DOMRADIO.DE: Sie haben mit vielen Kindern und Jugendlichen über deren Blick auf die Zukunft und ihre Kinderängste gesprochen. Was bedrückt die Kinder in unserer Gesellschaft gerade am meisten?
Elisabeth Raffauf (Diplom-Psychologin in der Kölner Erziehungsberatungsstelle und Autorin): Alle Kinder und Jugendliche haben gesagt, dass sie Angst haben, weil es Krieg gibt und der Krieg so nah ist. Sie haben auch gesagt, dass sie Angst haben, dass das Klima immer schlechter wird. Jüngere Kinder sagen, dass die Polarbären sterben und dass in Köln alles aus Stein ist.
Und natürlich gibt es auch die Angst, dass man nicht genug hat. Also nicht genug Essen, nicht genug Wohnraum, nicht genug Geld. Es gibt auch die Ängste, die es schon immer gab, die aber zugenommen haben: Angst vor Einsamkeit, vor Ausgrenzung. Vor allem der Schuldruck und Social Media macht Kindern zum Teil riesige Angst.
DOMRADIO.DE: Haben die Kinder und Jugendlichen auch erzählt, wer oder was in dieser Situation hilft?
Raffauf: Ganz viele haben gesagt, dass es hilft, mit Freunden und den Eltern darüber zu sprechen. Es gibt Studien, die besagen, dass Eltern und Familie der wichtigste Halt und der wichtigste Anker für die Kinder und Jugendlichen sind. Das ist eine gute Nachricht für uns Erwachsene, denn das heißt, wir können richtig was tun. Mein Lieblingsspruch ist "Gipfelstürmer brauchen ein Basislager", das ist ein Zitat des Bindungsforschers John Bowlby. Und dieses Basislager können wir den Kindern schaffen, damit sie gut in die Welt gehen können.
DOMRADIO.DE: Viele Erwachsene finden Halt im Glauben und können bei Gott oder im Gebet Hoffnung und Kraft schöpfen oder ihre Sorgen auch mal loslassen. Welche Rolle spielt das bei den Minderjährigen?
Raffauf: Auch die Jugendlichen haben drüber gesprochen, dass ihnen der Glaube Halt und das Gefühl gibt, nicht alleine zu sein. Es gibt eine Gemeinschaft, zu der sie gehören. Das gibt ihnen Stärke und Mut, etwas zu tun.
DOMRADIO.DE: Wenn man sieht, wie viel Schreckliches auf der Erde passiert, gibt es auch Unsicherheit im Glauben. Wie könnte man Kindern den Glauben zum Beispiel als Stütze mit auf den Weg geben?
Raffauf: Das Wichtigste ist immer das Vorleben. Es ist nicht so, dass das, was wir sagen, immer das Wichtigste ist, sondern das, was wir tun. Wenn die Kinder merken, dass uns das hilft, dann sehen sie, dass es ihren Eltern damit gut geht und sie da Kraft finden. Gleichzeitig geht es auch um Weltoffenheit und Weltzugewandtheit, dass Glaube der Welt zugewandt ist, wo die Kinder andocken können und wissen, da geht es auch um mich. Das Wichtigste ist, dass die Kinder das Gefühl kriegen, dass sie richtig angesprochen sind.
DOMRADIO.DE: Aktuell gibt es ein bisschen weniger junge Nachwuchschristinnen und -christen, die den Glauben konkret leben. In den Gemeinden sieht man oft ältere Menschen. Wie kann man die Kinder ermutigen, sich selber auf diesen Weg zu begeben?
Raffauf: Es ist ganz wichtig, mit den Kindern erst einmal ins Gespräch zu kommen und zuzuhören, was ihnen wichtig ist, was ihnen am Herzen liegt, was sie brauchen. Das kann man nicht am grünen Tisch machen. Das Wichtigste ist, in Kontakt zu treten, zu sprechen und vor allem zu hören und zu gucken, was sie interessiert und was sie gebrauchen können.
DOMRADIO.DE: Wie kann man den Jugendlichen in dieser schwierigen Lebensphase der Pubertät Mut für ihre Zukunft machen?
Raffauf: Manche Eltern fragen, wie sie denn Mut machen können, wenn sie selber keine Hoffnung haben. Das heißt, ich muss erst einmal bei mir selber anfangen. Wie geht es mir denn? Und wo habe ich Angst? Manche Eltern haben das Gefühl, die Angst soll weg sein, meine Angst und eigentlich auch die Angst der Kinder. Das ist das Bedürfnis, zu schützen.
Aber es ist wichtig, die Angst anzuschauen, zu gucken, wo ich Angst habe und was vielleicht auch eine reale, berechtigte Angst ist. Die Angst ist die Alarmanlage unseres Körpers, sie signalisiert uns Gefahr und dass wir handeln müssen. Wenn wir die Angst nicht hätten, würden wir nicht lange leben.
Wenn wir unsere eigene Angst angucken und ihr einen Platz geben können, indem wir mit anderen darüber sprechen und Lösungen suchen, dann fällt es uns auch leichter, die Angst der Kinder anzunehmen. Vielleicht ist das auch ein berechtigtes Gefühl, das nicht sofort weg sein muss.
Und dann geht es darum zu gucken, wie man die Angst teilen kann. Es reduziert schon Angst, wenn man weiß, dass man nicht alleine ist und das Gefühl zu der Situation passt, weil das, was ich gerade sehe oder erlebe, Angst macht. Wenn man Bilder von Kriegsgebieten und von Panzern im Fernsehen sieht, wäre es ja komisch, wenn das keine Angst machen würde. Insofern ist das erst einmal ein verständliches Gefühl.
Das Interview führte Dagmar Peters.