War es das rechte oder doch das linke Bein? Mia Maria Chbib schaut ihren Tanzpartner an, der auf einem anderen Bein steht als sie. Kurze Absprache, dann wird klar: auf "drei" wird mit dem linken Bein nach vorne gesprungen, nicht mit dem rechten. "Und noch mal von vorne", ruft ihr Trainer, "eins, zwei, drei, vier, eins, zwei, drei, vier".
Noch sitzen bei Mia Maria Chbib und ihrer Tanzgruppe "Ange gardien" (Schutzengel) nicht alle Schritte der Choreografie perfekt. Doch bis die christliche Tanzgruppe sie vor dem Papst aufführen wird, ist auch noch Zeit. Es ist Samstagnachmittag und die erste Probe auf der kreuzförmigen Bühne vor dem Kloster Bkerké in den libanesischen Bergen. In zwei Tagen werden die christlichen Jugendgruppen des Libanons hier Papst Leo XIV. empfangen.
Für den Papst ist es die erste Auslandsreise seit seiner Ernennung im Mai. Drei Tage lang reist er durch den Libanon, spricht mit Vertretern der Regierung und der sechzehn verschiedenen Religionsgemeinschaften des Landes. Für die Menschen im Libanon ist sein Besuch ein Zeichen der Hoffnung. Seit zwei Jahren herrscht Krieg zwischen der im Land agierenden Hisbollah-Miliz und dem Nachbarland Israel. Auch die Jahre davor waren nicht einfach: Wirtschaftskrise, die Explosion im Hafen der Hauptstadt Beirut, Corona und schließlich eine politische Krise, die dazu führte, dass das Land zwei Jahre lang keine Regierung hatte.
Über die Hälfte der Jugend will weg
Die vielen Krisen im Land haben auch das Leben der Jugend beeinflusst: Gut bezahlte Jobs sind schwer zu finden. Wer kann, verlässt das Land. In Umfragen geben rund 58 Prozent der 18- bis 29-Jährigen an, ihre Emigration zu planen. All das möchte die Jugend in Bkerke in ihrer Performance für den Papst thematisieren. Auf der Bühne feiert eine Tänzerin ihren Schulabschluss, dann wechselt die fröhliche Musik zu einem dramatischen Lied und sie sackt erschöpft zu Boden. Erst als ein Mädchen die Hoffnung – symbolisiert durch eine leuchtende Weltkugel mit einem Olivenzweig – auf die Bühne trägt, schafft die Tänzerin es, wieder aufzustehen. Das ist das Signal für Mia Maria Chbib’s Einsatz. Zusammen mit den anderen Tänzerinnen und Tänzern von "Ange gardien" läuft sie auf die Bühne.
Für die 27-jährige Physiotherapeutin symbolisiert der Tanz auch ihre eigene Geschichte. Vor drei Monaten zog sie für einen Job vom Libanon nach Kuwait. Seitdem arbeitet sie dort für das Fußballnationalteam der Frauen. "Wie alle, die das Land verlassen mussten, träume auch ich davon, eines Tages zurückzukehren", erklärt sie. Der Besuch des Papstes sei für sie ein Hinweis auf eine bessere Zukunft. "Dass er ausgerechnet uns auserwählt hat für seinen ersten Besuch, fühlt sich besonders an", sagt Mia Maria Chbib. Es gebe ihr Hoffnung, dass die Friedensbotschaft des Papstes doch Wirklichkeit werden könnte. Deshalb ist sie für die Tanzperformance auch extra aus Kuwait angereist. Die Choreografie hat sie in den letzten Wochen durch Videos gelernt. Erst jetzt kann sie mit ihren Tänzerkolleginnen und -kollegen proben.
"Das Wichtigste für mich ist der Frieden in unserem Land"
Rund ein Drittel der libanesischen Bevölkerung sind Christinnen und Christen. Doch der Besuch des Papstes ist auch für Libanesinnen und Libanesen anderer Konfessionen ein besonderer Tag. Als Leo XIV. am Sonntagabend in Beirut landet, führt ihn der Weg zum Präsidentenpalast als Erstes durch einen schiitisch geprägten Stadtteil Beiruts. Trotzdem sind auch hier hunderte Menschen am Straßenrand versammelt, um den Pontifex willkommen zu heißen. Sie schwenken die libanesische Flagge, die Fahne des Vatikans und die der Hisbollah. Vor einer Metzgerei steht die 55-jährige Birhan, eine schiitische Muslima mit Kopftuch. “Ich hoffe, dass sich mit dem Segen des Papstes und der Hilfe Allahs die Situation im Libanon verbessert und wir endlich in Frieden leben können”, erklärt sie. Dass der Papst ein Christ sei, spiele für sie keine Rolle. "Ob Christ, Sunnit, Schiit oder Druse, das ist doch egal. Wir sollten nicht so viel auf die konfessionellen Unterschiede gucken, das Wichtigste für mich ist der Frieden in unserem Land".
So sehen das auch die Oberhäupter der sechzehn Religionsgemeinschaften des Landes. Am Montagnachmittag treffen sie sich zu einem ökumenischen Gottesdienst mit dem Papst auf dem Märtyrerplatz im Stadtzentrum. Im Bürgerkrieg verlief hier einst die Frontlinie zwischen dem überwiegend muslimisch dominierten West-Beirut und dem überwiegend christlichen Ost-Beirut. Heute ist der Platz ein wichtiges Wahrzeichen der Stadt. Während des Gottesdienstes betonte Papst Leo XIV. die tiefen spirituellen und historischen Verbindungen unter Christen, Juden und Muslimen im Nahen Osten. Und nennt den heutigen Libanon ein Beispiel für ein friedliches Miteinander sämtlicher Religionen.
Der Süden fühlt sich von der Kirche vergessen
Auf dem Platz hängt ein großes Banner mit der Aufschrift "Gesegnet sind die Friedenstifter". Der Spruch aus Matthäus 5.9 ist das Motto des Papstbesuchs und hängt überall im Land. Trotzdem lässt der viel besprochene Frieden weiterhin auf sich warten. Auch während des dreitägigen Besuches des Papstes bombardiert die israelische Armee Orte im Südlibanon. Eigentlich gilt seit einem Jahr eine Waffenruhe zwischen der im Libanon agierenden Hisbollah und Israel, doch die bricht die israelische Armee täglich. UNIFIL, die UN-Blauhelme, haben im letzten Jahr über 10.000 Verstöße der Israelis gegen das Abkommen dokumentiert. Israel wiederum wirft der libanesischen Regierung vor, die Hisbollah nicht schnell genug zu entwaffnen.
Im zerbombten Südlibanon ist der Blick auf den Papstbesuch nicht ganz so positiv wie im Rest des Landes. Viele sind enttäuscht, dass Papst Leo XIV. nur in jenen Landesteilen unterwegs ist, die vom Krieg verschont geblieben sind, und fühlen sich von der Kirche vergessen. "Ich hätte mich gefreut, wenn er in den Süden gekommen wäre", erzählt Amal Nasser der libanesischen Zeitung L’Orient Today. "Hier ist der Schauplatz des Kriegs, hier ist alles zerstört". Amal Nassers Heimatdorf Alma al-Chaab liegt wenige Kilometer von der Grenze zu Israel entfernt und ist stark zerstört. Selbst die Kirche des Dorfes wurde von Bomben getroffen.
"Salam alekum"
Die Zerstörung und das Leid der Menschen im Südlibanon sind selbst bei Mia Maria Chbibs großem Auftritt im Kloster Bkerke kaum ein Thema. Nachdem bei ihrer Tanzperformance alle Tänzerinnen und Tänzer die korrekte Choreografie aufgeführt haben, meldet sich der Papst zu Wort. "Salam alekum" – Friede sei mit euch, begrüßt er die Jugendlichen und die jubeln. Es wird ein fröhliches Fest mit vielen Tanzeinlagen. Das Orchester spielt auch dann noch, als das Auto des Papstes schon längst den Hügel des Klosters hinuntergefahren und in der Nacht verschwunden ist.