Wassermangel in der indischen Hauptstadt Delhi

Eine Milliarde Liter fehlen

Experten sagen voraus, dass die kommenden Kriege um Wasser geführt werden. In Neu-Delhi steht das offenbar kurz bevor. In der indischen Hauptstadt und 18-Millionen-Metropole trifft der Wassermangel jetzt auch die Reichen.

Autor/in:
Agnes Tandler
 (DR)

Das indische Wetteramt verspricht schon seit Tagen Regen - vergeblich. Denn Wasser ist knapp in Indiens Hauptstadt Neu-Delhi, wo Hunderttausende Menschen bei Temperaturen um die 45 Grad von einer schweren Wasserkrise betroffen sind. In manchen Vierteln der 18-Millionen-Metropole sind seit Wochen die Leitungen leer. Die Preise für Trinkwasser auf dem Markt sind in die Höhe geschossen, wütende Menschen protestieren auf der Straße.



"In der Stadt könnte in den nächsten fünf bis zehn Jahren Kriege um Wasser geführt werden, wenn die Probleme nicht gelöst werden", prophezeite jüngst Vijayaraghavan Chariar, Professor vom Indian Institute of Technology. Weil der Nachbarbundesstaat Haryana der durstigen Mega-Metropole den Wasserhahn abgedreht hat, sitzt die Stadt praktisch auf dem Trockenen. Neu-Delhi benötigt im Schnitt knapp 4,2 Milliarden Liter Wasser pro Tag, doch es bekommt nur etwa 3,2 Milliarden - das meiste davon aus den Nachbarstaaten.



Die Bevölkerung hat sich in 20 Jahren verdoppelt

Die Wasserversorgung in Neu-Delhi ist in jedem Sommer schlecht, meist trifft es aber nur die armen Viertel der Stadt. Doch der Wassermangel hat dieses Mal auch die Mittelklasse erreicht. Denn zunächst verringerte Haryana seine Wassereinspeisung in das Netz der Hauptstadt, und dann brach im Juni auch noch eine Hauptversorgungsleitung nahe Madhuban Chowk, im Norden Neu-Delhis, nachdem ein Schulgebäude darüber eingestürzt war.



Seither ist auch Wasser in den besseren Siedlungen im Süden und Zentrum der Hauptstadt knapp, die sonst im Sommer nicht leiden mussten. "Wie haben bereits seit einer Woche kein Wasser mehr bekommen", klagt der Banker Ajay Bisht aus dem Kamla-Nagar-Viertel. "Unsere Nachbarn haben im Garten einen Brunnen bauen lassen, so dass wir Wasser zum Waschen haben."



Neu-Delhi platzt aus allen Nähten: Die Bevölkerung hat sich in 20 Jahren verdoppelt. Wo vor zehn Jahren noch Felder waren, stehen jetzt Straßen und Häuser. Die Infrastruktur ist mit dem rapiden Wachstum überfordert. Und der Durst dürfte weiter wachsen: Laut einer Studie des "Mckinsey Global Institute" wird Neu-Delhi 2025 zu den Städten mit dem höchsten Wasserbedarf der Welt gehören, 50 Prozent mehr als heute.



Sparsamkeit? Fehlanzeige!

Doch die Wasserquellen für die Hauptstadt schwinden: Der Grundwasserspiegel fällt seit Jahren, die Himalaya-Gletscher, die den Norden Indiens mit Wasser speisen, werden kleiner, die rasche Urbanisierung und Industrialisierung zerstört Flüsse und Seen. Der Yamuna, der durch Neu-Delhi fließt, gleicht inzwischen mehr einem Abwasserkanal. "Der Yamuna ist das beste Beispiel dafür, wie unsere natürlichen Ressourcen verloren gehen", kritisiert der Forscher Nitya Jacob.



Obwohl die Wasservorräte von Neu-Delhi schwinden, herrscht keine Sparsamkeit. Experten schätzen, dass 40 Prozent des Wassers in der Hauptstadt verloren gehen, weil viele Leitungen undicht sind und eine große Menge Wasser illegal abgezapft wird. Die Verteilung der knappen Ressource ist höchst ungleich: Während ein Slumbewohner kaum mehr als 15 Liter Wasser am Tag bekommt, verbraucht die Oberschicht in den grünen Vierteln der Hauptstadt um die 400 Liter, um Autos zu waschen, Rasen zu bewässern und Schwimmbäder zu füllen.