Was bedeutet Putins Abgabeforderung der Jerusalemer Kirche?

"Putin fordert ein Glaubensbekenntnis von Israel"

Wladimir Putin fordert den israelischen Ministerpräsidenten Bennett auf, die Alexander-Newski-Kirche in der Jerusalemer Altstadt an Moskau zu übergeben. Welchen Wert hat die Kirche und worum geht es dem russischen Präsidenten?

Alexanderhof mit Alexander-Newski-Kirche in Jerusalem / © Roman Yanushevsky (shutterstock)
Alexanderhof mit Alexander-Newski-Kirche in Jerusalem / © Roman Yanushevsky ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Der russische Präsident Wladimir Putin hat den israelischen Ministerpräsidenten Naftali Bennett in einem Brief aufgefordert, die Übergabe der Alexander-Newski-Kirche in der Jerusalemer Altstadt an Moskau zu genehmigen. Wie kommt Putin darauf?

Nikodemus Schnabel OSB (Dormitio-Abtei Jerusalem): Es gibt diese Besitzungen auch bei den Deutschen, etwa auf katholischer Seite den Deutschen Verein vom Heiligen Lande, wo auch mein Kloster, die Dormitio-Abtei dazugehört oder auf evangelischer Seite die evangelische Jerusalem-Stiftung. Am Ende des Osmanischen Reiches haben die großen europäischen Mächte Gesellschaften gegründet, die Besitz im Heiligen Land erworben haben, um die jeweilige Präsenz zu stärken. Also von Anfang an immer eine Mischung aus staatlichem und kirchlichem Interesse.

Nikodemus Schnabel / © Julia Steinbrecht (KNA)
Nikodemus Schnabel / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Es gibt diese Kaiserlich Orthodoxe Palästina-Gesellschaft. Wer schon mal in Jerusalem war, weiß, dazu gehört die Maria Magdalena Kirche und viele andere russische Kirchen. Dann gab es die große Abspaltung 1917, die Revolution. Die russisch-orthodoxe Kirche zerreißt sich. Es gab dann die sogenannten "Roten Russen", quasi die Patriarchatsrussen innerhalb der Sowjetunion und es gab die "Weißen Russen", die "Russische Orthodoxe Kirche im Ausland", die sehr bewusst bis 2007 zum Moskauer Patriarchat die Verbindung völlig abgebrochen hatte. Und die ist gerade in Jerusalem sehr, sehr präsent, sehr wichtig.

DOMRADIO.DE: Wem gehört denn diese Kirche, die auch Kathedrale der Heiligen Dreifaltigkeit genannt wird?

Schnabel: Der "Kaiserlich Orthodoxen Palästina-Gesellschaft"! Den Zaren, also den Kaiser, gibt es aber seit 1917 nicht mehr! Die große Frage ist: Wer ist der legitime Rechtsnachfolger dieser Stiftung? Die Gesellschaft wurde in eine neue Gesellschaft überführt, welche dem Moskauer Patriarchat untersteht. Das hat Israel auch so anerkannt. Das ist unumstritten. Nur die Frage ist: Wem gehört die Altstadt Jerusalems? Und da liegt eben die Alexander-Newski-Kirche. Das ist sozusagen völkerrechtlich gesehen von Israel besetztes Gebiet, nicht Israel.

Es gibt daher noch einen anderen Verein, der sich als legitimer Rechtsnachfolger der "Kaiserlich Orthodoxen Palästina-Gesellschaft" sieht und der die Kirche mit dem dazugehörigen Museum und kleinem Gästehaus heute unterhält. Er ist gegenüber dem Moskauer Patriarchat äußerst kritisch eingestellt und hat auch die Wiedervereinigung der ehemaligen Russischen Orthodoxen Kirche im Ausland mit der Russischen Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats im Jahr 2007 scharf kritisiert und nicht mitvollzogen. Die Frage ist also: Gehört diese Kirche zur Russischsprachigen Orthodoxie die Ja oder die Nein zu Moskau sagt! Was Putin jetzt macht, er fordert eigentlich jetzt so eine Art Glaubensbekenntnis von Israel, dass er fragt: Israel wo stehst du? Gibst du die Kirche zurück oder lässt du sie quasi in westlicher Hand?

Nikodemus Schnabel

"Putin will jetzt sozusagen, dass Israel Farbe bekennt, Israel verhält sich ja politisch momentan zwischen allen Stühlen."

DOMRADIO.DE: Das Ganze hat ja auch eine Vorgeschichte. Vor zwei Jahren gab es einen Fall, dass eine Israelin in Russland inhaftiert worden ist, weil sie Cannabis im Gepäck hatte. Der damalige Premier Netanjahu hat gesagt: Wenn ihr diese Frau freilasst, gebe ich euch diese Kirche zurück. Hat es seitdem denn Bemühungen gegeben, dass das wieder an Russland überschrieben wird?

Schnabel: Putin hat sich sehr darum bemüht. Natürlich mahlen bürokratischen Mühlen überall langsam. Das ist einfach noch nicht vollendet worden. Putin macht jetzt Druck. Er will jetzt sozusagen Fakten. Und jetzt auf einmal ist diese Sache noch viel politischer als vor zwei Jahren. Aber letztendlich geht es jetzt wirklich darum: Wird diese Kirche Staatsbesitz? Der Alexanderhof sollte ursprünglich mal das russische Konsulat sein, wirklich ein absolutes Filetstück. Oder bleibt diese Kirche halt jetzt Teil dieser Gesellschaft, die eben als westlich wahrgenommen wird, weil die Menschen, die dort leben sich eben nicht zum Moskauer Patriarchat bekennen.

Nikodemus Schnabel

"Ich meine, im Moskauer Patriarchat gehen ja gerade Auslandsgemeinden verloren, wenn wir an Benelux denken, wenn wir an Italien denken."

Das ist ja gerade die Stimmung, die wir haben, ganz allgemein. Ich meine, dem Moskauer Patriarchat gehen ja gerade Auslandsgemeinden verloren, wenn wir an Benelux denken, wenn wir an Italien denken. Immer mehr Bischöfe, immer mehr Pfarreien im Ausland sagen, ich kann nicht mehr Teil dieser Kirche sein, die quasi diesen aggressiven Angriffskrieg von Putin schönredet und segnet. Das ist glaube ich jetzt genau der Punkt. Putin will jetzt sozusagen, dass Israel Farbe bekennt, Israel verhält sich ja politisch momentan zwischen allen Stühlen. Die Frage ist jetzt also: Gebt ihr mir diese Kirche oder nicht? Egal was ihr tut, damit bekennt ihr ja klar auch Farbe in einem Konflikt.

DOMRADIO.DE: Das heißt, es geht Putin gar nicht um die Kirche an sich, sondern um die Stärkung Russlands, auch außenpolitisch?

Schnabel: Ich verstehe es jetzt wirklich so. Natürlich ist die Kirche auch ein wunderbares Filetstück, im Zentrum der Altstadt. Das ist eine wunderschöne Kirche, wirklich groß und schon toll. Israel verhält sich halt in dem gegenwärtigen Konflikt neutral, bekennt keine Farbe. Viele westliche Staaten sind sehr verärgert, dass Israel sich nicht klar zur Ukraine bekennt. Und Russland ist eben verärgert, dass Israel sich nicht klar zu Russland bekennt. Letztendlich geht es hier weniger, in meinen Augen, um die Kirche selbst, – ich meine Putin ist Politiker und nicht Kirchenfürst – sondern es geht wirklich darum, dass Israel hier gezwungen wird, politisch Farbe zu bekennen.

Das Interview führte Uta Vorbrodt.

Putin fordert Übergabe von Jerusalemer Kirche

Der russische Präsident Wladimir Putin hat den israelischen Ministerpräsidenten Naftali Bennett in einem Brief aufgefordert, die Übergabe der Alexander-Newski-Kirche in der Jerusalemer Altstadt an Moskau zu genehmigen. Die Übergabe ist Teil eines vor zwei Jahren geschlossenen Abkommens um die Freilassung einer wegen Drogenbesitzes in Russland inhaftierten israelisch-amerikanischen Frau, wie israelische Medien am Montag berichteten.

Russlands Präsident Wladimir Putin / © Andrei Gorshkov (dpa)
Russlands Präsident Wladimir Putin / © Andrei Gorshkov ( dpa )
Quelle:
DR