Weltjugendtags-Protest gegen Umgang mit Missbrauch

"Ohrenbetäubende Stille beenden"

Zahlen bleiben oft abstrakt. 4.815 kleine Punkte auf einer Plakatwand im Herzen Lissabons sollen die Aufmerksamkeit beim Weltjugendtag auf die Zahl portugiesischer Missbrauchsopfer lenken. Wie reagieren Jugendliche?

Autor/in:
Clara Engelien
Plakat von portugiesischen Missbrauchsbetroffenen am Weltjugendtag: 4.800+ von der katholischen Kirche in Portugal missbrauchte Kinder / © Clara Engelien (KNA)
Plakat von portugiesischen Missbrauchsbetroffenen am Weltjugendtag: 4.800+ von der katholischen Kirche in Portugal missbrauchte Kinder / © Clara Engelien ( KNA )

Eine tschechische Pilgergruppe steht in einer großen Avenida im Zentrum Lissabons und blickt hoch auf ein Plakat. "4.800+ von der katholischen Kirche in Portugal missbrauchte Kinder" steht dort – daneben Tausende kleine Punkte. Genau genommen sind es 4.815 – jeder für eine nachweislich betroffene Person.

Aufgestellt von Missbrauchsbetroffenen 

Das Plakat wurde in der Nacht zu Mittwoch anlässlich des Weltjugendtags (WJT) mit Papst Franziskus angebracht – von einer Gruppe portugiesischer Missbrauchsbetroffener. Auf ihrer Internetseite "This is our memorial" schreiben sie, es gehe darum, die "ohrenbetäubende Stille zu beenden". Nichts könne das Leid der Opfer wiedergutmachen. Aber man könne sich an sie erinnern, "ihnen eine Stimme geben, wenn sie nicht sprechen können. Damit das, was passiert ist, nie wieder passiert."

Bericht im Februar veröffentlicht 

Die Zahl 4.815 stammt aus einem Mitte Februar veröffentlichten Untersuchungsbericht, erstellt durch eine eigens ins Leben gerufene unabhängige Kommission. Es geht um Personen, die als Kinder zwischen 1950 und 2022 im kirchlichen Kontext sexuell missbraucht wurden. Die Übergriffe fanden demnach vor allem in katholischen Seminaren, Heimen, Schulen oder Sporteinrichtungen statt. Das Durchschnittsalter der Opfer lag bei knapp elf Jahren; in 77 Prozent der Fälle waren Priester die Täter.

Papst Franziskus im Gespräch mit Portugals Präsident Marcelo Rebelo de Sousa / © Gregorio Borgia (dpa)
Papst Franziskus im Gespräch mit Portugals Präsident Marcelo Rebelo de Sousa / © Gregorio Borgia ( dpa )

Mahnmal und Gottesdienst

Eine außergerichtliche finanzielle Entschädigung der Missbrauchsopfer lehnten die portugiesischen Bischöfe zunächst ab. Es handele sich um individuelle Straftaten, teilte die Bischofskonferenz im März mit. Stattdessen wolle man in einem Gottesdienst beim Weltjugendtag an die Opfer erinnern. Zudem kündigten die Bischöfe die Errichtung eines Mahnmals an. Anfang Juli wurde die für den WJT geplante Präsentation jedoch abgesagt. Das Vorhaben werde noch geprüft, hieß es. Die Diskussionen über die Entschädigungsfrage halten ebenfalls an.

Keine Bewegung

Die Gruppe "This is our memorial" beklagt derweil, seit Veröffentlichung des Berichts habe es kaum oder gar keine Bewegung seitens der katholischen Institutionen gegeben. "Und am Vorabend des Weltjugendtags scheint die portugiesische katholische Kirche damit zufrieden zu sein, so zu tun, als ob dieser Bericht nicht existiere."

Eine der Tschechinnen, die auf das Plakat blickt, äußert sich indes kritisch zu der Aktion. Sie empfindet es als Angriff auf ihre Kirche. Der Weltjugendtag sei nicht der Ort für so ein Thema: "Schließlich kommen hier Jugendliche aus aller Welt, die haben damit doch gar nichts zu tun." Ihre Freundin sieht es ähnlich wie Portugals Bischöfe: Es sei besser, das Thema individuell zu behandeln. Und der Papst spreche persönlich mit den Missbrauchsopfern. In der Tat ist ein Treffen des Papstes mit portugiesischen Betroffenen geplant. Ort und Zeit sind bislang nicht bekannt.

Pilger beim Weltjugendtag in Lissabon / © Julia Steinbrecht (KNA)
Pilger beim Weltjugendtag in Lissabon / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Abwehr von Jugendlichen

Direkt neben dem Plakat in Lissabon ist ein Erste-Hilfe-Zelt aufgebaut, darin sitzen vier WJT-Freiwillige. Eine 24-jährige Argentinierin hat das Plakat gar nicht bemerkt. Die Spanierin neben ihr dagegen schon, sie reagiert aber mit Abwehr: So etwas sei für einen Weltjugendtag unangemessen. Wieso? Sie wendet den Blick ab und möchte nicht weiter darüber reden. Anders eine Gruppe junger Slowakinnen und Slowaken. Sie sind sich einig: Das Thema Missbrauch sollte bei einem Ereignis wie dem Weltjugendtag nicht ignoriert werden.

Verharmlosung

Die für die Plakataktion verantwortliche Gruppe äußert sich auch zur umstrittenen Errichtung eines Mahnmals. WJT-Organisatoren und der portugiesische Präsident Marcelo Rebelo de Sousa hätten sich in diesem Zusammenhang verharmlosend über das Leid der Opfer geäußert.

Der Kirche werfen die Aktivisten überdies vor, nicht ausreichend gegen im Missbrauchsbericht genannte Täter vorgegangen zu sein. Auf ihrer Website fragen sie enttäuscht: "Was hat der Papst den Opfern und dem portugiesischen Volk zu sagen?"

Quelle:
KNA