Wer hat Anspruch auf die Alexander-Newski-Kirche?

"Die Situation ist heikel"

Wem gehört was in Jerusalem? Die Forderung nach der Rückgabe der Alexander-Newski-Kirche von Wladimir Putin hat die Diskussion erneut entfacht. Im Prinzip beanspruchen drei Gesellschaften den Besitz, sagt Theologe Bernd Mussinghoff.

Kreuzwegsdarstellung und Schwelle über die Christus auf dem Weg nach Golgatha gegangen sein soll im Alexanderhof in Jerusalem am 21. April 2022.  / © Andrea Krogmann (KNA)
Kreuzwegsdarstellung und Schwelle über die Christus auf dem Weg nach Golgatha gegangen sein soll im Alexanderhof in Jerusalem am 21. April 2022. / © Andrea Krogmann ( KNA )

DOMRADIO.DE: Auf die Areale und die religiös bedeutsamen Gebäude in Jerusalem stellen ganz unterschiedliche Gruppierungen Ansprüche. Auch der Vatikan redet ein Wörtchen mit. Sie haben acht Jahre dort gelebt. Diese russisch-orthodoxe Kirche aus dem Jahr 1872, um die es geht, ist von innen sehr kunstvoll und farbig und ein beliebtes Ziel für russische Pilger. Rückgabe klingt jetzt danach, als hätte sie Russland schon mal gehört.

Bernd Mussinghoff (Diplomtheologe und Generalsekretär der Stiftung "PRO ORIENTE"): Dem russischen Staat hat es in der Form nicht gehört. Dieser Kirchbau des sogenannten Alexanderhofs mit der Alexander-Newski-Kirche geht zurück auf die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts, als in verschiedenen europäischen Ländern Vereine entstanden sind, die eine Kirchennähe hatten, beispielsweise in Italien zur katholischen Kirche. In Deutschland gibt es immer noch den deutschen Verein vom Heiligen Lande, der auch eine Nähe zur katholischen Kirche hat. Es gibt auch von deutscher evangelischer Seite in der gleichen Zeit entsprechende Bemühungen und es gibt eben auch eine russische, damals hieß sie kaiserlich orthodoxe Palästina-Gesellschaft, die eine Nähe zur russisch-orthodoxen Kirche hat.

In all diesen Gesellschaften war es auch so, dass gewisse nationale staatliche Interessen auch mit bedient worden sind und es eine mehr oder weniger starke Nähe zur Regierung des jeweiligen Staates gab. Aber die eigentlichen Eigentümer der Liegenschaften waren immer diese jeweiligen Gesellschaften. So im Fall der Alexander-Newski-Kirche, um die es jetzt geht oder des Alexanderhofes, eben diese kaiserliche orthodoxe Palästina-Gesellschaft.

DOMRADIO.DE: Aber nicht erst seit gestern ist die Kirche in Israels Hand oder in den Gesellschaften. Der Zeitpunkt der Forderung Putins jetzt mitten im russischen Angriffskrieg auf die Ukraine spielt sicherlich auch eine Rolle. Und dann kam die Forderung auch noch in der heiligen Osterwoche, in der vor Ort in Jerusalem viel los war. Wieso ist die Debatte neu entfacht?

Alexanderhof mit Alexander-Newski-Kirche in Jerusalem / © Roman Yanushevsky (shutterstock)
Alexanderhof mit Alexander-Newski-Kirche in Jerusalem / © Roman Yanushevsky ( shutterstock )

Mussinghoff: Ganz aktuell geht es auf ein Gerichtsurteil des Jerusalemer Bezirksgericht zurück, das eine Klage zu behandeln hatte, die von der Stiftung, die derzeit die Kontrolle über diesen Alexanderhof hat, eingereicht worden ist.

Sie setzt sich dagegen zur Wehr, dass das Grundbuchamt des israelischen Justizministeriums jetzt versucht, den Besitz auf die in Russland registrierte Rechtsnachfolgerin dieser kaiserlich orthodoxen Palästina-Gesellschaft zu übertragen, während diese Stiftung, die jetzt dort die Kontrolle ausübt, sich selbst als die legitime Nachfolgerin dieser Palästina-Gesellschaft ansieht.

Das Gerichtsurteil liegt jetzt, glaube ich, ungefähr vier Wochen zurück. Als ersten Schritt nach dem Gerichtsurteil hat der Vorsitzende der in Russland registrierten Gesellschaft, ein früherer Premierminister, eine Pressekonferenz auf einem anderen russischen Compound in West-Jerusalem gegeben. Als ein weiterer Schritt ist dann wenige Tage danach der Brief von Präsident Putin eingegangen. Das sehe ich im Moment als den eigentlichen Anknüpfungspunkt.

Warum erfolgen diese Schritte jetzt? Das Gerichtsurteil liegt eben erst wenige Wochen zurück und im Hintergrund steht ein Abkommen, das offenbar die israelische und die russische Regierung vor gut zwei Jahren geschlossen haben, als eine israelische Staatsbürgerin in Russland wegen des Besitzes von wenigen Gramm Haschisch zu mehrjähriger Haft verurteilt worden ist.

Man hat diese Frau frei bekommen und hat im Gegenzug dann aber der russischen Seite zugesichert, dass die Übertragung des Grundbucheintrags für diesen Alexanderhof dann auf die Gesellschaft, die in Russland registriert ist und sich als Rechtsnachfolgerin der Gesellschaft aus dem 19. Jahrhundert ansieht, erfolgen wird.

DOMRADIO.DE: Die aktuellen Geschehnisse klingen erst mal gar nicht so dramatisch. Aber könnte das nicht auch ein Präzedenzfall für weitere kirchliche Liegenschaften in der Stadt werden?

Mussinghoff: Heikel daran ist, dass Ostjerusalem - die gesamte Altstadt gehört ja zu Ostjerusalem - nach internationalem Recht und von der internationalen Staatengemeinschaft als besetztes Gebiet gilt. Es gilt also nicht als Staatsgebiet Israels, sondern wie das gesamte Westjordanland oder die Teile, die noch nicht autonom sind, eben als von Israel besetztes Gebiet, während nach israelischem Recht Ostjerusalem in den 1980er-Jahren annektiert worden ist und sozusagen jetzt als Teil des Staatsgebietes Israels angesehen wird. So möchte der Staat Israel auch ein normales israelisches Recht in der Altstadt durchsetzen und kann das auch.

Auf der anderen Seite ist sich die israelische Regierung und sind sich die entsprechenden Behörden schon im Klaren, dass die Besitzverhältnisse gerade in der Altstadt, die so alt ist und wo es oftmals so viele konkurrierende Ansprüche um die gleichen Gebäude gibt, mit äußerster Vorsicht und Behutsamkeit zu behandeln sind. Wenn jetzt ein solcher Schritt einer Umregistrierung erfolgen würde, haben natürlich verschiedene andere kirchliche Eigentümer auch Sorge, dass die Aufrechterhaltung des Status quo, den Israel grundsätzlich zusichert, auch andernorts aufgeweicht werden könnte oder in Gefahr geraten könnte.

DOMRADIO.DE: Putin geht es hierbei nicht nur um diese eine Kirche, sondern schon seit Jahren um Kirchengüter verschiedener Art in Jerusalem. 2008 hat Russland den Sergejhof zurückerhalten oder umregistriert bekommen. Ist das nun ein weiterer Schritt seiner konkreten Forderungen? Wovon gehen Sie aus, was als nächstes kommt?

Innenraum der russisch-orthodoxen Alexander-Newski-Kirche / © Andrea Krogmann (KNA)
Innenraum der russisch-orthodoxen Alexander-Newski-Kirche / © Andrea Krogmann ( KNA )

Mussinghoff: Man muss einfach sehen, dass es heute eigentlich drei Gesellschaften gibt, die für sich beanspruchen, die Rechtsnachfolgerin dieser kaiserlich russischen Palästina-Gesellschaft aus dem 19. Jahrhundert zu sein. Eine ist in Russland registriert, steht der russisch-orthodoxen Kirche, dem Moskauer Patriarchat nahe, und hat in Form des Vorsitzenden, des früheren Ministerpräsidenten eben auch eine gewisse Nähe zum Staat und zur Regierung.

Eine andere Gesellschaft hat es gegeben, nachdem nach 1917 die russische Auslandskirche gegründet wurde, die in der Zeit, als das Moskauer Patriarchat mit den in der Sowjetunion herrschenden Kommunisten einen Modus Vivendi finden musste, eine antikommunistische Ausrichtung hatte. Die haben dann eine neue Gesellschaft gegründet, die in Israel registriert ist und einen Ableger in den USA hat.

Dann gibt es die eben schon erwähnte Splittergruppe, die in Deutschland als Stiftung registriert ist und die im Moment die Kontrolle über diesen Alexanderhof hat.

Nachdem die russische Auslandskirche und das Moskauer Patriarchat 2007 formal die volle Kirchengemeinschaft wieder aufgenommen haben, nachdem es ja keinen Kommunismus mehr gibt, der in Russland herrscht, gibt es zwischen diesen beiden Gesellschaften einfach noch Dinge, die zu klären sind.

Die Grundstücke, die auf dem Staatsgebiet Israels sind, sind alle auf die in Russland registrierte Gesellschaft eingetragen. Diejenige, die in den besetzten Gebieten liegen, aber auf die in Israel beziehungsweise den USA registrierte Gesellschaft eingetragen und nur dieser Alexanderhof ist noch unter Kontrolle dieser Splittergruppe, die in Deutschland registriert ist.

Wenn man so will, bemüht sich der russische Staat hier um eine Vereinheitlichung, nachdem - abgesehen von dieser Splittergruppe - eben Auslandskirche und Moskauer Patriarchat auch formal wieder in Communio in Gemeinschaft miteinander stehen.

Wenn es einen vergleichbaren Fall gäbe, könnte man sich schon fragen, ob die Regierung eines anderen Staates das nicht vielleicht auch in ähnlicher Weise versuchen würde. Es kann natürlich einen Zusammenhang mit der aktuellen weltpolitischen Lage geben, das will ich nicht bestreiten, aber es muss ihn nicht geben. Das, glaube ich, ist nur wichtig zu sehen. Diese Splittergruppe ist in der Tat von keiner anderen orthodoxen Kirche oder auch in der Ökumene kirchlich anerkannt.

Insofern ist das schon eine schwierige Situation, insbesondere da sich dieser Alexanderhof noch dazu in unmittelbarer Nähe zur Grabeskirche befindet und damit auch von hohem Interesse für die russisch-orthodoxe Kirche ist.

Das Interview führte Katharina Geiger.

Putin fordert Übergabe von Jerusalemer Kirche

Der russische Präsident Wladimir Putin hat den israelischen Ministerpräsidenten Naftali Bennett in einem Brief aufgefordert, die Übergabe der Alexander-Newski-Kirche in der Jerusalemer Altstadt an Moskau zu genehmigen. Die Übergabe ist Teil eines vor zwei Jahren geschlossenen Abkommens um die Freilassung einer wegen Drogenbesitzes in Russland inhaftierten israelisch-amerikanischen Frau, wie israelische Medien am Montag berichteten.

Russlands Präsident Wladimir Putin / © Andrei Gorshkov (dpa)
Russlands Präsident Wladimir Putin / © Andrei Gorshkov ( dpa )
Quelle:
DR