WHO stellt sich auf weitere Ausbreitung der Schweinegrippe ein

Nicht zu stoppen

Margaret Chan wählte klare Worte: "Nicht zu stoppen" sei die weltweite Verbreitung des Grippe-Virus A/H1N1, sagte die Generaldirektorin der Weltgesundheitsorganisation Anfang Juli auf einer Konferenz in Mexiko. Dort hatte die Pandemie ihren Lauf genommen: Im April registrierten die mexikanischen Gesundheitsbehörden erstmals eine neue Variante des Schweinegrippen-Virus, das sich vom Menschen auf den Menschen überträgt. Mittlerweile sind mehr als 100.000 Menschen auf der Welt infiziert, weit über 400 Patienten starben.

Autor/in:
Jan Dirk Herbermann
 (DR)

Nach den Worten der WHO-Chefin wird die Pandemie "zumindest in ihren frühen Tagen" moderat verlaufen. Chan schließt also nicht aus, dass die Schweinegrippe doch noch verheerende Folgen haben könnte.
Bei der letzten großen Pandemie, der Hongkong-Grippe von 1968, starben rund eine Million Menschen.

"Die Gefahr ist die Mutation", erklärt eine WHO-Mitarbeiterin.
"Falls sich das Virus mit einem anderen Virus verbindet, könnte eine aggressivere Form des Erregers entstehen."

Ein weiteres Problem, das in der Genfer WHO-Zentrale Besorgnis auslöst: Noch ist ein Impfstoff gegen die Schweinegrippe nicht fertig für die Massenproduktion. Die WHO geht davon aus, dass die Herstellung erst im September beginnt. Nach Experten-Schätzungen könnten die Firmen in den ersten zwölf Monaten rund drei Milliarden Dosen herstellen.

Ungerechtigkeiten bei der Verteilung des Impfstoffs?
Bei der Verteilung des Impfstoffs, fürchten WHO-Experten, könnten die Menschen in armen Ländern zu kurz kommen. Viele Staaten Afrikas hätten nicht das nötige Geld, um den Impfstoff zu beschaffen, heißt es. Und es fehle die medizinische Infrastruktur, um die Bevölkerung schnell zu impfen. Immerhin hat der der Pharma-Konzern Sanofi-Aventis zugesichert, 100 Millionen Impfdosen für arme Länder bereitzustellen.

Aber auch den reichen Staaten drohen Komplikationen. Der Mediziner Harvey Fineberg vom Institute of Medicine in Washington hat in den vergangenen Monaten immer wieder an die Folgen einer Impfkampagne
1976 in den USA erinnert. Sie war gestartet worden, nachdem sich in einer Kaserne mehrere Soldaten mit einer Form der Schweinegrippe angesteckt hatten. US-Präsident Gerald Ford ordnete vorschnell die Impfung aller Einwohner des Landes an. Ende des Jahres waren 40 von 200 Millionen Amerikanern erreicht. Doch starben rund 30 Menschen an Nebenwirkungen der Impfung. Dutzende Fälle des Guillain-Barré-Syndroms, einer Nervenkrankheit, wurden registriert.

Neben den Impfstoffen werfen auch die gängigen Medikamente zur Behandlung der Grippe bei der WHO Fragen auf. Vor wenigen Tagen erst berichteten die Gesundheitsbehörden in Dänemark, Japan und Hongkong von A/H1N1-Viren, die resistent gegen das Anti-Grippemittel Tamiflu sind. Tamiflu gilt als wirksames Medikament, um die Schweinegrippe bei Menschen zu bekämpfen.

Zwar gab die WHO umgehend Entwarnung und versicherte, es handele sich um "sporadische" Fälle. Fast zur gleichen Zeit aber warnte der beigeordnete WHO-Generaldirektor Keiji Fukuda: "Wir befinden uns definitiv in einer Periode, in der die Lage sich ändert, global und in vielen verschiedenen Ländern."