Wie gehen Soldatendienst und christlicher Friedensauftrag zusammen?

"Der Glaube ist mir eine wichtige Stütze"

In jedem Jahr begleiten Proteste und Demonstrationen vor dem Dom den Internationalen Soldatengottesdienst mit Kardinal Woelki im Dom. Die aber daran teilnehmen, schöpfen Kraft im Gebet. Eine Feier nicht aufzulösender Widersprüche?

Autor/in:
Beatrice Tomasetti
Soldaten im Kölner Dom / © Beatrice Tomasetti (DR)
Soldaten im Kölner Dom / © Beatrice Tomasetti ( DR )

DOMRADIO.DE: Immer wieder gipfeln diese alljährlichen Kundgebungen mit Totenkopftransparenten und einschlägigen Antikriegsparolen in dem Vorwurf, dass die Kirche Waffen segne und Friedensbemühungen konterkariere. Was haben Sie dem entgegenzusetzen? 

Oberstleutnant Ulrich Schäffer ist Bundesvorsitzender der GKS (privat)
Oberstleutnant Ulrich Schäffer ist Bundesvorsitzender der GKS / ( privat )

Ulrich Schäffer (Oberstleutnant und Bundesvorsitzender der Gemeinschaft katholischer Soldaten e. V.): Wie kann  ich als Katholik Soldat sein? Wie kann ich das mit meinem Glauben vereinbaren? Welche Folgen für mein Handeln als Soldat hat mein Glaube? Diese Fragen begegnen uns in der Bundeswehr immer wieder und verlangen von uns eine Antwort. Und diese Antwort ist von doppelter existentieller Bedeutung, denn als Soldatinnen und Soldaten sind wir nicht nur bereit, im Ernstfall zu töten, sondern auch im Auftrag zu sterben. Natürlich ist das ein schwieriger Weg des Ringens, der viele ethische Fragen aufwirft. Deshalb fördern wir in der Gemeinschaft Katholischer Soldaten – kurz GKS – sehr grundsätzlich die aktive Auseinandersetzung mit sicherheits- und verteidigungspolitischen Themen. Fragen zu Auslandseinsätzen, Sicherheit, Frieden und Gerechtigkeit stehen dabei im Vordergrund. 

Indem wir unseren Glauben im Dienstalltag sichtbar leben, werden wir als Christen erkennbar und können für Soldatinnen und Soldaten Gesprächspartner sein. Gemeinsam versuchen wir auf die Fragen, die so an uns herangetragen werden – auch von außen – aus unserem Glauben heraus Antworten zu geben und für unsere Überzeugungen einzutreten. Es ist es gut, gemeinsam unterwegs zu sein, sich gegenseitig zu unterstützen und zu stärken. Deshalb gibt es an vielen Standorten der Bundeswehr GKS-Kreise, in denen sich die Mitglieder und ihre Gäste regelmäßig zu religiösen oder gemeinschaftsfördernden Aktivitäten treffen. 

DOMRADIO.DE: Seit Jahren nehmen Sie selbst an diesem Soldatengottesdienst, der anlässlich des Weltfriedenstages mit Militärangehörigen aus aller Welt gefeiert wird, teil. Was bedeutet Ihnen das? 

Ulrich Schäffer nimmt seit Jahren am Internationalen Soldatengottesdienst in Köln teil / © Beatrice Tomasetti (DR)
Ulrich Schäffer nimmt seit Jahren am Internationalen Soldatengottesdienst in Köln teil / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Schäffer: Sehr viel, denn dieses Pontifikalamt gibt mir die Gelegenheit, innezuhalten und über die Bedeutung von Frieden nachzudenken – nicht nur im globalen Kontext, sondern auch bei ganz alltäglichen Entscheidungen. Es ist ein Moment, in dem wir als Gemeinschaft zusammenkommen, um den Wert des Friedens zu würdigen und uns daran zu erinnern, wie zerbrechlich er sein kann. Ich bete dann insbesondere für die Frauen und Männer, die in Krisenregionen dienen, für ihre Sicherheit und ihre Rückkehr nach Hause. Ebenso bete ich für die Menschen, die unter Krieg und Gewalt leiden, dass sie Trost und Hoffnung finden. Und ich bete für Weisheit und Besonnenheit bei den Entscheidungsträgern auf der ganzen Welt, dass sie Wege finden, Konflikte friedlich zu lösen und zuallererst den Frieden zu bewahren.

DOMRADIO.DE: Durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, aber auch den Konflikt in Nahost sind kriegerische Auseinandersetzungen fast zum Greifen nahe geworden. Jedenfalls bestimmen sie die täglichen Schlagzeilen. Was bedeutet das für die Angehörigen der Bundeswehr, deren Auslandseinsätze – wenn ich da an Afghanistan oder Mali denke – bislang weit weg waren? 

Seit dem russischen Angriffskrieg sind mögliche Einsätze mit einem Mal sehr nah / © Beatrice Tomasetti (DR)
Seit dem russischen Angriffskrieg sind mögliche Einsätze mit einem Mal sehr nah / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Schäffer: Die veränderte Sicherheitslage in Europa und die weltweiten Konflikte, wie beispielsweise der russische Angriffskrieg und der Nahostkonflikt, stellen Angehörige der Bundeswehr vor neue Herausforderungen. Die Zeiten, in denen die von Ihnen genannten Auslandseinsätze als weit entfernt wahrgenommen wurden, scheinen vorbei. Nun rücken in der Tat kriegerische Auseinandersetzungen geografisch und emotional näher. Für die Bundeswehr und den Dienst des Einzelnen in den Streitkräften bedeutet das, sich intensiv mit den Themen Krieg und Frieden auseinanderzusetzen, was mehrere Dimensionen umfasst. Stichwort Neuausrichtung der Einsatzbereitschaft: Die Bundeswehr muss ihre Fähigkeiten verstärkt auf die Landes- und Bündnisverteidigung im Rahmen der NATO und der EU konzentrieren. Die Bedrohungslage in Europa erfordert eine erhöhte Einsatzbereitschaft, schnelle Reaktionsfähigkeit und die Anpassung von Strategien an hybride Bedrohungen.

Ulrich Schäffer

"Die Bereitschaft, in ein mögliches Konfliktszenario innerhalb Europas hineingezogen zu werden, erfordert eine noch intensivere Auseinandersetzung mit den Themen Sicherheit, Risiko und ethische Dilemmata von Kriegseinsätzen."

Oder was die mentale Vorbereitung anbelangt: Da wirkt sich die Nähe der Konflikte auch auf die Wahrnehmung und psychologische Belastung der Soldatinnen und Soldaten sowie ihrer Familien aus. Die Bereitschaft, in ein mögliches Konfliktszenario innerhalb Europas hineingezogen zu werden, erfordert eine noch intensivere Auseinandersetzung mit den Themen Sicherheit, Risiko und ethische Dilemmata von Kriegseinsätzen.

Darüber hinaus gibt es die Dimension Ausbildung und Ausrüstung: Die Schwerpunkte in der Ausbildung müssen stärker auf Szenarien ausgerichtet werden, die in Europa relevant sind. Dazu gehört das Training für konventionelle Konflikte, der Umgang mit moderner Technologie, wie Drohnen, Cyberangriffen oder elektronischer Kriegsführung, sowie die Versorgung und Schutzmaßnahmen in einem potenziell großflächigen Konfliktszenario. Ein weiteres Thema ist der zivil-militärische Dialog. Angesichts der verschärften Bedrohungslagen müssen auch Angehörige der Bundeswehr verstärkt gesellschaftliche Debatten über die Rolle des Militärs in Kriegs- und Friedenszeiten führen. Die Kommunikation mit der Öffentlichkeit über die Bedeutung ihrer Einsätze für die Sicherheit Europas wird dabei wichtiger denn je.

Und nicht zuletzt geht es um eine moralische und ethische Reflexion: Das Thema Krieg und Frieden erfordert von Soldatinnen und Soldaten eine tiefere Auseinandersetzung mit den moralischen Fragen ihres Berufs. Die Verantwortung, im Ernstfall Waffen einzusetzen, verlangt ein klares Verständnis von den Prinzipien des Völkerrechts, der Ethik und der politischen Zielsetzung militärischer Einsätze. Insgesamt stehen die Bundeswehrangehörigen somit vor einer doppelten Herausforderung: einerseits der Vorbereitung auf mögliche Einsätze in einer verschärften Bedrohungslage, andererseits der emotionalen und ethischen Auseinandersetzung mit einer neuen Realität, in der kriegerische Auseinandersetzungen keine abstrakte Möglichkeit mehr sind, sondern eine ernstzunehmende Bedrohung darstellen.

Ein Soldat im Gebet / © Beatrice Tomasetti (DR)
Ein Soldat im Gebet / © Beatrice Tomasetti ( DR )

DOMRADIO.DE: Unter dem nun frisch amtierenden Präsidenten der USA wird sich vieles ändern – das lassen jedenfalls seit Wochen die Äußerungen von Donald Trump vermuten, dessen Rolle als Bündnispartner im Moment noch recht ungewiss ist. Die neue Ausgangslage haben Sie als Anlass für das von Ihnen gewählte Jahresthema "Landes- und Bündnisverteidigung" gewählt. Zu keinem Zeitpunkt war das in den letzten Jahrzehnten so aktuell wie gerade. Macht Ihnen das persönlich Sorge?

Schäffer: Die Frage, ob uns die aktuelle politische Lage unter der neuen Führung in den USA mehr als in der Vergangenheit Kopfzerbrechen bereiten wird, ist durchaus berechtigt, gerade hinsichtlich der Bündnis- und Landesverteidigung. Die jüngsten Äußerungen des ehemaligen und neuen US-Präsidenten lassen in der Tat auf eine mögliche Unsicherheit in der Positionierung der USA als verlässlicher Bündnispartner schließen. Dies betrifft insbesondere die NATO, die in den vergangenen Jahrzehnten eine tragende Rolle für die Sicherheit in Europa gespielt hat.

Ulrich Schäffer

"Europa wird zunehmend in die Verantwortung genommen, seine Sicherheitsinteressen selbstbewusster zu vertreten und unabhängiger zu handeln. Dies könnte langfristig zu einer stärkeren europäischen Verteidigung führen, die nicht nur auf die USA angewiesen ist."

Es wäre aus meiner Sicht fahrlässig, diese Entwicklungen zu ignorieren. Die Betonung auf nationalen Interessen – Stichwort: "America first" – und eine Abkehr von multilateralen Abkommen könnte die Stabilität innerhalb des Bündnisses gefährden. Gleichzeitig bietet die Situation aber auch Chancen: Europa wird zunehmend in die Verantwortung genommen, seine Sicherheitsinteressen selbstbewusster zu vertreten und unabhängiger zu handeln. Dies könnte langfristig zu einer stärkeren europäischen Verteidigung führen, die nicht nur auf die USA angewiesen ist.

Mir persönlich macht dabei aber vor allem die Geschwindigkeit Sorge, mit der sich geopolitische Konstanten verändern. Dennoch bin ich der Überzeugung, dass die Bündnispartner innerhalb der NATO und auch die EU-Mitgliedstaaten die Bedeutung von Zusammenarbeit und Stabilität weiterhin schätzen und entsprechend handeln werden. Es ist eine Phase der Neujustierung, die zweifellos Herausforderungen mit sich bringt, aber auch die Möglichkeit, gestärkt aus dieser Situation hervorzugehen. Deshalb beschäftigt sich die GKS auch mit dieser Thematik als Jahresthema 2025 unter dem Titel "Zurück in die Zukunft der Landes- und Bündnisverteidigung – Aktuelle Herausforderungen für (katholische) Soldatinnen und Soldaten." 

Der Kölner Soldatengottesdienst hat eine jahrzehntelange Tradition / © Beatrice Tomasetti (DR)
Der Kölner Soldatengottesdienst hat eine jahrzehntelange Tradition / © Beatrice Tomasetti ( DR )

DOMRADIO.DE: Inzwischen sind Brigaden der Bundeswehr auch in Litauen stationiert. Als Soldat haben Sie einen militärischen Eid geschworen, dem Marschbefehl des Verteidigungsministers Folge zu leisten. Das sind in Europa neue Dimensionen, in denen bislang nicht gedacht werden musste. Gleichzeitig müssen sie die Nachrichten, dass hunderttausende ukrainische Kameraden aus dem Krieg Traumatisierungen davontragen, wenn sie überhaupt von der Front zurückkehren, verarbeiten. Wie nah lassen Sie selbst das Thema Krieg an sich herankommen? Und wie hilft Ihnen dabei Ihr Glaube?

Schäffer: Das Thema Krieg ist für Soldatinnen und Soldaten immer nah – sei es durch die eigene Tätigkeit, durch das, was Kameradinnen und Kameraden erleben, oder durch die mediale Berichterstattung. Es gehört zur Realität unseres Berufes, sich mit den schlimmsten Seiten menschlicher Konflikte auseinanderzusetzen. Gleichzeitig ist es wichtig, eine Balance zu finden, um nicht von den Belastungen überwältigt zu werden.

Ulrich Schäffer

"Der Glaube erinnert mich daran, dass es auch in schwierigen Zeiten Werte gibt, die höher stehen als Konflikte: Menschlichkeit, Nächstenliebe, Frieden."

Mir ist mein Glaube dabei eine wichtige Stütze. Er hilft mir, schwierige Situationen einzuordnen, Hoffnung zu bewahren und innere Ruhe zu finden. Der Glaube erinnert mich daran, dass es auch in schwierigen Zeiten Werte gibt, die höher stehen als Konflikte: Menschlichkeit, Nächstenliebe, Frieden. Er gibt mir die Kraft, meinen Dienst verantwortungsbewusst zu leisten und die Würde jedes Menschen im Blick zu behalten – sei es ein Kamerad, ein Zivilist oder sogar ein Gegner.

Die Messdiener beim Soldatengottesdienst stellen immer Angehörige der Bundeswehr / © Beatrice Tomasetti (DR)
Die Messdiener beim Soldatengottesdienst stellen immer Angehörige der Bundeswehr / © Beatrice Tomasetti ( DR )

DOMRADIO.DE: Wie wichtig ist dabei, die Dinge nicht allein mit sich auszumachen, sondern auch den Austausch zu suchen und unter Umständen professionelle Begleitung?

Schäffer: Erfahrungsgemäß hilft das Gespräch über die eigenen Erlebnisse mit Kameraden, Seelsorgern oder in der Familie ungemein. Traumata zu verarbeiten, wie es viele ukrainische Soldaten leider tun müssen, zeigt, wie wichtig mentale und emotionale Unterstützung ist. Der Glaube allein reicht nicht immer aus – aber er ist eine starke Grundlage, um mit den Herausforderungen des Lebens, auch den dunkelsten, umzugehen.

Als eine der wichtigsten Lehren aus den internationalen Einsätzen der Bundeswehr nach der Wiedervereinigung beider deutscher Staaten 1989/1990 war die Tatsache, dass verwundete oder traumatisierte Soldatinnen und Soldaten durch persönlich erlebte Grausamkeiten in den Einsätzen eine psychologische Unterstützung nach Ende der Einsatzes benötigen. Die Bundeswehr hat dazu Stellen zur Behandlung und Betreuung von Soldaten mit posttraumatischer Belastungsstörung – kurz PTBS – in den frühen 2000er-Jahren eingerichtet.

Der Soldatengottesdienst im Dom wird immer von Protesten begleitet / © Beatrice Tomasetti (DR)
Der Soldatengottesdienst im Dom wird immer von Protesten begleitet / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Ein wichtiger Meilenstein war dabei die Gründung des Psychotraumazentrums der Bundeswehr im Jahr 2002 am Bundeswehrkrankenhaus in Berlin. Dieses Zentrum war speziell darauf ausgelegt, Bundeswehrangehörige mit einer PTBS nach Auslandseinsätzen psychologisch und therapeutisch zu betreuen, was verstärkt nach Einsätzen in Krisenregionen wie dem Kosovo, Afghanistan und Mali der Fall war. Die Erfahrungen dieser Einsätze zeigten, wie stark die psychische Gesundheit der Soldaten durch belastende Ereignisse beeinträchtigt werden kann.

Heute gibt es in der Bundeswehr ein umfassendes Netzwerk aus Fachärzten, Psychologen und Sozialarbeitern, die sich der Diagnostik und Therapie von PTBS widmen. Die GKS als eine der Gründungsnationen des "Apostolats Militaire International" (AMI) wird sich demnächst außerdem finanziell an dem Aufbau eines ukrainischen Psychotraumazentrums beteiligen, um auf diese Weise ihre Solidarität mit den Kameradinnen und Kameraden in der Ukraine zu zeigen.

Das Interview führte Beatrice Tomasetti.

Quelle:
DR

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