Kirche und AfD - ein Stimmungsbild aus den Gemeinden

Wenn die Orgel das Deutschlandlied spielt

Rund 43 Prozent hat die AfD im Dorf Nitzahn in Brandenburg bei der Europawahl bekommen, fast 47 Prozent in Wollin. Auch in Sachsen erzielte die Partei Höchstwerte. Eine Ursachensuche in Gemeinden im Osten Deutschlands.

Autor/in:
Nina Schmedding
Mann an einer Orgel / © Gone with the wind (shutterstock)
Mann an einer Orgel / © Gone with the wind ( shutterstock )

Das Deutschlandlied gespielt auf der Orgel - passend für einen sonntäglichen Gottesdienst? Zumindest Anlass für eine Kontroverse innerhalb der Gemeinde: Mancher Kirchenbesucher zeigte sich schockiert, während der Organist empört auf die klassische Orgelbearbeitung von Komponist Joseph Haydn (1732-1809) verwies, der das Stück einst als Hymne auf Kaiser Franz II. geschrieben hatte.

Aufgeladene Stimmung in den Gemeinden

So unlängst geschehen in einer ostdeutschen Kirchengemeinde. Für Pfarrerin Magdalene Wohlfarth ist die Episode ein Beispiel für die aufgeladene Stimmung in den Gemeinden. Grund dafür ist der Wahlerfolg der AfD, die bei der Europawahl vor allem in Sachsen und Brandenburg punktete. In dem brandenburgischen Dorf Nitzahn etwa, für das Wohlfarth als Pfarrerin zuständig ist, erreichte sie rund 43 Prozent, in Wollin fast 47 Prozent. Dass sie jetzt als "AfD-Dörfer" abgestempelt würden, entsetze manche Bewohner, so die Pfarrerin.

Ruhe, Abgeschiedenheit, ländliche Idylle: Nitzahn und Wollin, das seien auf den ersten Blick ganz hübsche Orte, erzählt die zuständige Superintendentin Ute Mertens. "Aber die Frustrationsgrenze ist niedriger geworden", stellt die Pfarrerin fest - insbesondere ganz am Rande eines Bundeslandes. Sie betreut den Kirchenkreis Elbe-Fläming, zu dem Orte beiderseits der Grenze zwischen Brandenburg und Sachsen-Anhalt gehören. In Nitzahn etwa fühlten sich die Menschen durch Gebietsreformen zunehmend abgehängt. Mehr als 1.800 Gemeinden gab es in Brandenburg nach der Wende. Aktuell sind es rund 440 - die Zusammenschlüsse gehen auf Kosten der Infrastruktur.

"Jetzt nehmen sie uns auch noch den 'Konsum' weg" - Sätze wie diese hört Mertens öfters. Und dann komme häufig im Nachsatz hinterher, wenn gerade kirchliche Zusammenlegungen anstehen: "Und die Kirche geht auch noch weg." Dass die Menschen sich alleingelassen fühlen, kann sie verstehen. Eine Stimmung, die die AfD sich zunutze mache - deren umfangreiche Wahlwerbung in Brandenburg sei "erschreckend", so Mertens. Ausländerfeindliche Sprüche stelle sie bei ihren Gemeindemitgliedern indes nicht fest. "Aber Sorgen um die Zukunft machen die sich auch", erzählt die Pfarrerin. Sie findet es wichtig, mit den Menschen im Gespräch zu bleiben.

Ähnlich sieht es auch Gregor Giele, leitender Pfarrer der katholischen Leipziger Propsteigemeinde. "Wir reden mit allen", sagt der Geistliche und erzählt von der Veranstaltung "Wahlcheck" in seiner Gemeinde, zu der Vertreter aller Parteien eingeladen waren - auch der AfD. Wie alle anderen Politiker hätten auch diese auf bestimmte Fragen innerhalb eines festgelegten Zeitrahmens antworten müssen. "Es ging nicht darum, sie fertigzumachen", so Giele. "Manche haben das vielleicht erwartet."

Kirchengemeinden "Abbilder der Gesellschaft"

Er betont, dass Kirchengemeinden "Abbilder der Gesellschaft" seien. Insofern gebe es katholische AfD-Mitglieder und ebenso auch AfD-Wähler, die in Sachsen einen nicht unerheblichen Teil der Bevölkerung repräsentieren: Umfragen zufolge könnten die Partei bei der anstehenden Landtagswahl stärkste Kraft werden.

"Mir geht es ums Verstehen, nicht um Verständnis", betont Giele und verweist darauf, dass die Positionen der Partei - etwa zur Migration - für einen Christen nicht vertretbar seien. Was ihn umtreibe, sei sein "blinder Fleck", auf den ihn die AfD gestoßen habe: "Die Enttäuschung der Menschen über das Land, über die Kirche, die will ich kennenlernen."

Das Leben werde immer komplexer und schneller - "dass das die Leute überfordert, haben wir nicht im Blick", findet er. Die Menschen suchten nach "dem Richtigen in der Vielfalt", nach Identität, nach Heimat. "Im Osten waren die Menschen völlig auf Gemeinschaft getrimmt. Jetzt hat das Individuum zwar mehr Raum - aber auf Kosten der Gemeinschaft", erklärt er.

Und die Kirche - die Kirche hätte den Suchenden doch zumindest Gemeinschaft zu bieten? Für Giele ist die Sache nicht so einfach. "Die 'Christen in der AfD' sind genervt vom 'sowohl als auch' der Kirchen. Ihnen fehlen die klaren Aussagen." Es gehöre aber "zu den Anstrengungen des Lebens, dass es die Eindeutigkeit nicht immer gibt.

Das kostet Kräfte und macht nicht nur Spaß", so der Pfarrer.


Quelle:
KNA