Katholische Kirche nimmt "geistlichen Missbrauch" in den Blick

Wenn "Seelenführer" krank machen

Die Missbrauchsdebatte in der katholischen Kirche weitet sich aus. Außer sexuellen Übergriffen kommt "geistlicher Missbrauch" in den Blick. Dabei wird Gläubigen eine bestimmte Religiosität aufgezwungen - oft mit fatalen Folgen.

Autor/in:
Gregor Krumpholz
Katholische Kirche nimmt "geistlichen Missbrauch" in den Blick / © Julia Steinbrecht (KNA)
Katholische Kirche nimmt "geistlichen Missbrauch" in den Blick / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Sexueller Missbrauch hält die Kirchen seit Jahren in Atem. Nun will die katholische Deutsche Bischofskonferenz verstärkt auch gegen "geistlichen Missbrauch" vorgehen, die Verletzung des Rechts auf religiöse Selbstbestimmung.

Eine Tagung der Katholischen Akademie des Bistums Dresden-Meißen in Kooperation mit der Bischofskonferenz und der Sächsischen Landesärztekammer versuchte am Donnerstag und Freitag eine Bestandsaufnahme unter dem Motto "Gefährliche Seelenführer?". Über 400 Teilnehmer der digitalen Veranstaltung belegten die Aktualität des Themas.

"Ich hatte zwei Mal einen körperlichen Zusammenbruch, war Monate lang krank geschrieben", berichtete eine Betroffene. "Mein Glaube war kaputt gemacht." Die 37-Jährige hatte als junge Frau bei einer Jugendwallfahrt eine der neuen geistlichen Gemeinschaften kennengelernt und sich ihr angeschlossen.

Was sie zunächst als eine Art "Glaubensseminar" verstanden hatte, zog sie in eine von krankhafter Sündenangst dominierte "Parallelwelt", die sie von ihrer Familie und alten Freunden entfremdete. Erst nach vielen Jahren gelang es ihr, die Gemeinschaft zu verlassen. "Ihre Drohungen verfolgen mich bis heute", betonte sie.

Ähnliche Erfahrungen machen auch andere Aussteiger aus solchen Gruppierungen, die wegen ihrer Aufbruchstimmung in allen Kirchen in hohem Kurs stehen. Doch die "Schattenseiten" einiger dieser Gemeinschaften werden immer stärker wahrgenommen, wie der Münsteraner Bischof Felix Genn einräumte, der in der Bischofskonferenz die Kommission für geistliche Berufe und kirchliche Dienste leitet.

Skandal um sexuellen Missbrauch sensibilisiert auch für geistliche Übergriffe

Der Skandal des sexuellen Missbrauchs in der Kirche sensibilisiert auch für spirituelle Übergriffe. Nach Erkenntnissen von Anna Katharina Fuchs, die an der römischen Universität Gregoriana Psychologie lehrt, wird sexueller Missbrauch etwa dann mit geistlichem verbunden, wenn ein Täter mit biblischen Aussagen begründet, dass die Frau sich dem Mann unterordnen muss.

Spirituelle Übergriffe sind jedoch nicht nur ein Problem ordensähnlicher Gemeinschaften. Sie können auch vorkommen, wenn Geistliche oder Gruppen einer Pfarrgemeinde ihre Glaubenspraxis aufzwingen wollen. In dieser Versuchung sind nach den Worten des Münchner Psychoanalytikers und Jesuitenpaters Eckhard Frick vor allem charismatische Persönlichkeiten, «die auch heute Kirchen füllen können».

In den protestantischen Freikirchen ist diese Gefahr ebenfalls virulent und dennoch weithin ein "Tabu", wie die freiberufliche Beraterin Inge Tempelmann aus Lüdenscheid einräumt, die 2007 eines der ersten Bücher über das Thema schrieb. Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) sieht sich nach Angaben ihres Fachstellenleiters für sexuelle Gewalt, Helge Staff, von diesem Problem indes weniger betroffen. Als Grund führte er die geringe Zahl ordensähnlicher Gemeinschaften und ein verbreitetes liberales Glaubensverständnis in den Landeskirchen an.

Strafrecht kein alleiniger Maßstab für Kirchen

Der Juraprofessor Joachim Renzikowski (Halle-Wittenberg) warnte die Kirchen davor, sich bei geistlichem Missbrauch auf das staatliche Strafrecht zu verlassen. Es komme allenfalls mittelbar etwa bei körperlichen Folgen infrage. Deshalb sind nach Einschätzung der Erfurter Kirchenrechtlerin Myriam Wijlens in der katholischen Kirche vor allem die Bischöfe wegen ihrer Aufsichtspflicht gefragt. Sie kritisierte, dass die geistlichen Missbrauch betreffenden Regelungen des Kirchenrechts nicht immer beachtet würden.

Der Generalvikar des Erzbistums Berlin, Pater Manfred Kollig, betonte, kirchliche Ordnungen zum Umgang mit geistlichem Missbrauch seien zwar erforderlich, reichten aber nicht aus. Unverzichtbar sei auch, eine Grundhaltung zu fördern, dass Glaubensentscheidungen nicht erzwungen werden dürften.

Referentinnen und Referenten sowie die übrigen Teilnehmer der Tagung waren sich einig in den Forderungen unter anderem nach eingehenden Prüfungen geistlicher Gemeinschaften sowie niedrigschwelligen und unabhängigen Anlaufstellen auch für Opfer geistlichen Missbrauchs, wie es sie im Bistum Osnabrück bereits gibt. Der Psychotherapeut Peter Schönknecht riet überdies zu Behandlungsangeboten auch für die Täter.

Zum Abschluss mahnte der gastgebende Bischof Heinrich Timmerevers, nachdrücklich, dabei vor allem "die Betroffenen zu hören". Er kündigte an, dass die Bischofskonferenz das Thema auf ihrer Vollversammlung 2021 in Dresden weiter vertiefen will. Überdies könnten die Diskussionen ein Impuls für den Reformdialog "Synodaler Weg" der katholischen Kirche in Deutschland sein.


Bischof Felix Genn im Ornat / © Harald Oppitz (KNA)
Bischof Felix Genn im Ornat / © Harald Oppitz ( KNA )

Bischof Heinrich Timmerevers / © Dominik Wolf (KNA)
Bischof Heinrich Timmerevers / © Dominik Wolf ( KNA )
Quelle:
KNA
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