Was tun, wenn der Pastor süchtig sein könnte?

"Rückmeldungen sind wichtig"

Der Alkoholkonsum in Deutschland sinkt. Aber die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen gibt keine Entwarnung: Es wird immer noch zu viel getrunken. Pfarrer Christian Ott ist Suchtberater im Erzbistum in Köln und erklärt das Dilemma.

 (DR)

DOMRADIO.DE: Pro Jahr sind in Deutschland 10.000 Kinder schon bei ihrer Geburt alkoholgeschädigt. Wie kommt es, dass auch bei einem so verheerenden Ausmaß, Alkohol derart akzeptiert ist? 

Pfarrer Christian Ott (Suchtberater im Erzbistum in Köln): Ich glaube, das ist eine kulturelle Frage. Wir haben eine Kultur, in der das Bierchen zum Feierabend, oder das Glas Wein zur Entspannung und zur Lebenskultur dazu gehört. Das suggeriert dann, wenn man das nicht macht, dann könnte einem etwas fehlen. Deswegen ist jemand, der nicht trinkt, dann die Ausnahme. Das macht es schwer, eine Entscheidung dagegen zu treffen. Das andere ist viel selbstverständlicher und viel niedrigschwelliger.   

DOMRADIO.DE: Es ist aber doch auch okay, abends mal ein Glas Wein zu trinken. Wo fängt sie Sucht an, wo hört sie auf?

Ott: Die Sucht fängt immer da an, wo ich entweder einen Kontrollverlust habe und nicht mehr in der Hand habe, wieviel und was ich trinke. Oder wo auch ein Abstinenzverlust eintritt. Also: "Ich kann nicht mehr ohne".

DOMRADIO.DE: Sucht kann durch Veranlagung und Lebensumstände begünstigt werden. Aber würden Sie sagen, Sucht kann jeden Menschen treffen?

Ott: So ganz einfach ist das nicht. Vom Prinzip her, weiß man nicht, wie man ausgestattet ist. Aber es kommt schon auf die genetische Basis an. Manche Menschen haben eine höhere Alkoholtoleranz als andere. Und die sind eigentlich gefährdeter. 

DOMRADIO.DE: Warum?

Ott: Wenn mir das nicht so viel ausmacht, etwas zu trinken und wenn ich nicht so schnell eine Wirkung spüre, dann heißt das ja, ich kann viel mehr trinken, ohne dass es mir bewusst wird.

DOMRADIO.DE: Wie sieht es mit einer Selbstdiagnose aus? Ist das überhaupt möglich? 

Ott: Man kann sich an die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation halten. Die haben mal zusammengefasst, wie viel Alkohol in der Regel für einen Menschen am Tag gut aushaltbar ist. Wenn man darüber hinausgeht, dann muss man davon ausgehen, dass das eine Wirkung hat. Die ist nicht immer so, dass sie in eine Suchterkrankung führt. Natülrich nicht. Aber sie ist zumindest so, dass sie eine medizinische Wirkung hinterlässt. Und die ist nicht so harmlos.

DOMRADIO.DE: Was meinen Sie damit?

Ott: Es gibt ja Zusammenhänge zwischen Akoholkonsum und Krebserkrankungen. Die korrelieren sehr stark miteinander. Männer und Frauen sind da noch ein bisschen unterschiedlich. Frauen vertragen viel weniger Alkohol. Das hat etwas mit der biologischen Grundausstattung zu tun. Der Stoffwechsel ist einfach ein anderer.

DOMRADIO.DE: Sie sind Suchtberater im Erzbistum Köln. Was sind denn da Ihre wichtigsten Aufgaben?

Ott: Ganz viel Beratung. Ich bin meist erster Ansprechpartner, wenn Menschen feststellen, da könnte jemand im Pastoralen Dienst betroffen sein. Wir sind ja hauptsächlich für den pastoralen Dienst zuständig.

DOMRADIO.DE: Was fällt ihnen dann auf?

Ott: Meist berichten sie davon, dass sich ein Pastor anders verhält - er erledigt die Arbeit anders, oder er redet ein bisschen wirr. Oder aber er hat sich plötzlich daneben benommen. Und wer so etwas beobachtet, der stellt sich dann Fragen: Was kann ich jetzt tun? Muss ich das einfach hinnehmen, oder gibt es jemanden, mit dem ich darüber sprechen kann? Da bin ich in der Regel eine erste Anlaufstelle, weil ich auch eine Schweigepflicht habe.

DOMRADIO.DE: Auch geistliche Berufe sind letztendlich von Menschen besetzt. Was passiert, wenn beispielsweise ein Pfarrer, also jemand, der eigentlich Menschen helfen will, beim Thema Sucht selbst Hilfe braucht? 

Ott: Der braucht vor allen Dingen dann auch die Unterstützung der Menschen, die mit ihm zusammenleben und das bemerken. Das ist ein Teil, der oft zu kurz kommt, weil sie dem Pastor natürlich auch nichts Böses wollen. Sie denken, das könnte ihm schaden, wenn ich jetzt sage: "Trink mal etwas weniger." Aber genau diese Rückmeldungen sind wichtig. Und für jemanden, der alleine lebt, natürlich umso mehr. Da gibt es niemanden, der das zu Hause sagt.

DOMRADIO.DE: Können Sie einen Trend beobachten?

Ott: Die Menschen sind in der Zwischenzeit sensibler geworden. Es wird etwas mehr Wert darauf gelegt, Dinge auch beim Namen zu nennen. Das ist natürlich immer ein Prozess. Das ist für viele Menschen auch ein Weg – gerade, wenn sie den Pfarrer ansonsten sympathisch finden und ihm nichts Böses wollen. Dinge, die man nicht aussprechen darf, die verwandeln sich in Belastung in ein Tabu, das dauerhaft über allem liegt. Und letztlich helfen sie den Betroffen am meisten, wenn sie mit ihm reden und ihm sagen: So sehe ich Dich im Moment und das bemerke ich bei Dir.

Das Interview führte Hilde Regeniter.


Quelle:
DR