Viele Lateinamerikaner demonstrieren trotz der Wirtschaftsturbulenzen Optimismus

Als Autowäscher durch die Krise

Die Prognosen sind düster: Experten erwarten für Lateinamerika in diesem Jahr einen Rückgang des Bruttoinlandproduktes um 0,3 Prozent: Ein brüsker Abbruch des stetigen Wachstumspfad mit Plus-Raten von rund fünf Prozent. Am schlimmsten trifft es Mexiko.

Autor/in:
Matthias Knecht
 (DR)

Anfang Mai ging auch Daniel Guzman in die USA, um als Autowäscher zu arbeiten. Sein bisheriges Kleinunternehmen, ein Kleiderhandel im zentralmexikanischen Guanajuato, habe nicht mehr genügend abgeworfen, sagte Guzman kurz vor der Abreise. Seine Frau und die vier Kinder wird er erst Weihnachten wiedersehen. Guzman geht nicht als Verlierer, er ist voller Optimismus und neuer Pläne für die Zeit nach der Krise. Seine Haltung ist typisch für viele Lateinamerikaner.

Die Prognosen sind düster: Die UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik (CEPAL) erwartet für die Region in diesem Jahr einen Rückgang des Bruttoinlandproduktes um 0,3 Prozent: Ein brüsker Abbruch des stetigen Wachstumspfad mit Plus-Raten von rund fünf Prozent. In der Folge werden Arbeitslosigkeit und Armut ansteigen. "Diese Zahlen geben Anlass zur Sorge", sagt CEPAL-Generalsekretärin Alicia Bárcena.

Am schlimmsten trifft es Mexiko, das schon in den vergangenen Jahren Schlusslicht in Lateinamerika war. Im ersten Quartal 2009 ist Mexikos Industrieproduktion mit minus zehn Prozent so dramatisch eingebrochen wie zuletzt in der "Tequilakrise" 1995. Grund ist Mexikos extreme Abhängigkeit von den USA, in die 80 Prozent aller Exporte gehen. Hinzu kam die Schweinegrippe und damit der Einbruch im Tourismus. Finanzminister Augustín Carstens befürchtet ein Schrumpfen der Wirtschaft um bis zu 5,5 Prozent.

Fallende Rohstoffpreise
Auch Südamerika spürt die Flaute. Die Länder des Subkontinents leiden unter fallenden Rohstoffpreisen. Allen voran Chile, dessen Wirtschaftsleistung zu einem Sechstel aus Kupferexporten besteht. Der Weltmarktpreis für Kupfer fiel um mehr als zwei Drittel. Schlecht dran sind auch Länder, die ihre Währung durch den US-Dollar ersetzt haben, wie Ecuador, Panama und El Salvador. Sie können fallende Devisenerlöse nicht durch schwächere Wechselkurse abfangen.

Am besten gewappnet sind laut CEPAL die beiden großen Volkswirtschaften Argentinien und Brasilien, wo die Binnennachfrage und Sozialprogramme fallende Exporte etwas ausgleichen. Brasilien leidet jedoch wie Mexiko unter dem abrupten Rückgang der Auslandsinvestitionen. Die Abhängigkeit von ausländischem Kapital ist groß.

So dramatisch wie in den 1980er und 1990er Jahren dürfte die Krise in Lateinamerika dieses Mal aber nicht werden, glauben die CEPAL-Experten. Der Kontinent steht dank stark gesunkener Auslandsschulden und ausgeglichener Staatshaushalte gut gewappnet da. "Lateinamerika hat seine Hausaufgaben gemacht", lobte Bárcena.

Für Konjunkturprogramme fehlt das Geld
Doch für Konjunkturprogramme fehlt das Geld. Lateinamerikas Chef-Ökonomin kritisiert die immer noch niedrigen Staatseinnahmen infolge laxer Steuergesetze. Das rächt sich in der Wirtschaftskrise. Zwar haben Länder wie Brasilien, Chile und Mexiko ehrgeizige öffentliche Investitionsprogramme angekündigt, doch wie finanzieren? Bárcena spricht darum bereits von einer kommenden "Krise der Haushaltsdefizite".

Besonders hart getroffen ist wiederum Mexiko, das mangels eines funktionierenden Steuersystems die Hälfte seiner Staatsausgaben über die verstaatlichte Ölförderung finanziert. Doch die Ölpreise sinken, und es droht ein Haushaltsdefizit von 25 Milliarden US-Dollar. Ähnlich sind die Probleme in Ecuador, Panama und Bolivien, wo die Staatskasse über Rohstoffe oder Exporte gefüllt wird. Als Lehre aus der Krise empfiehlt CEPAL daher, die Steuersysteme zu verbessern.

Auch im sozialistischen Kuba, das sich vor wenigen Monaten noch für immun gegenüber den Kapriolen des Weltkapitalismus erklärte, zeichnet sich die nächste Versorgungskrise ab. Die Regierung kündigte am Montag verschämt die Rückkehr zu stundenweisen Stromabschaltungen an. Das Wirtschaftszentrum der Universität Havanna, das im Gegensatz zur Regierung mit realistischen Prognosen auffiel, erwartet für das laufende Jahr eine Schrumpfung der Wirtschaft um 0,5 Prozent.

Unerschütterlicher Optimismus
Die Preise für Nickel, Kubas Hauptexportprodukt, fallen. Und die Wirtschaftsreformen kommen nicht voran. Hoffnung macht hingegen die Lockerung des Wirtschaftsembargos durch den neuen US-Präsidenten Barack Obama. Das erlaubt den fast zwei Millionen Exilkubanern in den USA mehr Reisen und mehr Geldüberweisungen auf die Insel.

Ganz Lateinamerika hofft, dass sich die US-Wirtschaft im nächsten Jahr wieder erholt, wie es die Ökonomen voraussagen. Dann will Daniel Guzman mit Ersparnissen von seinem Autowäscherjob zurück in Mexiko sein und ein neues Unternehmen im Tourismussektor gründen: "Die Geschäftsidee ist gut. Der Businessplan steht. Diesmal funktioniert es", demonstriert er unerschütterlich Optimismus.