Wie steht es um die deutsch-polnische Beziehung der Kirche?

Missverständnisse und "verpasste Chancen"

Die Regierungen Deutschlands und Polens kommen seit Jahren eher schlecht miteinander zurecht. Doch steht es um die Beziehungen zwischen den katholischen Bischöfen beider Länder besser? Diese Frage stellt sich derzeit durchaus.

Autor/in:
Oliver Hinz
Deutsche Bischöfe / © Julia Steinbrecht (KNA)
Deutsche Bischöfe / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Der polnische Erzbischof Adam Szal hatte den Vorsitzenden des deutschen Episkopats (DBK), Bischof Georg Bätzing, zur Seligsprechung der Familie Ulma in seiner Erzdiözese Przemysl eingeladen. Aber kein Bischof aus Deutschland kam zu der Zeremonie am 10. September.

Kein DBK-Vertreter bei Seligsprechung der Familie Ulma

Das Fehlen eines DBK-Vertreters wirkt auch seltsam, weil die Seligsprechung der Familie Ulma für Polen laut Kommentatoren von einer ähnlich großen Bedeutung ist wie die Erhebung von Pater Maximilian Kolbe zur Ehre der Altäre. Mehr als 30.000 Menschen nahmen an ihr teil.

Mutter Wiktoria Ulma mit Kindern im Jahr 1943. / © gemeinfrei
Mutter Wiktoria Ulma mit Kindern im Jahr 1943. / © gemeinfrei

Bätzing hatte selbst bei einem Besuch in Polen 2021 betont, wie wichtig nach dem deutschen Vernichtungskrieg im Osten das "Erinnern und die Anerkennung von Schuld" für die Freundschaft zwischen den Katholiken in beiden Ländern sei. Also wäre die Anwesenheit bei der Seligsprechung des Ehepaars Jozef und Wiktoria Ulma und ihrer sieben Kinder angebracht gewesen.

Die Familie hatte im Zweiten Weltkrieg acht Juden mehr als ein Jahr lang auf ihrem Bauernhof vor den deutschen Besatzern versteckt, damit sie nicht deportiert und ermordet werden. Die Nationalsozialisten erschossen sie dafür 1944 - und auch die Juden.

Der Sprecher der Deutschen Bischofskonferenz, Matthias Kopp, erklärt, die Einladung zur Seligsprechungsfeier habe sie zu spät erreicht: am 28. August - "obwohl das Schreiben das Datum 4. Mai trägt".

Beate Gilles (l.), Generalsekretärin der Deutschen Bischofskonferenz (DBK); Bischof Georg Bätzing (m.), Vorsitzender der DBK; und Matthias Kopp, Pressesprecher der DBK, bei einem Pressestatement / © Julia Steinbrecht (KNA)
Beate Gilles (l.), Generalsekretärin der Deutschen Bischofskonferenz (DBK); Bischof Georg Bätzing (m.), Vorsitzender der DBK; und Matthias Kopp, Pressesprecher der DBK, bei einem Pressestatement / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Der Stempel der polnischen Post sei vom 14. August. "Sie werden verstehen, dass angesichts der Terminkalender von Bischöfen hier die Zeit viel zu knapp war, innerhalb von weniger als drei Wochen eine Delegation zusammenzustellen. Allein aus diesem Grund waren wir vor Ort nicht vertreten", so Kopp.

Der Kanzler des Erzbistums Przemysl, Bartosz Rajnowski, sagt, aus der Antwort der Deutschen Bischofskonferenz gehe hervor, dass die Einladung am 22. August in Limburg angekommen sei. Die meisten Einladungen habe man im August verschickt. Dass im Briefkopf das Datum 4. Mai stehe, ist laut Rajnowski "höchstwahrscheinlich ein Versehen, aber sicher nicht unsere Absicht".

Eine "verpasste Chance"

Ziemlich entsetzt spricht Polens katholische Monatszeitschrift "Wiez" von einer "verpassten Chance" und einem "deutsch-polnischen Missverständnis in der Kirche". Das traditionsreiche Blatt schreibt auf seiner Website weiter: "Die brüderlichen Beziehungen der beiden Ortskirchen sind einer groben Nachlässigkeit auf polnischer Seite und einer überraschenden Gleichgültigkeit auf deutscher Seite zum Opfer gefallen sind."

Gerade weil "antideutschen Akzente" im polnischen Wahlkampf das mühsam aufgebaute gegenseitige Vertrauen untergrüben, sei es aktuell wichtig, dass die Kirche Brücken baue: "Die Selig- oder Heiligsprechung von Märtyrern ist die perfekte Gelegenheit dazu."

Bereits Mitte Februar hatte die Polnische Bischofskonferenz bekannt gegeben, dass die Seligsprechung am 10. September erfolgt. Also hätte die Kontaktgruppe der deutschen und polnischen Bischöfe bereits bei ihrem Treffen Ende April in Augsburg diese wichtige Feier besprechen können. Das Unvermögen, die Teilnahme einer DBK-Delegation zu organisieren, ist schon schwer zu verstehen. Aber warum würdigte aus Anlass der Seligsprechung weder die Deutsche Bischofskonferenz noch ein Bischof hierzulande in einer öffentlichen Botschaft die Familie Ulma?

Kardinal Müller meldet sich zu Wort

Kurienkardinal Gerhard Müller kritisierte, dass man von den deutschen Bischöfen nichts gehört habe, was "an die großherzige Erklärung des deutschen und polnischen Episkopates nach dem letzten Konzil anknüpft: 'Wir vergeben und bitten um Vergebung.'"

Kardinal Gerhard Ludwig Müller / © Francesco Pistilli (KNA)
Kardinal Gerhard Ludwig Müller / © Francesco Pistilli ( KNA )

Der KNA sagte er: "Angesichts der Tragödie, die ein deutscher Polizeibeamter mit der Ermordung von acht versteckten Juden und ihren Beschützern, dem Ehepaar Jozef und Wiktoria Ulma mit ihren sieben Kindern, angerichtet hat, wäre die Vertretung des deutschen Staates durch den Bundespräsidenten oder die deutsche Innen- und Polizeiministerin ein Zeichen der wahren Versöhnung gewesen."

Müller war als römischer Kardinal dabei. Das Erzbistum Przemysl schickte auch Bundeskanzler Olaf Scholz eine Einladung, wie die KNA erfuhr. Der SPD-Politiker musste an dem Tag indes am G20-Gipfel in Neu Dehli teilnehmen. Die Bundesregierung hätte sich bei der Seligsprechung durch ihren Botschafter oder Gesandten in Polen vertreten lassen können. Die waren allerdings ebenfalls nicht anwesend.

Der emeritierte Bamberger Erzbischof Ludwig Schick signalisierte gegenüber "Wiez" Unbehagen, dass kein Vertreter der Deutschen Bischofskonferenz die Einladung aus Polen annahm. "Ich finde es bedauerlich, dass niemand aus Deutschland an der Seligsprechung teilgenommen hat. Die 'Aufarbeitung' der Nazizeit muss uns Deutsche immer interessieren, und wir müssen daran teilnehmen. Die Seligsprechung war und ist eine Gelegenheit dazu", so der frühere Ko-Vorsitzende der Kontaktgruppe der Deutschen und Polnischen Bischofskonferenz. Er selbst habe erst Mitte August bei einer Veranstaltung der Maximilian-Kolbe-Stiftung in Oswiecim von der Seligsprechung der Familie Ulma erfahren.

Bamberger Erzbischof em. Ludwig Schick / © Nicolas Armer (dpa)
Bamberger Erzbischof em. Ludwig Schick / © Nicolas Armer ( dpa )

Muss man sich nun Sorgen um die Zusammenarbeit der deutschen und polnischen Bischöfe machen? Der Sprecher der Polnischen Bischofskonferenz, Leszek Gesiak, sagt, an den Beziehungen zwischen beiden Bischofskonferenzen habe sich in letzter Zeit nichts geändert:

"Sie sind weiter sehr gut." Die gemeinsame Kontaktgruppe tage jedes Jahr abwechselnd in Polen und Deutschland "in brüderlicher Atmosphäre". Man lade sich regelmäßig gegenseitig zu Vollversammlungen der nationalen Bischofskonferenzen ein.

Zusammenarbeit funktioniert aber auch gut

So nimmt an der Herbstversammlung in Wiesbaden der neue polnische Ko-Vorsitzende der Kontaktgruppe, Erzbischof Stanislaw Budzik, teil.

Bischof Georg Bätzing / © Julia Steinbrecht (KNA)
Bischof Georg Bätzing / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Auch im deutsch-polnischen Grenzgebiet funktioniert laut Gesiak die kirchliche Zusammenarbeit gut. Der Sprecher hebt Bätzings Besuch beim Vorsitzenden der Polnischen Bischofskonferenz, Erzbischof Stanislaw Gadecki, im November 2021 auf dessen Einladung in Poznan (Posen) hervor.

"Die guten, freundlichen Beziehungen schließen jedoch Diskussionen über theologische Fragen und unterschiedliche Sichtweisen zu den angesprochenen Themen nicht aus", sagt er zum Schluss. Bei Gadecki klang das zuletzt anders. Mit Blick auf die Kirche in Deutschland warnte der Erzbischof jüngst im Interview der katholischen Wochenzeitung "Die Tagespost": "Es besteht die große Gefahr, dass eine falsch verstandene Reform des Christentums erneut zu einer Spaltung der Kirche führt, die auf die Nachbarländer übergreift."

Katholische Kirche in Polen

Die römisch-katholische Kirche hat in Polen traditionell großen Einfluss. Ihr gehören knapp 90 Prozent der 33 Millionen Bürger an. In den vergangenen Jahren verlor die Kirche aber besonders in der jungen Generation an Ansehen. In der Hauptstadt Warschau wählten in diesem Schuljahr nur noch 29 Prozent der Schüler in der gymnasialen Oberstufe das Fach katholische Religion. Nach Angaben der Bischofskonferenz besuchten 2021 landesweit 28,3 Prozent der Katholiken die Sonntagsmesse.

Prozession in Polen / © Dariusz Banaszuk (shutterstock)
Prozession in Polen / © Dariusz Banaszuk ( shutterstock )
Quelle:
KNA