"Was soll das, dass sie so viel in der Welt herumreist? Sie ist doch eine Frau! Warum bleibt sie nicht in ihrer Zelle, wenn sie Gott dienen will?" Diese und ähnliche Kritik musste sich Katharina von Siena zeitlebens anhören, wie ihr geistlicher Begleiter, Biograf und Freund, der Dominikaner Raimund von Capua, in seiner Lebensdarstellung der Heiligen schreibt.
Katharina lebte im 14. Jahrhundert und war nicht nur für ihre Zeit eine außergewöhnliche Frau. Sie konnte kaum lesen und schreiben und stand doch durch ihren Briefwechsel mit Päpsten, Kardinälen und anderen Kirchenmännern in engem Kontakt. Sie war eine Mystikerin, für die das Gebet das Wichtigste in ihrem Leben war. Sie widmete sich trotzdem der großen Kirchenpolitik. Sie führte ein zurückgezogenes Leben in einem kleinen Raum ihres Elternhauses und wurde später zu einer "Predigerin der Freiheit", die bis heute viele Menschen fasziniert.
Das Buch "Katharina von Siena: Mystikerin Gottes und Predigerin der Freiheit" des irischen Dominikaners Paul Murray, das im vergangenen Jahr in deutscher Übersetzung erschienen ist, greift diese scheinbaren Gegensätze im Leben Katharinas auf, erklärt ihren Zusammenhang und zeichnet dadurch ein eindrucksvolles Bild der italienischen Heiligen.
Katharina wurde 1347 in Siena als zweitjüngstes von 25 Kindern eines verarmten Adligen geboren, der sich als Wollfärber verdingen musste. Die meisten ihrer Geschwister starben an der Pest, die damals in Europa grassierte. Bereits im Alter von sechs Jahren hatte Katharina eine erste Vision von Jesus Christus. Dieser sollten viele weitere folgen.
Katharinas Wunsch nach Verkündigung war groß
Als sie das heiratsfähige Alter von zwölf Jahren erreichte, widersetzte sich die Jugendliche den Versuchen ihrer Eltern, sie zu verheiraten und dadurch finanziell zu versorgen. Fünf Jahre später tritt sie schließlich den Mantellatinnen bei, einer Gruppe religiös lebender Witwen und Jungfrauen, die sich dem Gebet und der caritativen Arbeit widmeten. Diese Frauen waren zwar keine Nonnen, standen aber als Laien in einem engen Verhältnis zum Dominikanerorden.
Die Zugehörigkeit zu den Mantellatinnen ist eine bedeutende Wegmarke in Katharinas religiösem Entwicklungsprozess. Ihr Wunsch, als Frau das Wort Gottes zu verkünden war in den Jahren zuvor bereits so groß, dass sie sogar in Erwägung gezogen hatte, sich als Mann zu kleiden und Dominikaner zu werden.
Murray zitiert dazu eine Stelle aus den Schriften Katharinas, in denen sie ein mystisches Gespräch mit Christus niedergeschrieben hat und dieser ihr gegenüber sagt: "…, dass du den Plan fasstest, dich als Mann auszugeben und in einer Gegend, wo man dich nicht kennt, in den Predigerorden einzutreten, um den Seelen nützlich sein zu können."
Die Braut Christi
Doch Katharina teilt die Auffassungen über die Geschlechterrollen ihrer Zeit – bis hin zur Geringschätzung von Frauen – und verwirft diesen Plan. Sie entscheidet sich stattdessen als Mantellata ein zurückgezogenes Leben zu führen. Etwa drei Jahre lang widmet sie sich ausschließlich dem Gebet und lebt abgeschieden in einem kleinen Raum ihres Elternhauses.
1368 macht die junge Frau eine weitere mystische Erfahrung, die sie dazu bringt, ihre Einsamkeit zu verlassen: Sie versteht sich nach einer Vermählungsvision fortan als Braut Christi und beginnt, sich um die Armen und Bedürftigen, wie etwa die Pestkranken, zu kümmern.
Katharina ist zunächst geschockt von diesem Aufruf Christi an sie, denn sie war mit ihrem kontemplativen Leben anscheinend zufrieden. Doch in einer ihrer mystischen Schriften lässt sie den Gottessohn sich selbst erklären: "Ich will dich ja keineswegs von Mir trennen, nein. Ich will dich durch die Nächstenliebe noch fester an Mich binden."
Orden sieht Katharinas Briefe kritisch
Christus verlange von ihr, dass sie "auf zwei Füßen" gehe und sich "mit zwei Flügeln zum Himmel" erhebe, schreibt Katharina. Damit meint die spätere Heilige, dass die Dualität des christlichen Lebens die Gegensätze Mystik und Politik, Kontemplation und Aktion, Gebet und Arbeit miteinander verbindet.
Diese mystische Erfahrung krempelt Katharinas Leben vollständig um, denn es bildet sich eine kleine Gruppe von Schülerinnen und Schülern in ihrem Umfeld. 1372 verfasst Katharina ihren ersten politischen Brief, mit dem sie zum Frieden zwischen den kriegführenden italienischen Staaten beitragen will. Da sie kaum schreiben kann, diktiert sie ihre Briefe – knapp 380 sind heute erhalten.
Kirche, Politik und Gesellschaft
Sie äußert sich nicht nur zu politischen, sondern auch zu gesellschaftlichen und kirchlichen Fragen. Der Dominikanerorden beäugt diese zur damaligen Zeit ungewöhnliche Betätigung einer Frau mehr als kritisch und bestellt sie zu seinem Generalkapitel ein. Raimund von Capua wird ihr als eine Art Aufpasser zur Seite gestellt, doch zwischen beiden entwickelt sich eine tiefe Verbindung.
Ab 1375 beginnt Katharina viel zu reisen. Zunächst begibt sie sich nach Pisa, wo sie öffentlich zum Kreuzzug aufruft, um das Heilige Land von den Muslimen zurückzuerobern. Außerdem bemüht sie sich darum, den Frieden zwischen den italienischen Staaten und dem Papst zu erhalten. Auch in dieser Zeit empfängt sie mystische Visionen und erfährt unter anderem die Stigmatisierung mit den Wundmalen Christi, die allerdings nur sie selbst sehen kann.
Sie erlangt große Popularität und wird daher von der Stadt Florenz aufgefordert, beim Papst vorzusprechen und um die Aufhebung von damals für die Stadt geltenden Restriktionen zu bitten. Katharina reist nach Avignon in Frankreich, wo damals die Päpste residierten und ist so überzeugend, dass sie Gregor XI. (1370-1378) tatsächlich dazu bewegen kann, nach Rom zurückzukehren. Es ist Katharinas Verdienst, dass damit die Krisenzeit des avignonesischen Papsttums (1309-1367/77) beendet wird.
Zur Unterstützung des Papstes nach Rom
Doch die Kirche kommt nicht aus dem Krisenmodus. Papst Gregor stirbt 1378 und mit der Wahl seines Nachfolgers Urban VI. (1378-89) und des Gegenpapstes Clemens VII. beginnt das sogenannte Große Abendländische Schisma, das erst 1417 beendet wird. Katharina bietet Papst Urban als rechtmäßig gewähltem Papst ihre Unterstützung an und begibt sich mit etwa 40 Anhängern nach Rom. Dort wohnt sie in der Nähe der Kirche Santa Maria sopra Minerva und beginnt zahlreiche Briefe zur Unterstützung Urbans zu schreiben.
Auch die meisten der bis heute überlieferten Gebete der Mystikerin stammen auf jener Krisenzeit. 1380 verschlechtert sich Katharinas Gesundheitszustand dramatisch. Dennoch nimmt sie jeden Tag den langen Fußweg zum Petersdom auf sich, um am Petrusgrab für die Kirche zu beten. Schließlich stirbt sie am 29. April in Rom. Dieser Tag ist bis heute ihr kirchlicher Gedenktag.
Wer Katharinas Grab in der Kirche Santa Maria sopra Minerva aufsucht, kann beobachten, dass diese vielseitige Frau, die 1461 heiliggesprochen wurde, auch heute noch mit vielen Menschen in reger Korrespondenz steht. Mit der Zeit hat sich der Brauch entwickelt, kleine Briefchen mit Bitten und Gebeten an Katharina auf ihrem Grab abzulegen.
Katharina hat mit ihrem bewegten Leben zwischen innigem Gebet, tätiger Nächstenliebe, großer Politik und fragwürdigen Geschlechterzuschreibungen auch heute noch vielen Menschen etwas zu sagen. Nicht umsonst hat sich die Katholische Frauengemeinschaft (kfd) den Gedenktag dieser "Predigerin der Freiheit" gewählt, um ihre Predigerinnen-Aktion durchzuführen.