Wolfgang Bosbach hält der Kirche die Treue

"Eine selbstverständliche Zugehörigkeit"

Wolfgang Bosbach ist der katholischen Kirche sehr verbunden und bezeichnet sich gerne als "rheinischen Katholiken". Aber er äußert auch Kritik. So ist ausgerechnet dem CDU-Politiker die Kirche manchmal zu politisch.

Wolfgang Bosbach / © Oliver Berg (dpa)
Wolfgang Bosbach / © Oliver Berg ( dpa )

DOMRADIO.DE: 2017 haben Sie sich aus der Bundespolitik zurückgezogen. Sie sind immer sehr offen mit Ihrer Krebserkrankung umgegangen. Wie geht es Ihnen? 

Wolfgang Bosbach (CDU-Politiker und von 1994 bis 2017 Bundestagsabgeordneter): Das kann man in einem Satz zusammenfassen: Im Süden nichts Neues. Mir geht es besser, als es mir gehen könnte, aber nicht so gut, wie es mir eigentlich gehen müsste. Ich habe im Leben unfassbar viel Glück gehabt. Die chronische Herzerkrankung, die ich jetzt seit 30 Jahren habe und der Prostatakrebs: Damit habe ich meine Päckchen zu tragen. Aber wenn ich ehrlich bin, ich bin froh, dass ich trotz dieser chronischen Krankheiten in meinem Leben tun kann, was ich wirklich gerne tun möchte. Wenn es irgendetwas gäbe, was ich wegen der Krankheit nicht mehr machen könnte, wäre das für mich schlecht. Aber so ist alles in Ordnung, vielen geht es schlechter als mir.

DOMRADIO.DE: Sie saßen von 1994 bis 2017 für die CDU im Bundestag: Juckt es Ihnen manchmal noch in den Fingern – würden Sie da gerne noch mal mitmischen?

Bosbach: Ich habe kein Mandat mehr, aber ich bin jeden Tag politisch unterwegs. Am Mittwoch leite ich den Kongress "Wehrhafte Demokratie". Ich habe Veranstaltungen in Hamburg, München und Berlin. Aber vier Jahre noch einmal im Rhythmus der Sitzungswochen? Nein, das würde ich mir auch nicht zutrauen. Dafür geht es mir nicht gut genug. Aber ab und zu würde ich gern noch mal ans Rednerpult, das stimmt.

Wolfgang Bosbach

"Beschimpfungen sind im Preis mit inbegriffen."

DOMRADIO.DE: In den vergangenen Wochen haben sich Angriffe auf Politiker und Wahlkampfhelfer gehäuft. Der SPD-Kandidat Matthias Ecke wurde krankenhausreif geschlagen. In Berlin griff ein Mann Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey an, nicht zu sprechen von dem Hass, der Politikern im Netz entgegenschlägt. Hat das tatsächlich zugenommen oder dringt das nur vermehrt an die Öffentlichkeit? 

Bosbach: Diese Beschimpfungen sind im Preis mit inbegriffen, darüber habe ich mir als Politiker nie Illusionen gemacht. Dass man sich als Politiker anpöbeln lassen muss, auch in der Öffentlichkeit, das gehört dazu und wer das nicht möchte, der sollte besser kein öffentliches Amt annehmen. Unter dem Strich habe ich in 46 Jahren Politik - 23 Jahre in der Kommunalpolitik und 23 Jahre in der Bundespolitik - aber viel mehr gute als schlechte Erfahrungen gemacht. 

Tatsächlich ist das Klima rauer geworden. Da, wo früher geschubst wurde, wird heute geschlagen. Wo früher geschlagen wurde, benutzt man heute eine Waffe. Die Bedrohungen sind massiver geworden. Bei Berufspolitikern würde ich sagen: Das ist alles andere als nett, aber gehört leider mittlerweile schon dazu. Aber inzwischen betrifft es auch die ehrenamtliche Arbeit in den Kommunalparlamenten. Ich bin allerdings auch hin- und hergerissen, wenn ein besonderer Schutz für Politiker gefordert wird. Da frage ich dann: warum? Wir sind doch nicht besser als der Handwerker, der Maurer, der Metzger. Warum sollen wir jetzt einen besonderen Schutz haben, nur weil wir ein öffentliches Amt ausüben? 

DOMRADIO.DE: Sie sagen, das Klima sei rauer geworden. Woran liegt das? 

Bosbach: Ich erinnere mich an eine Veranstaltung in Göttingen um das Jahr 2000. Bei Veranstaltungen an der Uni Göttingen ist es immer hart zur Sache gegangen, damals war die doppelte Staatsangehörigkeit das Thema. Die Union hatte eine Unterschriftenaktion gestartet und in dem Hörsaal, wo die Veranstaltung stattfand, wurden Stinkbomben geschmissen. Draußen tobte der Mob, Barrikaden wurden errichtet, Hundertschaften der Polizei waren da. Das ist also kein vollkommen neues Phänomen. Es ist auch richtig, dass durch die sozialen Medien mehr darüber berichtet wird, das multipliziert sich dann. Die Frage ist, ob der Angriff auf den Kollegen Ecke in Sachsen der negative Höhepunkt war oder der Beginn einer neuen Gewaltwelle? Ich hoffe, dass das der negative Höhepunkt war und die Menschen jetzt wieder mehr zur Besinnung kommen. Mein letzter Satz im Deutschen Bundestag war nicht umsonst: "Geht immer ordentlich miteinander um!" 

DOMRADIO.DE: Das haben sich offenbar nicht alle zu Herzen genommen – welche Maßnahmen würde der Innenpolitiker Bosbach ergreifen? 

Bosbach: Ich plädiere für verbale Abrüstung, aus Worten werden Taten und hinterher will es dann keiner gewesen sein. Gefährlich ist nicht nur derjenige, der den Finger am Abzug hat, gefährlich sind auch diejenigen, die die Menschen zu Hass anstacheln, sie dazu verleiten, Gewalt anzuwenden. Deshalb bin ich zuallererst für eine Mäßigung der Sprache. 

Wolfgang Bosbach

"Die Kirche macht mir schon seit Jahren Kummer."

DOMRADIO.DE: 2022 gehörte weniger als die Hälfte der Menschen in Deutschland den beiden christlichen Kirchen an, erstmals waren die Christen hierzulande in der Minderheit. Wie blicken sie als bekennender Katholik auf diese Entwicklung?

Bosbach: Die Kirche macht mir schon seit Jahren Kummer, aber ich bin ja nicht in der Kirche der Institution wegen, sondern weil das für mich eine selbstverständliche Zugehörigkeit zu einer Glaubensgemeinschaft ist, unabhängig von den Skandalen der vergangenen Jahre. Das ist der eine Aspekt. 

Der andere ist die Frage des Nachwuchses: Das, was oben ausscheidet, wächst unten nicht mehr nach, das haben Kirche und Politik gemeinsam. Das muss man sich mal vorstellen: Mitte der 1970er Jahre hatten Union und SPD jeweils alleine fast so viele Mitglieder wie heute alle Parteien in Deutschland zusammen. Und hinzu kommen auch noch die vielen Austritte. 

DOMRADIO.DE: Politik und Kirche haben also ein gemeinsames Problem, nämlich, dass sie an Akzeptanz verlieren und sich die Menschen enttäuscht von ihnen abwenden? 

Bosbach: Ja, da sind wir eine Schicksalsgemeinschaft: Das Durchschnittsalter der Bevölkerung in Deutschland ist 43 Jahre. Das Durchschnittsalter der CDU-Mitglieder ist 61, bei der SPD ist es ähnlich. Und dann gehen Sie mal sonntags in die Kirche und fragen nach dem Durchschnittsalter der Gläubigen: Sie haben in vielen Gottesdiensten noch relativ viele Kinder und dann die älteren Menschen. Aber dazwischen fehlt eine ganze Generation.

DOMRADIO.DE: Was würden Sie an Ihrer Kirche ändern, wenn Sie könnten?

Bosbach: Ein bisschen weniger Politik. Die Kirchentage sind für mich mittlerweile eher Parteitage, und ich finde das keine gute Entwicklung. Die Kirche muss immer sehen, dass sie auch unabhängig von der politischen Überzeugung ihrer Mitglieder jeden erreicht. Wenn die Kirchenmitglieder das Gefühl haben, sie passen mit ihrer politischen oder gesellschaftlichen Haltung nicht mehr in ihre Kirche, dann darf man sich nicht wundern, wenn die Kirche an Akzeptanz verliert. 

DOMRADIO.DE: Sie bezeichnen sich gerne als "rheinischer Katholik", was für Sie bedeutet: "Hier unten so leben, dass man oben so eben noch reinkommt." Was hält Sie in dieser Kirche?

Bosbach: Ich bin ganz sicher, dass das immer noch die beste Alternative ist. Ich fühle mich in der Kirche – auch nach allen Skandalen – wohl, weil ich weiß, was ich meiner Kirche zu verdanken habe. Ich bin mit meiner Kirche und in der katholischen Jugendarbeit großgeworden. Umso mehr bedauere ich, wenn Leute mit Bitterkeit auf die Zeit zurückblicken, in der sie ganz andere Erfahrungen gemacht haben. Wenn Sie so wollen, ist das ein Stück Treue, mit der ich auch etwas zurückgeben möchte, was die Kirche mir gegeben hat. 

Das Interview führte Ina Rottscheidt.

Quelle:
DR