Welche Sichtweise hat der Koran auf Jesus?

Aus dem Stall wird eine Palme

Jesus wird im Koran mehrfach erwähnt. Doch wie stellten sich ihn die Muslime damals konkret vor, als der Koran entstand? Der Theologe Klaus von Stosch nennt überraschende Parallen und Unterschiede in der Sichtweise.

Bibel und Koran / © Christian Stritzelberger (epd)
Bibel und Koran / © Christian Stritzelberger ( epd )

DOMRADIO.DE: Sie halten in diesen Tagen Ihre Antrittvorlesung an der Bonner Uni zur "koranischen Christologie", das heißt Sie schauen als christlicher Theologe darauf, wie Muslime Jesus sehen. Aber warum überhaupt interessieren sich die Muslime für den Messias der Christen?

Prof. Dr. Klaus von Stosch, Universität Bonn / © K. von Stosch (privat)
Prof. Dr. Klaus von Stosch, Universität Bonn / © K. von Stosch ( privat )

Prof. Dr. Klaus von Stosch (Professor am Lehrstuhl Systematische Theologie unter besonderer Berücksichtigung gesellschaftlicher Herausforderungen): Das Interessante ist, dass sie diesen Messias der Christen auch als ihren Messias ansehen, allerdings mit einer anderen Bedeutung. Aber sie verwenden das Wort Messias auch für ihn. Sie würdigen ihn als Wort Gottes.

Sie sehen in ihm also einen ganz besonderen Propheten, von dem sie einiges aussagen, was sie sonst von keinem anderen Propheten aussagen. Insofern ist Jesus im Koran ganz besonders ausgezeichnet und hat für die frühe koranische Gemeinde eine sehr große Rolle gespielt.

DOMRADIO.DE: Wie stehen denn Muslime zu dieser Figur Jesus in ihrem Glauben?

Klaus von Stosch

"Und dann gibt es andererseits kritische Abgrenzungen gerade gegen diesen Gedanken der Anbetung, gegen die Idee, Jesus zu Gott zu machen oder ihn als Sohn Gottes zu verstehen."

von Stosch: Es gibt einerseits diese große Wertschätzung, die sich an ganz vielen Versen zeigt und die bis heute ungebrochen ist. Und dann gibt es andererseits kritische Abgrenzungen gerade gegen diesen Gedanken der Anbetung, gegen die Idee, Jesus zu Gott zu machen oder ihn als Sohn Gottes zu verstehen.

Wobei wir da in der neueren Forschung sehen, dass diese Abgrenzung gar nicht so sehr auf den Kern des christlichen Glaubens zielt, wie wir ihn heute verstehen und wie er von der katholischen Kirche gelehrt wird. Sondern wir sehen, dass es hier um bestimmte Fehlformen des Christentums geht, die der Koran aufs Korn nimmt, zum Beispiel die imperiale Verzweckung des christlichen Glaubens.

DOMRADIO.DE: Das müssen Sie erklären.

von Stosch: Kaiser Herakleios dachte damals, dass er den Krieg gegen die Perser nur deswegen gewonnen hat, weil er Reliquien von Maria und Jesus auf seiner Seite hatte. Er ließ dann Briefe in alle Teile seines Reiches, und zwar auch auf die arabische Halbinsel schicken, in denen er sagte: Niemand kann mich besiegen, weil ich Jesus und Maria auf meiner Seite habe.

Ein aufgeschlagener Koran / © Bernd Thissen (dpa)
Ein aufgeschlagener Koran / © Bernd Thissen ( dpa )

Gegen diese Verzweckung wendet sich der Koran und kritisiert die Vergötzung Jesu und Mariens. Gemeint ist die Idee, nur weil man ein Kleidungsstück von Maria hat und dieses über die Mauer legt, kann man nicht mehr besiegt werden.

DOMRADIO.DE: Nun lassen Sie uns mal auf die Quellen schauen. Es gibt die Briefe, es gibt die Evangelien, es gibt ein paar römische Quellen. Müsste nicht eigentlich alles auch in der Bibel auftauchen, was im Koran über Jesus steht?

von Stosch: Was im Koran über Jesus steht, ist eine Reaktion der koranischen Gemeinde, der ersten Muslime auf die Art, wie Christen im siebten Jahrhundert Jesus verstanden haben. Die Christen haben noch keine schriftliche Bibel gehabt, sodass sich der Koran nicht auf die Bibel bezieht, sondern sie hatten Predigten der syrischen Kirchenväter, die sie auswendig konnten, die in ganz kunstvoller Form präsent waren.

Und auf diese Predigten, die den biblischen Text in Predigt-Form auslegen, bezieht sich der Koran oder wie eben am Beispiel gesehen, auf imperiale Texte, also auf Texte, die vom Kaiser kamen und den Glauben auslegten.

DOMRADIO.DE: Aber es ist ja wohl zum Beispiel auch so, dass die Geburt Jesu anders geschildert wird. Nicht im Stall, sondern unter einer Dattelpalme soll sie stattgefunden haben. Wo kommt das her?

Zugang zu der Geburtsgrotte in der Geburtskirche in Bethlehem / © Corinna Kern (KNA)
Zugang zu der Geburtsgrotte in der Geburtskirche in Bethlehem / © Corinna Kern ( KNA )

von Stosch: Das ist eigentlich eine ganz schöne Adaption des lukanischen (d. h. gemäß dem Lukasevangelium, d. Red.) Gedankens. Das Lukasevangelium, das ja als einziges Evangelium diese Tradition hat, das von der Geburt in der Krippe berichtet, ist ein Versuch, die Armut des Erlösers zu zeigen, wie sehr sich Gott klein macht, um uns nahe zu kommen.

Das wurde von Anfang an schon innerhalb des Christentums anders tradiert. Etwa im Evangelium des Jakobus, einem apokryphen Text, der im frühen Christentum sehr weitverbreitet war, haben wir die Idee, dass Jesus in einer Höhle geboren wurde.

Der Koran übersetzt das jetzt in die eigene kulturelle Umgebung. In der Wüste kann man ihn schlecht in einem Stall geboren sein lassen, das ergibt nicht viel Sinn, sondern dieses Ausgesetztsein, diese Einfachheit wird ausgedrückt durch die Geburt unter einer Palme.

Die theologische Idee des Evangelisten Lukas, dass sich die Nähe Gottes in Jesus in einer sehr einfachen Weise zeigt, dass er Solidarität mit den Armen zeigt, die greift der Koran auf und unterstreicht dann noch mal das Ausgesetztsein Mariens und ihre Schmerzen im Moment der Wehen und der Herankunft Jesu.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.

Islam

Im Islam gibt es zwei große Glaubensrichtungen: die Sunniten und die Schiiten. Die Anhänger der Schia (Shiiten) machen nur etwa ein Zehntel der Moslems aus. Im Iran zum Beispiel ist die Schia Staatsreligion. Im Irak und in Aserbaidschan leben ebenfalls sehr viele Schiiten.

Symbolbild Islam / © okanozdemir (shutterstock)
Quelle:
DR