"Woche für das Leben" für Suizid-Prävention gestartet

Kirchen wollen auf Hilfsangebote hinweisen

Mehr als 27 Menschen am Tag nehmen sich in Deutschland das Leben. Darauf machen die christlichen Kirchen bei der "Woche für das Leben" aufmerksam. Im ökumenischen Gottesdienst forderte Kardinal Marx mehr Achtsamkeit für Sterbewillige.

Autor/in:
Johannes Schönwälder
Aktion "Woche für das Leben" der Kirchen  / ©  Julian Stratenschulte (dpa)
Aktion "Woche für das Leben" der Kirchen / © Julian Stratenschulte ( dpa )

"Rund 10.000 Menschen nehmen sich in Deutschland jedes Jahr das Leben." Wie eine Anklage steht der Satz in Hannovers Marktkirche über der Eröffnungsveranstaltung der "Woche für das Leben". 

Die Kirchen wollen mit der bundesweiten Aktion die Allgemeinheit für das Thema sensibilisieren und ihre Beratungsangebote für Suizidgefährdete und ihre Angehörigen bekannter machen.

Die Seitengänge des Gotteshauses sind mit Ständen gefüllt. Die von beiden großen Kirchen betriebene Telefonseelsorge ist hier, das Internetprojekt der Caritas "(U25)" speziell für junge Menschen, die Ehe-, Familien- und Lebensberatung des Bistums Hildesheim, aber auch der Bundesverband Trauerbegleitung und die von der Deutsche Bahn Stiftung unterstützte Deutsche Depressionshilfe.

Kardinal Marx: Lebensschutz auch für Suizidgefährdete

Kardinal Marx in Lingen (DR)
Kardinal Marx in Lingen / ( DR )

Der Vorsitzende der katholischen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, bringt das Anliegen der Kirchen gleich zu Beginn auf den Punkt. Sie wollten jedem Menschenleben nachgehen. Lebensschutz gelte natürlich auch für suizidgefährdete Menschen. "Wir wollen da sein, wo wir gebraucht werden. Das hat uns Jesus von Nazareth aufgetragen", so der Kardinal.

Heinrich Bedford-Strohm / © Harald Oppitz (KNA)
Heinrich Bedford-Strohm / © Harald Oppitz ( KNA )

Der Ratsvorsitzender Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, betont in seiner Predigt die Notwendigkeit zur Ökumene bei dem Thema. Ob die Kirchen in Zukunft noch die Herzen der Menschen erreichten, hänge wesentlich davon ab, ob es ihnen gelinge, bei Themen wie Suizidprävention und Trauerbegleitung die Konfession hintanzustellen. Weder Helfer noch Hilfsbedürftige seien zuerst katholisch oder evangelisch, sondern zuerst Mensch.

Bischof Wilmer: "Ich hatte als Bischof erst zwei Beerdigungen - bei beiden waren es Suizidtote"

Hildesheims Bischof Heiner Wilmer ist schon vor dem Gottesdienst vielgefragter Gesprächspartner. Er macht die Not anschaulich, als er sagt: "10.000 Menschen pro Jahr - das ist eine Kleinstadt." 

Hinzu komme, dass auf jeden vollendeten Suizid nach Expertenschätzungen mindestens sechs Menschen kommen, die dadurch selbst in eine schwere Krise geraten. Wie drängend das Thema ist, sei ihm gerade in den vergangenen Monaten nochmals klar geworden: "Ich hatte als Bischof erst zwei Beerdigungen - bei beiden waren es Suizidtote."

Und Wilmer betont: "Der sogenannte Freitod ist ein Mythos." Niemand gehe freiwillig. Vielmehr würden am Leben verzweifelnde Menschen in einen Tunnel hineingesogen, an dessen Ende ihnen der Tod wie ein Ausweg erscheine. Aber dafür gebe es Ursachen.

Die Experten vor Ort unterstützen das. 70 Prozent aller Suizide hingen mit Depressionen zusammen, erläutert der Arzt und Projektleiter Gesundheitsthemen der Deutsche Bahn Stiftung, Christian Gravert. Nach dem hauseigenen "Deutschland-Barometer Depression" ziehen sich 84 Prozent der Betroffenen während einer Depression aus sozialen Beziehungen zurück. 72 Prozent empfinden keine Verbundenheit mehr mit anderen Menschen.

Hilfsangebote für Betroffene

Und doch senden die Betroffenen Hilferufe, wenden sich an Menschen. Nicht immer an Ärzte oder Therapeuten, eher schon anonym an Seelsorger - per Telefon, Mail oder im Chat. Die Anonymität sei wichtigstes Merkmal der Telefonseelsorge, sagt der Pastor und Leiter des ökumenischen Angebots in Hannover, Christian Voigtmann. Das erleichtere Betroffenen den Zugang. "Mir haben schon viele gesagt, dass sie so ein Gespräch mit einem realen Gegenüber, gar mit einem Therapeuten, nie geführt hätten."

Dass auch der christliche Glaube für viele Hilfe in der Not sein kann, wird in einem Gespräch deutlich, das Hannovers Landesbischof Ralf Meister mit einer Telefonseelsorgerin führt. Vor Jahren habe ihr eine Frau von Suizid-Gedanken berichtet. An Gott könne sie sich nicht mehr wenden, das habe sie verlernt. 

Sie habe ihr daraufhin eine Geschichte aus dem Neuen Testament erzählt, in der eine Mutter Jesus massiv um Hilfe für ihr erkranktes Kind angeht, schildert die Seelsorgerin. Jeder dürfe von Gott Hilfe fordern. Dann hätten sie zusammen gebetet. Dieselbe Frau habe Jahre später wieder angerufen. Ohne zu wissen, dass sie mit derselben Seelsorgerin verbunden ist, habe sie erzählt, dass ihr damals eine Telefonseelsorgerin zurück zum Glauben und zurück ins Leben verholfen habe.

Hilfen zur Suizidprävention

Die Telefonseelsorge der beiden großen Kirchen gehört zu den wichtigen Ansprechpartnern für Menschen mit Suizidgedanken. Sie ist bundesweit rund um die Uhr über die kostenlosen Telefonnummern 0800/1110111 und 0800/1110222 zu erreichen. Die Telefonseelsorge (www.telefonseelsorge.de) hält überdies Kontakt zu weiteren Hilfen, dazu gehören unter anderen: - Deutsche Gesellschaft für Suizidprophylaxe (DGS): Die DGS stellt für unterschiedliche Zielgruppen Broschüren und Arbeitsmaterial zur Verfügung, zum Beispiel für Jugendliche und Senioren. Weitere Informationen auf www.suizidprophylaxe.de.

Beratung und Suizidprävention in digitalen Zeiten / © Corinne Mercier (KNA)
Beratung und Suizidprävention in digitalen Zeiten / © Corinne Mercier ( KNA )
Quelle:
KNA