Wie der Kaplan seinen Namen vom heiligen Martin bekam

Der Mantel weht durch die Sprachgeschichte

Der Mantel des heiligen Martin ist heute ein Zeichen christlicher Barmherzigkeit. Im Mittelalter wurde er als Glücksbringer mit in die Schlacht geführt. Dort verlieren sich seine Spuren - nicht aber in unserer Sprache.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
Ein Reiter im roten Mantel stellt den heiligen Martin als römischen Soldaten dar. / © Adelaide Di Nunzio (KNA)
Ein Reiter im roten Mantel stellt den heiligen Martin als römischen Soldaten dar. / © Adelaide Di Nunzio ( KNA )

Der heilige Martin war einst Soldat - das weiß heute wenn nicht mehr jedes, so doch noch manches Kind. Die bekannteste aller Martinslegenden soll sich in jenen Jahren ereignet haben, als seine Einheit in Amiens stationiert war. Einem frierenden Bettler konnte der mitleidende (oder moderner: empathische) junge Offizier nach verlorenem Glücksspiel nichts anderes anbieten, als seinen Soldatenmantel mit dem Schwert zu teilen und ihm eine Hälfte zu überlassen. Beschädigung von Militäreigentum: eine Straftat; auch wenn nominell die Hälfte dem römischen Staat und die andere dem Soldaten selbst gehörte.

Der heilige Martin sitzt auf einem Pferd und teilt seinen Mantel mit einem Bettler. / © Harald Oppitz (KNA)
Der heilige Martin sitzt auf einem Pferd und teilt seinen Mantel mit einem Bettler. / © Harald Oppitz ( KNA )

Jahrzehnte später - er war längst aus dem Armeedienst entlassen und wider Willen vom menschenscheuen Einsiedler zum Bischof von Tours befördert worden - starb Martin (316-397) in hohem Alter bei einem Pfarreibesuch in Candes an der Loire. Schon zu Lebzeiten stand der nicht auf sein Äußeres bedachte Aussteiger, der so gar nicht dem noblen spätantiken Bischofsbild entsprechen wollte, im Ruf der Heiligkeit. Nahe bei Martin zu sein hieß, Gott auf seiner Seite zu haben.

Mit dem Mantel in die Schlacht

Woher die fränkisch-merowingischen Könige seit der Taufe Chlodwigs (466-511) jenen (halben oder ganzen?) Überwurf nahmen, den der Heilige vor mehreren Menschenleben aus Mitleid zerstört hatte, sei dahingestellt. Historisch überliefert ist nur, dass der Mantel Martins von Tours ab dem frühen Mittelalter mit dem Herrscher in die Schlacht geführt wurde. Griechisch-lateinisch-soldatisch hieß der mantelartige Umhang ursprünglich korrekt "chlamys" und war fester Bestandteil der römischen Uniform. Im spätantiken Latein setzte sich mehr und mehr der Begriff "cappa" durch.

Die Martins-Cappa, eine der bedeutendsten Reliquien des Reiches, bedurfte am herumziehenden Königshof natürlich besonderer Bewachung. Dazu wurden des Lesens kundige Geistliche abgestellt, sogenannte Kapellane, die zudem wichtige Notariats- und Verwaltungsaufgaben übernahmen. Sie betreuten auch die jeweilige "Kapelle", also jene Gotteshäuser, in denen die Cappa aufbewahrt wurde. Das schönste architektonische Kleinod, das dem Martinsmantel sowie mehreren Reliquien vom Kreuz Christi geschaffen wurde, ist die Palast-"Kapella" der französischen Könige in Paris. Die 1248 geweihte "Sainte-Chapelle" ist lichtdurchfluteter Höhepunkt der europäischen Hochgotik.

Verloren aber einflussreich

Die Cappa des Heiligen der Barmherzigkeit ist irgendwo zwischen dem Schlachtengetümmel des Mittelalters, den theologischen Scharmützeln um Martins Namensvetter Luther oder den Religionskriegen des 16. Jahrhunderts verloren gegangen. Doch in der abendländischen Sprache sind ihre Spuren bis heute nachzuverfolgen. Der "Kaplan" ist bis heute ein Geistlicher für besondere Aufgaben; die "Kapelle" ein geweihtes Gotteshaus ohne unmittelbare Zuweisung für die Pfarrseelsorge; oder aber eine Gruppe von Musikanten, die ursprünglich wohl für die liturgische Gestaltung von Gottesdiensten an der "Cappa" zuständig waren.

Ein letzter, erst im Zuge des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) gekappter unmittelbarer kirchlicher Bezug ist die sogenannte Cappa magna: ein vier Meter langer Chormantel mit Schleppe, Ehrenzeichen der Kardinäle und Bischöfe. Laut dem Caeremoniale episcoporum von 1984 darf sie heute nur noch an hohen Feiertagen getragen werden, von Diözesanbischöfen (in Violett) und innerhalb ihres Bistums.

Ein asketischer Soldat

Wie der zerhauene Martinsmantel über die Jahrhunderte zu immer neuen Höhen gelangte, so geschah es auch dem Heiligen selbst. Von zeitgenössischen Quellen wird Martin von Tours eher als ein asketischer Schrat beschrieben, der seinen Mitbrüdern ein phänotypisches Ärgernis war, viel mehr auf seine geistlichen Botschaften denn auf Kleidung und Aussehen bedacht.

Auch der Ursprung all seines Wirkens, die Mantelteilung, vollzog sich laut der Überlieferung noch ganz auf Augenhöhe: Soldat und Bettler, zwei Männer aus dem Volk. Von einem Pferd ist nicht die Rede. Mit dem Ritterideal des Mittelalters freilich wurde das Ross des Heiligen immer höher. Der geteilte Mantel wurde zu einer edlen Gabe von oben herab.

Das Stichwort: Martinstag

Der Martinstag erinnert an den im November 397 gestorbenen Bischof Martin von Tours, der Kranke geheilt haben soll und als Wohltäter gilt. Normalerweise finden am Martinstag traditionell Martinsumzüge statt. Bei den Laternen-Umzügen werden Lieder wie "Martin ist ein guter Mann, zündet ihm die Lichter an" oder der Klassiker "Laterne, Laterne, Sonne, Mond und Sterne" gesungen. Allerdings entfallen öffentliche Umzüge in diesem Jahr wegen der verschärften Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie.

St. Martinszug / © Oliver Berg (dpa)
St. Martinszug / © Oliver Berg ( dpa )
Quelle:
KNA