematik "Novellierung des Paragraphen 218 Strafgesetzbuch" gegeben. Beim ersten Mal, als es um die Sache ging, waren SPD und die Grünen so erschrocken, dass die AfD auch dafür stimmen wollte, dass sie diesen Punkt von der Tagesordnung des Rechtsausschusses genommen haben.
Bei der zweiten Abstimmung haben sich Rot und Grün nur mithilfe eines Teils der AfD aus der Situation retten können und dafür gesorgt, dass der Punkt auf der Tagesordnung bleibt und jetzt in dieser Wahlperiode noch im Deutschen Bundestag beraten werden kann.
Das ist deshalb interessant, weil ja Rot-Grün immer gesagt hat, dass sie keine gemeinsamen Sachen mit der AfD machen. Aber wir können natürlich nicht verhindern, dass die AfD einem Antrag der Restampel zustimmt. Da haben Sie recht. Aber das gilt für die Union auch.
Für mich war in diesem Zusammenhang ganz erstaunlich, dass sich gerade bei diesem Punkt "Schutz des ungeborenen Lebens" die Bischöfe mit keiner Silbe zu Wort gemeldet haben. Das müsste doch eigentlich ein ganz wichtiges Thema für die beiden großen christlichen Kirchen sein. Aber da habe ich von der Kanzel nichts gehört, auch nicht am Sonntag in der Kirche.
DOMRADIO.DE: Die Fronten sind verhärtet. Die CDU-Spitze hat sich hinter den Kurs von Parteichef Friedrich Merz in der Migrationspolitik gestellt. Die ehemalige Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer ist aus dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken ausgetreten. Wie kommt man wieder zusammen?
Bosbach: Ich sehe diese Entwicklung mit großer Besorgnis, kann den Schritt von Annegret Kramp-Karrenbauer aber gut verstehen. Wenn ich das Gefühl hätte, dass ich mit meiner politischen Haltung, mit meiner Überzeugung überhaupt nicht mehr gewünscht oder in einer Minderheit bin, dann würde ich in dem Verein auch nicht bleiben.
Man sollte jedoch in einer Gemeinschaft für seine Überzeugung kämpfen. Aber wenn man irgendwie das Gefühl bekommt, dass doch keiner mehr zuhört, warum soll man dann seine Zeit damit verbringen? Vielleicht sind Wahlkampfzeiten ganz schlechte Zeiten, um aufeinander zuzugehen. Das wird ja immer hitziger von Tag zu Tag.
Eine kleine Episode am Rande, die aber viel sagt: Meine Frau ist am Samstag auf einem CDU-Stand wegen des Vorstoßes von Friedrich Merz wüst beschimpft worden. Ausgerechnet die Frau, die seit neun Jahren in der Flüchtlingshilfe arbeitet. Wissen Sie, das ist alles irre. Alles komplett irre. Deshalb rate ich zur Deeskalation. Kommt alle wieder runter. Nach dem 23. Februar gibt es auch einen 24. Nun müssen Demokraten wieder zusammenarbeiten.
Das Interview führte Heike Sicconi.