DOMRADIO.DE: Zunächst zu den Koalitionsverhandlungen. Wer verhandelt denn da eigentlich für die jeweilige Partei?

Karin Wollschläger (Leiterin Hauptstadtbüro der Katholischen Nachrichten-Agentur Berlin): Das sind rund 270 Frauen und Männer, viele bekannte Bundespolitiker, aber auch Vertreter aus den Ländern, aus dem Europaparlament. Wer bei den Koalitionsverhandlungen vorne mitmischt, hat in der Regel auch gute Aussichten auf einen Ministerposten. Insofern ist das schon interessant. Die bisherige Innenministerin Nancy Faeser etwa ist nicht in der Arbeitsgruppe für inneres Recht und Migration, sondern in der Gruppe für Bürokratieabbau. Mal sehen, was noch aus ihr wird. Überraschenderweise fehlt auch die CDU-Politikerin Julia Klöckner, eine der CDU-Frontfrauen und auch langjähriges Mitglied im Zentralkomitee der Deutschen Katholiken. Aber wie zu hören ist, hat sie gute Aussichten Bundestagspräsidentin zu werden. Das wäre ein überparteiliches Amt, deshalb hält man sie wahrscheinlich aus den Koalitionsverhandlungen raus. Diese engagierte Katholikin könnte als Bundestagspräsidentin dann protokollarisch das zweithöchste Amt in Deutschland innehaben, nach dem Bundespräsidenten.

DOMRADIO.DE: Welche Rolle spielt die morgige Bundestagssitzung für die Koalitionsgespräche?
Wollschläger: Eine ganz entscheidende. Es wird über das Sondervermögen abgestimmt, also dieses riesige 500 Milliarden schwere Schuldenpaket, sowie über die Lockerung der Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben. Das ist eine finanziell ganz wichtige Weichenstellung für die künftige Regierung. Und weil dafür eine Grundgesetzänderung nötig ist, braucht es eine Zweidrittelmehrheit. Diese Mehrheit steht jetzt, nachdem Union und SPD auf den letzten Metern noch die Grünen für die Abstimmung mit ins Boot geholt haben. Dafür fließen von den 500 Milliarden aber 100 Milliarden Euro in den Klimaschutz. Das haben die Grünen nachverhandelt.
DOMRADIO.DE: Was sagen denn die Kirchen zu dem deutlichen Aufstocken für die Bundeswehr?
Wollschläger: Da gibt es keine einheitliche Linie. Der katholische Militärbischof Franz Josef Overbeck hält diese Mehrausgaben für gerechtfertigt. Er findet, die Aufstockung sei angesichts der Weltlage angesagt. Damit würde man den Einsatz für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit verteidigen. Der Essener Bischof blickt besorgt auf die Entwicklungen in den USA und findet, dass Europa neue, eigene Bündnisstrukturen braucht. Und das kostet Geld. Anders sehen das Friedensbewegungen wie "Pax Christi". Da gibt es die Befürchtung, dass die Bundeswehr einen Blankoscheck ausgestellt bekommt und dass das zu einem neuen Wettrüsten führt. Nachhaltigen Frieden könne es nur durch Abrüstung und Rüstungskontrolle geben, so die Argumentation.
DOMRADIO.DE: In dieser Woche tagt auch der Bundesrat. Was steht da an?
Wollschläger: Da müssen die Grundgesetzänderungen zur Schuldenbremse und zum Sondervermögen die letzte Hürde nehmen. Auch hier braucht es eine Zweidrittelmehrheit. Das ist alles längst noch nicht in trockenen Tüchern. Außerdem stimmt der Bundesrat über das sogenannte UBSKM-Gesetz ab, das Kinder und Jugendliche besser vor sexueller Gewalt schützen soll. Die Zustimmung gilt als sicher. Damit kann das Gesetz in Kraft treten. Das ist eines der Projekte, das die alte Regierung buchstäblich auf den letzten Metern umgesetzt hat. Um ein Haar wäre dieses wichtige Gesetz in den Wirren nach dem Zusammenbruch der Ampel auf der Strecke geblieben.
Das Interview führte Tobias Fricke.