Corona-Hotline bei psychischer Belastung durch die Pandemie

Wenn aus Angst Panik wird

Menschen, die sich durch die Corona-Krise und die damit verbundenen Maßnahmen psychisch belastet fühlen, können sich an die Corona-Hotline wenden. Einsamkeit und Zukunftsängste sind häufig Phänomene, die jetzt verstärkt werden.

Mann blickt sehnsüchtig aus dem Fenster / © Kitja Kitja (shutterstock)
Mann blickt sehnsüchtig aus dem Fenster / © Kitja Kitja ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Sie betreuen die Corona-Hotline des Berufsverbandes Deutscher Psychologinnen und Psychologen. Was macht den Anrufern am meisten zu schaffen?

Petra Jagow (Psychologin): Die Coronavirus-Pandemie ist ja nicht die Ursache für psychische Erkrankungen, aber sie spitzt Phänomene zu, die es vorher schon gab. Die Ängstlichen waren vorher schon ängstlich und sind es wegen der Coronavirus-Pandemie jetzt noch mehr. Das kann man deutlich spüren. Es gibt eine große Unsicherheit darüber, wie die Regeln jetzt genau lauten, woran man sich halten muss, und ich bemerke, dass sich das dann auch aufbaut zu einer Panik, dass fast alles bedrohlich ist, was draußen ist, außerhalb vom Zuhause.

DOMRADIO.DE: Welche Erfahrungen haben Sie gemacht? Wen trifft die Corona-Krise besonders hart?

Jagow: Es gibt drei Gruppen, die es besonders hart trifft. Das sind einmal die Frauen, die auch Mütter sind und zu Hause die Kinder bespaßen. Das machen überwiegend Frauen, wie sich in Untersuchungen und auch bei der Hotline gezeigt hat. Die Frauen sind überlastet und können irgendwann nicht mehr.

Dann trifft es die Älteren, die einerseits Angst haben, dass sie sich anstecken könnten, die deshalb das Haus nicht mehr verlassen und Sorgen und Nöte haben, wer sie versorgt, für sie einkaufen geht oder wer wirklich zuverlässig ist. Und ich merke, dass bei den Älteren auch die Kriegserinnerungen hochkommen. Ich frage dann zwar zurück, weil ja keine Hungersnot oder so herrscht. Aber die Einschränkung des Lebens, dieses Notfallartige, kennen sie aus dem Krieg, da kommt einiges hoch.

Die dritte Gruppe, die es hart trifft, sind die Singles, die sich ohnehin immer schon den Kontakt organisieren müssen, weil sie nicht unbedingt mit jemandem zusammen wohnen. Ihr Kontakt ist jetzt noch eingeschränkter als vorher.

DOMRADIO.DE: Was raten Sie diesen Menschen? 

Jagow: Grundsätzlich rate ich, möglichst wenig Informationen an sich heranzulassen. Wenn, dann nur aus guten, gesicherten Quellen. Man könnte ja rund um die Uhr die Medien laufen lassen, selber recherchieren und sich dann noch mehr hineinsteigern. Deshalb: Informationen dosieren.

Außerdem: auf das eigene Gefühl vertrauen. Wenn ich den Eindruck habe, ich mache alles und ich bin ganz gut gesichert, sich nicht von anderen verrückt machen lassen.

Schließlich ein ganz entscheidender Punkt: die Kontakte aufrechterhalten und wo immer das geht, mit Bild kommunizieren, sodass man den anderen mal sieht.

Ich beobachte auch lustige neue Aktionen wie, dass man sich verabredet, gemeinsam Fernsehen guckt und sich dann mit WhatsApp schreibt und den Film kommentiert. Manche verabreden sich zum Feierabendbierchen und die ganz Mutigen fahren auch mal ins Autokino. Das heißt, man guckt, dass man die Kontakte hält und dass man Erlebnisse hat, die man teilen kann. Das trägt ganz gut.

DOMRADIO.DE: Was ist denn jetzt mit all den Kindern, die wochenlang ihre Freunde nicht sehen durften? Werden die vielleicht sogar Schäden für Ihr Leben behalten?

Jagow: Da bin ich ziemlich sicher, dass wir das ausschließen können. Denn Kinder sind es gewohnt, nach Regeln zu leben, die in der Regel von den Eltern und Erwachsenen gemacht werden. Denken Sie an die vielen Patchworkfamilien, wo Kinder auch zwischen zwei Standorten pendeln und das in der Regel auch ganz gut hinkriegen.

Wenn Kinder drei Wochen im Sommerurlaub sind, sehen sie ihre Freunde auch nicht. Gut, sie lernen dann andere kennen. Aber sie können diese Regeln einschätzen, solange die eigene Familien eine Stabilität hat und auch eine gewisse Ruhe ausstrahlt im Sinne von wir kümmern uns, wir managen das. Unter dieser Voraussetzung sehe ich nicht die Gefahr von Langzeitschäden.

DOMRADIO.DE: So langsam stehen die Zeichen auf Lockerung. Was wird bleiben von den akuten Ängsten? Eine allgemeine Verunsicherung?

Jagow: Das Gefühl, jederzeit kann uns etwas passieren, diese Verunsicherung, das wird erst mal eine Zeit lang anhalten. Auf der anderen Seite werden wir, das spüren wir ja jetzt schon, den freien Lebensstil, den wir haben, und auch die Demokratie unglaublich wertschätzen. Wir haben jetzt im Abgleich gemerkt, das sind wirkliche Werte, die wir haben.

Das Interview führte Hilde Regeniter.


Quelle:
DR
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