Weltläden rufen trotz Krise zu fairem Kaufverhalten auf

"Wir können uns nicht abschotten"

Energiekrise und Inflation machen auch den Weltläden Probleme. Denn viele Menschen haben weniger Geld im Portemonnaie und kaufen eher günstig ein. Martin Matschke, Geschäftsleiter des Weltladens Köln, warnt vor langfristigen Folgen.

Energiekrise und Preissteigerungen: Weltläden verlieren Kundschaft / © Udo Gottschalk (epd)
Energiekrise und Preissteigerungen: Weltläden verlieren Kundschaft / © Udo Gottschalk ( epd )

DOMRADIO.DE: Wie macht sich die Situation in Ihrem Geschäft bemerkbar? 

Martin Matschke (Geschäftsleiter des Weltladens Köln): Das macht sich bemerkbar, sage ich mal so ganz direkt. Corona ist ja jetzt seit 2020 unser Thema. Da hatten wir natürlich schon Rückgänge, hatten dann im letzten Jahr wieder aufgeholt. Da hatte sich die Lage für uns entspannt. Und wir merken jetzt leider seit ungefähr Mai/Juni, dass es doch wieder zurückgeht. Dass wir doch deutlich wieder unter dem Level von 2019 - also vor der Corona Krise - liegen. 

Martin Matschke

"Die Frage ist natürlich immer: Wo spart man?"

DOMRADIO.DE: Können Sie verstehen, dass viele Menschen im Moment eher günstig kaufen? 

Matschke: Ich kann verstehen, dass die Menschen natürlich gucken, wo lasse ich mein Geld und wie halte ich mein Geld zusammen. Und dass die Leute dann auch günstiger einkaufen. Die Frage ist natürlich immer: Wo spart man? Und da habe ich natürlich, wie Sie sich sicher nicht wundern werden, eine gewisse Position zu. 

Umsatz im fairem Handel 2021 gestiegen

Verbraucher in Deutschland haben im vergangenen Jahr 1,9 Milliarden Euro für fair gehandelte Produkte ausgegeben. Dies seien sieben Prozent mehr als im Jahr 2020, teilte das Forum Fairer Handel (FFH) am Mittwoch in Berlin mit. Ein deutscher Verbraucher habe im Durchschnitt 23,50 Euro für faire Lebensmittel und Handwerksprodukte ausgegeben.

Screenshot: Fair trade / © Misereor (MISEREOR)
Screenshot: Fair trade / © Misereor ( MISEREOR )

DOMRADIO.DE: Warum, sagen Sie, sollte man sein Geld trotz Krise durchaus im Weltladen lassen? 

Matschke: Man sollte es im Weltladen lassen, weil wir natürlich Produkte dort anbieten, bei denen es darum geht, Arbeitsbedingungen von besonders benachteiligten Menschen - die viel stärker als wir hier in Deutschland von dieser Krise betroffen sind und darunter leiden - damit zu unterstützen und Lebensperspektiven oder auch vorhandene Strukturen zu erhalten und das nicht den Bach runter gehen zu lassen. 

DOMRADIO.DE: Wenn jetzt weniger Menschen im Weltladen einkaufen, was bedeutet das für Sie und den Weltladen und in Folge dann für die Zulieferer? 

Matschke: Das, was wir an Kosten haben - das wird ja auch nicht weniger, wir werden auch höhere Energierechnungen für den Laden bekommen - müssen wir mit unserem Umsatz decken. Insofern betrifft uns das dann ganz direkt. Im Moment ist alles noch auf einer Ebene, dass wir Rückgänge haben, aber noch damit klarkommen. Aber wenn das natürlich weitergeht und länger weitergeht, kriegen wir da auch Probleme.

Ich denke aber vor allem an unsere Handelspartnerinnen und -partner im globalen Süden, die - anders als wir hier - keine Politik haben, die darüber nachdenkt, wie sie die Bevölkerung unterstützen kann. Das gibt es eben in vielen Ländern - in Afrika und Asien oder auch Lateinamerika - überhaupt nicht. Da gibt es eben keine soziale Absicherung und da gibt es wenig Überlegungen und auch manchmal gar keine Mittel, solche Hilfsnetze aufzuspannen, wie wir das hier in Europa und in Deutschland überlegen. Da ist der Wegfall dieser Einkünfte aus dem fairen Handel lebensbedrohend für die Familien vor Ort. 

DOMRADIO.DE: Wenn Menschen nicht mehr verdienen als vorher und alles teurer wird, dann können sich auch Menschen, die vorher fair gehandelte Produkte gekauft haben, das vielleicht wirklich nicht mehr leisten. Wie kommen wir raus aus dem Dilemma? 

Matschke: Da würde ich unterscheiden: Es gibt die Gruppe von Menschen, die vielleicht auch vorher schon mit wenig Geld klarkommen mussten und jeden Cent umdrehen mussten. Da habe ich auch volles Verständnis, dass man da noch stärker gucken muss.

Aber es gibt natürlich genug Menschen bei uns, wo es halt nicht um die Existenz geht und wo vielleicht die Frage eher ist: Welche Prioritäten setze ich oder wo gibt es unnütze Dinge, auf die ich vielleicht verzichten kann? Und das muss aus meiner Sicht dann natürlich nicht gerade das fair gehandelte Produkt sein, was man jetzt einspart. Vielleicht gibt es da auch andere Luxus-Aktivitäten und Produkte, wo man eher den Rotstift ansetzt im Familien-Etat.

Martin Matschke

"Uns geht es darum, Strukturen vor Ort zu stärken, damit die Menschen in dieser globalen Welt überall möglichst gut oder besser leben können."

DOMRADIO.DE: Da höre ich raus, Ihr Wunsch ist es, dass man sein Gewissen prüft, für was ich mein Geld denn ausgebe. 

Matschke: Genau, das würde ich schon für wichtig halten. Denn, das, was an Strukturen kaputt geht, wenn wir das nicht tun, wird uns ja irgendwann wieder auf die Füße fallen in der globalen Welt. Ein Stichwort ist die Flüchtlingsthematik. Wenn wir Strukturen vor Ort nicht unterstützen in diesen Ländern, müssen wir uns auch nicht wundern, wenn wir dann zunehmend auch Probleme anderer Art kriegen: Dass Menschen, die vor Ort keine Überlebenschance haben, natürlich gucken, wo gehe ich hin, wo könnte mein Leben besser verlaufen.

Uns geht es darum, Strukturen vor Ort zu stärken, damit die Menschen in dieser globalen Welt überall möglichst gut oder besser leben können. Statt zu sagen: Hier in Europa geht es uns gut. Denn dann wollen alle dahin, wo es gut läuft. Ist ja logisch, würden wir ja auch machen, wenn es uns schlecht ginge. Diese Problematik hängt da mit drin, ohne dass ich da jetzt die Lösung für hätte. 

DOMRADIO.DE: Wie könnten wir denn zumindest das Bewusstsein für den fairen Handel in der Gesellschaft auch in dieser Situation stärken? 

Matschke: Ich glaube, indem wir deutlich machen, dass wir in dieser Welt global zusammenleben und uns da nicht abschotten können und dass miteinander in Wechselwirkung steht, was weltweit passiert. Das sehen wir ja ganz klar jetzt in Corona-Zeiten oder auch im Ukraine Krieg: Was da an Strukturen aufbricht, sich verändert und wo wir in Details merken, da haben wir nie drüber nachgedacht, dass es da Vernetzung gibt.

Ich würde dazu aufrufen, auch beim Konsum vernetzt zu denken und zu gucken: Was passiert denn, wenn ich ein bestimmtes Produkt kaufe und wen unterstütze ich damit oder wen will ich damit unterstützen? Und da würde ich sagen: Klar, Konsum hat eben auch eine ethische Komponente und die dürfen wir auch in Krisenzeiten nicht vergessen. Denn die Kosten, die dann entstehen, wenn alles sozusagen kaputt ist, werden deutlich höher sein als jetzt zu sagen, ich spare vielleicht bei anderen Dingen. 

Das Interview führte Dagmar Peters.

Quelle:
DR