Dies ist die Geschichte einer blinden Frau, die nach langer Berufskarriere ihren Traumjob Pfarrerin antreten möchte: Brigitte Buchsein, geboren 1969 im westfälischen Hagen, ist Vikarin einer evangelischen Kirchengemeinde in Oberursel bei Frankfurt.
Und voraussichtlich in genau einem Jahr wird sie diese letzte Ausbildungsphase zur Pfarrerin geschafft haben – nach einem mehrjährigen Theologiestudium in Frankfurt und Mainz sowie langen Jahren als Software-Ingenieurin und Schwerbehindertenvertreterin bei einer Versicherung. Durch das Blindsein hat sie sich nicht vom Erreichen ihrer Ziele abhalten lassen.
"Das Sehen vermisse ich nicht wirklich", sagt sie im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). "Aber wenn ich es könnte, würde ich gerne einmal von einem Berg herabschauen und andere Menschen sehen." Die Kraft ihres Glaubens lässt Buchsein viele sprichwörtliche Berge versetzen. Als Kind habe sie das Gefühl gehabt, Gott wache über ihrem Bett. Schon immer habe der Glaube eine große Rolle in ihrem Leben gespielt.
Den Traumberuf verwirklichen
"Das Theologiestudium war schon seit der Jugend ein Traum von mir - und nachdem ich es mir direkt nach dem Abitur nicht zugetraut habe, war das eigentlich für die Rente geplant. Doch dann habe ich 2021 neben meinem Beruf damit einfach angefangen", schildert Buchsein.
"Corona spielte dabei eine Rolle, weil mein Kalender plötzlich leerer war: Theater und Oper fiel aus, das Ehrenamt gestaltete sich anders. Daher hatte ich Zeit." Und die Kirche hatte zuvor das nebenberufliche Studium ermöglicht.
Einige Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau haben Buchsein ermutigt. Sie wurde gefragt, ob sie vielleicht auch Pfarrerin werden würde. "Eine Motivation – aber auch dann war der Neustart für mich noch nicht zwingend. Denn ich habe auch meinen alten Beruf gern gemacht", erinnert sie sich. Die positiven Ergebnisse eines Assessment-Verfahrens für potenzielle Kirchenmitarbeiter führten dann zu ihrer Entscheidung.
Mitten im Leben ein zweites Studium wagen
"Von Gott getragen" entschied sie sich dazu, die bisherige Sicherheit und Struktur aufzugeben, um noch einmal etwas ganz Neues zu wagen und Menschen in allen Lebensphasen zu begleiten. Nach einem ersten Studium Wirtschaftsingenieurwesen hieß es nun wieder: lernen und Prüfungen ablegen.
Ihre im Wirtschaftsunternehmen erworbene Belastbarkeit möchte sie auch bei ihren künftigen Aufgaben einbringen. "Also ich bin weg von einer tollen Anstellung hin zu einem Beruf, der mir noch mehr liegt."
Sie möchte über Gott erzählen, ob als ehrenamtliche Gemeindemitarbeiterin, als Vikarin oder künftig eben als Pfarrerin. Bereits als Jugendliche habe sie sich bei den Kindergottesdiensten in Hagen eingebracht. Nicht alle Menschen, auf die sie trifft, nehmen das Blindsein überhaupt wahr.
"Du strahlst einfach Dein Gegenüber an", ergänzt Heike Gerlach bei einem Besuch der evangelischen Kirche im Stadtteil Oberstedten. "Und dann fällt das vielen gar nicht auf."
IT-Expertin, Theologin, Unternehmerin
Gerlach ist eine Unterstützung im Alltag der blinden Frau und damit eine ihrer zwei Angestellten - denn das ist Buchsein auch: eine Unternehmerin. Um Heike Gerlach anstellen zu können, musste Buchsein eine Firma gründen - auch wenn diese gar keine Produkte herstellt. Der Staat fördert ihre Karriere und finanziert die beiden Angestellten als Leistungen zur beruflichen Teilhabe.
Somit hat die Vikarin etwa bei einer Bestattung oder Konfirmation immer eine persönliche Assistenzkraft dabei. Etwa einmal im Monat leitet sie einen Gottesdienst in Oberstedten. "Es ist dann eine besondere Schwingung im Raum." Diese Atmosphäre der Kirchengemeinde spüre sie. "Bei einem Gottesdienst hilft mir jemand aus dem Vorstand der Kirchengemeinde", erläutert die 56-Jährige.
Unsicherheit wahrnehmen und auflösen
Sie bestärkt Menschen auch im Alltag darin, mögliche Unsicherheit im Umgang mit der Blindheit zuzulassen, und zeigt ihnen, wie sie damit umgehen können. Zum Beispiel einfach durch das Führenlassen bei einem Spaziergang, wenn sich die Theologin unterhakt.
"Da ich blind bin, kann ich dabei nicht von mir aus auf Menschen zugehen – freue mich aber sehr, wenn ich angesprochen werde", erklärt sie auf der Internetseite ihrer Kirchengemeinde. Gerne würde die Vikarin später als Pfarrerin in Oberursel wirken - und der größte Teil ihres Wegs zur Verwirklichung des Traums ist bereits geschafft.