Kirchen verlieren weiter Mitglieder - und suchen das Gespräch

"Wenn wir offener und lockerer auf die Menschen zugingen..."

Den Kirchen laufen die Mitglieder davon. Seit Jahren hält der Trend an. Auch im vergangenen Jahr war das so. Was macht das mit denen, die bleiben und was setzen die Kirchen dem entgegen? Eine Erkundung.

Autor/in:
Sascha Pöschel
Zahl der Kirchenaustritte steigt / © Maleo (shutterstock)
Zahl der Kirchenaustritte steigt / © Maleo ( shutterstock )

Michael Weißmann stehen in den kommenden Wochen intensive Telefonate bevor. Der 50-jährige Familienvater und Diakon ist einer von vier ehrenamtlichen Ansprechpartnern einer bundesweit bislang einzigartigen Hotline des Bistums Regensburg. Dort können sich bis Ende August diejenigen melden, die mit der Kirche und dem Glauben hadern. Weißmann, von Haus aus Diözesan-Caritasdirektor, ist zum dritten Mal dabei. Und weiß inzwischen, was ihn erwartet.

Da sind die Frustrierten, die vor allem Dampf ablassen wollen. Die Enttäuschten, deren Kind keinen Platz im katholischen Kindergarten bekommen hat. Die Fragenden und Suchenden, die in ihrer Kirche keine Antworten erhielten. Die mit zerbrochenen Ehen oder unerfüllten Kinderwünschen klar kommen müssen, die ihre Lebensentwürfe nicht mit den kirchlichen Moralvorstellungen übereinbringen.

Entfremdungsprozess zwischen Kirche und Gesellschaft

Was Michael Weißmann schon öfter zu hören bekam: dass die Kirche als "stocksteif" erlebt werde. "Wenn wir offener und lockerer auf die Menschen zugingen, würden sich vielleicht auch vor Ort andere Gespräche mit den Leuten ergeben", sagt er. Aber wie lange kann das noch gelingen - bei immer weniger engagierten Mitgliedern und immer mehr Austritten? Die Statistiken, die die beiden großen Kirchen in Deutschland am Freitag vorlegten, zeugen vor allem von einem Entfremdungsprozess zwischen Kirche und Gesellschaft.

Deutschland, das war einmal christliches Abendland. Doch das ist lange her. Inzwischen sind nur noch etwas mehr als die Hälfte der Einwohner Katholiken oder Mitglied in einer protestantischen Landeskirche. Im Jahr 2060, so prognostiziert eine vor wenigen Wochen vorgestellte Studie, wird sich dieser Anteil noch einmal halbieren.

Austrittsgrund Kirchensteuer

In Bremen, dem einzigen Bundesland, in dem Bürger den Kirchen persönlich ihren Austritt mitteilen können, bemühen sich zwei Anlaufstellen, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen: die katholische "AtriumKirche" an Sankt Johann und das evangelische "Kapitel 8" am Sankt-Petri-Dom.

Die Entscheidung zum Austritt aus der Kirche hat bisweilen auch mit dem Lohnzettel zu tun, weiß Diplom-Theologe Hans-Peter Ostermair, der im Team der "AtriumKirche" arbeitet. Manch ein Berufsanfänger realisiere erst mit der Gehaltsabrechnung, dass und wie viele Steuern an die Kirche gehen. Wer dann ohnehin kaum noch Bindung zu Kirche oder der örtlichen Gemeinde habe, sage schnell Adieu, meint Ostermair.

Tipps für Menschen mit Austrittsgedanken

Anders als in der "AtriumKirche", nimmt das nur hundert Meter davon entfernte "Kapitel 8" keine Austrittserklärungen entgegen. Der evangelische Pastor Hans-Jürgen Jung und seine Mitarbeiter verweisen stattdessen auf die zuständigen Stellen. Die Einrichtung ist benannt nach der Hausnummer sowie dem ehemals an der Stelle stehenden Domkapitelhaus und gilt seit ihrer Gründung 1998 gleichwohl als gelungenes Experiment in Sachen Dialog, wie Jung erläutert. Mehr als 130.000 Besucher wurden gezählt, mehr als 1.000 Eintritte in die Kirche nahmen in dieser Zeit hier ihren Anfang.

Unter den Wiedereintretenden seien Ältere, die sich wieder zur Kirche hingezogen fühlten, erläutert Christiane Timmermann vom Ehrenamt-Team. "Und dann komme auch die Jungen, die vielleicht Taufpaten bei befreundeten Familien werden wollen." Auch für Menschen mit Austrittsgedanken, die vielleicht mit ihrer Heimatgemeinde hadern, hält das Team Tipps bereit. Man könne auch in eine andere Gemeinde gehen, wo man sich besser aufgehoben fühlt. Das sei manchen gar nicht klar.

Ähnlich sind die Erfahrungen in der "AtriumKirche". "Viele berichten, dass sie vor zehn oder mehr Jahren ausgetreten sind, aber dass ihnen etwas fehlt im Leben", sagt Diplom-Theologe Ostermair. Andere sprächen davon, dass sie merkten, "dass da doch etwas ist". Jung und Alt seien gleich häufig vertreten. Allen Mühen zum Trotz bleibt aber auch in der Stadt Bremen ein Ungleichgewicht. 2018 gab es laut offizieller Statistik 12 Übertritte aus anderen Konfessionen und 19 Wiedereintritte - bei mehr als 700 Austritten.


Quelle:
KNA