Interview Expertin vom Deutschen Krebsforschungszentrum

"Der Kampf ist noch nicht gewonnen"

Martina Pötschke-Langer leitet die Stabsstelle Krebsprävention im Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ). Als Leiterin des Kollaborationszentrums der Weltgesundheitsorganisation (WHO) für Tabakkontrolle beobachtet die promovierte Medizinerin die von Deutschland ergriffenen Maßnahmen zur Eindämmung des Tabakkonsums. Im Interview spricht sie über Erfolge und Defizite der deutschen Tabakpolitik.

 (DR)

dapd: Die Deutschen rauchen immer weniger. Haben Sie den Kampf zur Eindämmung des Tabakkonsums gewonnen?

Pötschke-Langer: Der Kampf ist längst nicht gewonnen, aber wir haben tatsächlich viel erreicht. 2001 haben noch 28 Prozent der Jugendlichen geraucht, 2008 nur noch 15 Prozent. Auch die Erwachsenen rauchen weniger und die Belastung durch Passivrauchen ist zu Hause, in der Freizeit und am Arbeitsplatz gesunken.



dapd: Woran liegt das?

Pötschke-Langer: Die gesetzlichen Maßnahmen haben gewirkt. In den letzten zehn Jahren wurde die Tabaksteuer deutlich erhöht, die Werbung eingeschränkt und die Bundesländer haben Maßnahmen zum Schutz der Nichtraucher ergriffen. Der bayerische Volksentscheid für ein umfassendes Rauchverbot hat auch gezeigt, wie stark sich die Mentalität der Bevölkerung geändert hat. Solange Kinder und Jugendliche immer noch mit dem Rauchen beginnen, sollten wir aber weitere Maßnahmen einfordern.



dapd: Wo haben wir Nachholbedarf?

Pötschke-Langer: Wir brauchen ein umfassendes Werbeverbot für Tabakprodukte und Warnhinweise auf den Packungen mit einem Bild, das auf die Gefahren hinweist.



Das vielleicht größte Problem ist aber, dass Zigaretten immer noch überall verfügbar sind. Tabak macht süchtig und krank und Raucher sterben durchschnittlich zehn Jahre früher als Nichtraucher. Außer dem Tabak gibt es kein Konsumgut dieser Art, das überall an jeder Supermarktkasse, in jedem kleinen Gemüseladen, an Tankstellen, und durch Automaten auch an jeder Straßenecke zu erwerben ist.



dapd: Wollen Sie das alles verbieten?

Pötschke-Langer: Wir wollen nicht, dass Kinder und Jugendliche an Zigaretten heran geführt werden. Wenn wir das als gesellschaftlichen Konsens sehen, müssen wir auch den Mut haben, Restriktionen für den Vertrieb zu erlassen. Es gibt auch längst Länder, in denen es solche Verbote gibt. In der Europäischen Union sind wir mittlerweile auch das einzige Land, in dem es noch großflächige Tabakwerbung im öffentlichen Stadtbild geben darf.



dapd: In einem Abkommen mit der WHO hat sich Deutschland verpflichtet, all diese Maßnahmen umzusetzen. Warum konnten wir uns bisher trotzdem davor drücken?

Pötschke-Langer: Man muss gerechterweise sagen, das auch andere Länder bei der Umsetzung deutliche Defizite haben. Aber wir stehen schon auffallend schlecht da. Gemeinsam mit Ländern wie China oder Japan sind wir im unteren Drittel.



Im Übrigen gibt es keine Sanktionsmöglichkeiten. Und die WHO kann nicht in nationale Angelegenheiten eingreifen.



dapd: Warum fällt es Deutschland so schwer, wirkungsvoll gegen den Tabakkonsum vorzugehen?

Pötschke-Langer: Der Einfluss der Tabakindustrie ist immer noch sehr groß. Deutschland war für die Industrie Jahrzehnte lang ein Bollwerk zur Verteidigung ihrer Interessen. Das hat bei Maßnahmen zum Gesundheitsschutz immer wieder zum Stillstand geführt.



dapd: Und heute?

Pötschke-Langer: Die Kontaktpflege mit der Politik findet jetzt eher hinter den Kulissen statt, ist aber immer noch sehr erfolgreich. Jüngstes Beispiel ist die nur schrittweise und kaum spürbare Erhöhung der Tabaksteuer. Die WHO hatte eine drastische Erhöhung empfohlen, weil nur das einen Effekt auf das Konsumverhalten hat. Die Industrie hat das in den Verhandlungen aber verhindert.



dapd: Was sind jetzt die wichtigsten Schritte?

Pötschke-Langer: Das umfassende Werbeverbot, die Warnhinweise und der konsequentere Schutz vor dem Passivrauchen sind wichtig. Aber wir müssen auch Rauchern helfen, die aufhören wollen. Es gibt gute Entwöhnungs- und Beratungsangebote zum Beispiel von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung oder auch von der Einrichtung, an der ich arbeite, dem Deutschen Krebsforschungszentrum. Aber sie werden kaum genutzt, weil viele wissen davon gar nichts. Wir brauchen eine Kampagne, um Raucher darauf aufmerksam zu machen.



dapd: Wo werden wir beim Thema Rauchen in zehn Jahren stehen?

Pötschke-Langer: Ich denke, wir werden auch in Deutschland ein umfassendes Tabakwerbeverbot haben und Einschränkungen beim Vertrieb. Der Konsum wird weiter zurückgehen - allerdings nur wenn wir konsequent weitere Maßnahmen ergreifen. Wenn wir uns ausruhen, werden unsere Kinder und Jugendlichen wieder deutlich mehr rauchen.



dapd: Irgendwer müsste diese Maßnahmen durchsetzen. Von der seit dem Regierungswechsel zu Schwarz-Gelb amtierenden Suchtbeauftragen Mechthild Dyckmans hört man dazu bisher nicht vielà

Pötschke-Langer: Man muss gerechterweise sagen, dass ihre Amtsvorgängerin Sabine Bätzing wirklich sehr viel getan hat, gerade in der Öffentlichkeitsarbeit. Das war begeisternd, liegt aber nicht jedem. Man muss der neuen Beauftragten Zeit geben.