Wie die Hartz-Verhandlungen in Berlin scheiterten und wie es jetzt weiter geht

Der große Knall

Schon wieder so eine Nacht. Hoffen, Zuversicht, Drohgebärden, Theaterdonner. Und am Ende: der große Knall. "Die Verhandlungen sind gescheitert", verkündete eine sichtlich ermüdete Sozialministerin Ursula von der Leyen am frühen Mittwochmorgen. Es folgten gegenseitige Schuldzuweisungen von Koalition und Opposition. Vor allem aber blieb allgemeine Ratlosigkeit, wie es mit der Hartz-Reform und der Unterstützung für rund 4,8 Millionen Erwachsene und mehr als 2 Millionen bedürftige Kinder weitergeht.

Autor/in:
Verena Schmitt-Roschmann
 (DR)

Schon in der Nacht zum Montag hatte neunstündiges Gefeilsche von Koalition und Opposition über das milliardenschwere Paket keinen Durchbruch gebracht. Zwei Tage später nun rief von der Leyen die "letzte Runde" aus, um sich mit Hilfe von SPD und Grünen doch noch eine Mehrheit für ihre Reform im Bundesrat zu sichern. Um 19.00 Uhr traf sich die nun schon erprobte Siebener-Gruppe - Leyen und die Ihren auf der einen Seite, SPD-Vizechefin Manuela Schwesig und die übrigen Unterhändler von Rot-Grün auf der anderen Seite - in der saarländischen Landesvertretung in Berlin, um noch einmal - ein einziges Mal noch - letzte Angebote auszutauschen.



Zu dem Zeitpunkt hatten von der Leyen und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) die Erwartungen schon stark gedämpft. Die SPD behauptete dagegen weiter tapfer, sie setze auf eine Einigung. "Wann, wenn nicht jetzt", philosophierte SPD-Fraktionsvizechef Hubertus Heil.



Neue Angebote

Tatsächlich legten beide Seiten noch einmal neue Vorschläge zu den drei Kernstreitpunkten auf den Tisch, die die ohnehin hochkomplizierte Materie nicht gerade übersichtlicher machten. Wieder ging es um den Regelsatz für erwachsene Hartz-IV-Empfänger, denvon der Leyen um 5 auf 364 Euro im Monat aufstocken will. SPD, Grünen und Linken - sie saßen in dieser Nacht nicht mit am Tisch - war das von Anfang an zu wenig. Sie beklagten, die Berechnung sei nicht so transparent, wie es das Bundesverfassungsgericht vor einem Jahr in einem Grundsatzurteil gefordert hatte.



Nun schlug Rot-Grün einen neuen Berechnungsmodus vor, der "verfassungsfester" sein sollte. Dabei sollten diverse Posten hin und her geschoben werden, allerdings mit dem Ergebnis, dass sich an der Höhe des Satzes kaum etwas verändert. Die schwarz-gelbe Koalitoin japste und erbat sich gegen 21.00 Uhr die erste Auszeit. Wenig später beeilte sich die Regierungsseite, das rot-grüne Angebot als lächerlich und inakzeptabel abzulehnen. Da näherte sich die Stimmung schon dem Nullpunkt.



Dennoch wiederholte sich das Ritual wenig später mit umgekehrten Vorzeichen. Die Regierungsseite machte ein "letztes Angebot": Die bereits in der Nacht zum Montag vorgeschlagene Übernahme der bisher kommunalen Kosten der Grundsicherung im Alter durch den Bund wurde in aufgehübschter Form noch einmal präsentiert. Und auch bei dem von der SPD gewünschten Mindestlohn für Zeitarbeiter lenkte die Regierungsseite ein. Diesmal unterbrach die SPD die Verhandlungen - und sagte schließlich Nein. Kurz nach Mitternacht war klar: Nichts geht mehr.



Showdown im Bundesrat

Von der Leyen und Schwesig behaupteten einmütig, sie bedauerten das Scheitern - für das sie jeweils die andere Seite verantwortlich machten. Doch während die angesäuerte SPD-Unterhändlerin der Regierung weitere Verhandlungen anbot und ihr Parteikollege Thomas Oppermann eine rasche Neuauflage prophezeite, fährt von der Leyen einstweilen eine andere Strategie. Das Gesamtpaket des erreichten Verhandlungsstands will die CDU-Politikerin am Mittwochmittag dem Vermittlungsausschuss und am Freitag den Ministerpräsidenten im Bundesrat als Angebot unterbreiten - in der Hoffnung, dass eines der von SPD und Grünen mitregierten Länder doch für die Reform stimmt.



Immerhin geht es um viel Geld. Die Übernahme der Grundsicherung summiert sich nach von der Leyens Worten bis 2015 auf zwölf Milliarden Euro Entlastung für die Kommunen. "So ein Angebot kommt nicht wieder", drohte die Bundesministerin schon einmal vorsorglich. SPD und Grüne dürften bis Freitag bibbern, ob ihre Länder wirklich bei der Stange bleiben - auch wenn Grünen-Unterhändler Fritz Kuhn versicherte: "Ich bin zuversichtlich, dass die Regierung am Freitag im Bundesrat keine Mehrheit findet."