Denn laut einem Abkommen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) der UNO hätte Deutschland längst ein "umfassendes Verbot aller Formen von Tabakwerbung" erlassen müssen. Die Bundesregierung hat das "Rahmenabkommen der WHO zur Eindämmung des Tabakkonsums" bereits 2003 unterzeichnet, der Bundestag hat den Text ratifiziert und die Frist, zu der Deutschland das Verbot in nationales Recht hätte umsetzen müssen, ist im März dieses Jahres abgelaufen. Doch passiert ist nichts.
Gesundheitspolitisch fatal
"Das ist gesundheitspolitisch fatal und ein klarer Verstoß gegen das internationale WHO-Abkommen", sagt Martina Pötschke-Langer vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ). Die Gesundheitsexpertin weiß nicht nur, dass in Deutschland immer noch jedes Jahr weit mehr als 100.000 Menschen an den Folgen des Tabakkonsums sterben. Als Leiterin des "Kollaborationszentrums der WHO zur Tabakkontrolle in Deutschland" beobachtet sie auch die deutsche Tabakkontrollpolitik - und hält sie für unzureichend. "Wir wissen durch diverse Studien, dass Werbung Jugendliche dazu verleitet, mit dem Rauchen anzufangen und dass sie an den Folgen sterben können. Natürlich fragt man sich da, warum Deutschland diese Werbung nicht längst verboten hat", sagt Pötschke-Langer.
An ihrem Schreibtisch blickt sie in den von ihrem Institut erstellten "Tabakatlas 2009". Auf Seite 99 zeigt eine Karte, wie die europäischen Vertragspartner das WHO-Abkommen umgesetzt haben. Fast alle Länder sind grün markiert. Die Slowakei, Rumänien, Lettland: Sie alle haben Außenwerbung für Tabakwaren verboten - wie im WHO-Abkommen vereinbart. Tiefrot ist dagegen, neben Griechenland, nur Deutschland. "Wir sind das europäische Schlusslicht", sagt Pötschke-Langer und verweist darauf, dass mittlerweile auch Griechenland die WHO-Vereinbarung umgesetzt hat.
Juristisch nicht zu begründen
Beschämend sei das, findet die Gesundheitsexpertin, und juristisch betrachtet sei der Verstoß gegen das WHO-Abkommen ohnehin nicht zu begründen. Tatsächlich scheint die Rechtslage eindeutig. So heißt es in Artikel 13 des WHO-Abkommens: "Jede Vertragspartei erlässt in Übereinstimmung mit ihrer Verfassung oder ihren verfassungsrechtlichen Grundsätzen ein umfassendes Verbot aller Formen von Tabakwerbung."
Unbemerkt von der Öffentlichkeit hat sich die Regierung dennoch bis heute davor gedrückt, die Regelungen in nationales Recht umzusetzen. Die Begründung? Die Anfrage der dapd ließ das Gesundheitsministerium unbeantwortet. Ein mit dem Vorgang betrauter Mitarbeiter der Suchtbeauftragten verwies lediglich auf Antworten der Regierung auf kürzlich gestellte Anfragen im Bundestag.
Antworten "stellenweise dreist"
Harald Terpe hat die Anfragen gestellt. Der suchtpolitische Sprecher der Grünen ist sauer - denn die Ausführungen der Regierung auf seine einfachen Fragen seien wenig erhellend. "Die Antwort ist verschleiernd und stellenweise dreist", sagt Terpe. Tatsächlich erklärt die Regierung in dem Text lang und breit, was sie zur Umsetzung des Abkommens schon alles getan habe: Keine Fernsehwerbung mehr für Zigaretten, Einschränkungen des Sponsorings durch Tabakkonzerne. "Die eigentliche Frage, nämlich warum Deutschland trotz WHO-Abkommens kein umfassendes Werbeverbot erlassen hat, warum es also immer noch Großplakate gibt und auch in den Kinos noch Spots für Zigaretten laufen dürfen, hat die Regierung einfach nicht beantwortet", sagt Terpe.
Stattdessen stellt sich die Regierung mit ihrer Antwort selbst ein Bein. Sie bezeichnet das WHO-Abkommen als "völkerrechtlich verbindlich". Dennoch bereite sie "keine weiteren Gesetzgebungsmaßnahmen in den angesprochenen Bereichen" vor.
Auch aus der Mitte des Bundestages
Den Staatsrechtler Christian Pestalozza von der Freien Universität Berlin macht das ratlos. "Die Bundesregierung, die ja die Verbindlichkeit des WHO-Übereinkommens nicht leugnet, hat bisher leider nicht Farbe bekannt, warum sie weitere Maßnahmen zur Umsetzung des Übereinkommens nicht plant", sagt Pestalozza. Ein entsprechender Gesetzentwurf könne auch aus der Mitte des Bundestages kommen.
Das Grundgesetz würde dem Werbeverbot jedenfalls kaum im Weg stehen - auch die Regierung versucht nicht, das zu verschleiern. Auf die Frage nach etwaigen "verfassungsrechtlichen Hindernissen", die der Umsetzung entgegen stehen würden, verweist das Gesundheitsministerium auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Die Karlsruher Richter messen Maßnahmen zur Verbesserung des Gesundheitsschutz darin eine solche Bedeutung zu, dass sie sogar Eingriffe in Grundrechte rechtfertigen können. Schon 1995 führten sie zudem aus, dass als Maßnahme, um "den bedenkenlosen Tabakkonsum einzudämmen, vor allem ein Werbeverbot in Betracht" käme.
Schonfrist bis Mitte November
Gründe, warum Deutschland die Regelungen des WHO-Abkommens ignoriert, sind also nicht erkennbar. Die Experten des Gesundheitsministeriums werden sich allerdings etwas einfallen lassen müssen - und zwar bis Mitte November dieses Jahres. Dann lädt die WHO zu einer Tagung nach Uruguay. Thema des Treffens: Die Umsetzung des "Rahmeneinkommens der WHO zur Eindämmung des Tabakkonsums".
Werbung für Tabakprodukte ist in Deutschland immer noch erlaubt
Das europäische Schlusslicht
Die Plakate hängen überall. Manche sind sogar witzig: Oben ist eine Zigarettenpackung abgebildet, darunter steht: "Meckert nicht, hat keine Kopfschmerzen und sieht auch noch gut aus." Werbung für Zigaretten sieht man in Deutschland an praktisch jeder Straßenecke - dabei dürfte es die großflächige Reklame eigentlich nicht mehr geben.
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