Was lehrt die Bibel über den Krieg?

An den Grenzen der "Feindesliebe"

Der Krieg in der Ukraine wirft auch ethische Fragen auf. Kann die Bibel diese beantworten? Gibt es beispielsweise einen "gerechten Krieg"? Und kann man bei Präsident Putin noch über eine "Feindesliebe" sprechen? Eine Einschätzung.

Wladimir Putin / © Mikhail Klimentyev (dpa)
Wladimir Putin / © Mikhail Klimentyev ( dpa )

DOMRADIO.DE: Putin versucht, seinen Krieg damit zu rechtfertigen und zu begründen, dass das alles fair und gerecht sei. Aber gibt es so etwas wie einen gerechten Krieg überhaupt? Ist das nicht ein Widerspruch in sich?

Kristell Köhler / © Nicolas Ottersbach (DR)
Kristell Köhler / © Nicolas Ottersbach ( DR )

Kristell Köhler (Referentin für Glaubenskommunikation im Erzbistum Köln): Ja, das kann man, glaube ich, schon so sagen. Überhaupt den Begriff eines gerechten Krieges oder etwas Vergleichbares gibt es in der Heiligen Schrift, in der Bibel, eigentlich nicht. Das ist eine Vokabel, die sich wahrscheinlich erst entwickelt hat, als das Christentum auch Staatsreligion wurde. Also auch erst in der Zeit des Kaisers Konstantin.

Es gibt zwar eine Stelle in der Johannes-Offenbarung, wo irgendwie die Worte "gerecht" und "kämpfen" sehr nah beieinander auftauchen. Aber es geht da um ein großes Endzeit-Szenario und es geht um den Retter, der die feindlichen Mächte endgültig zerschlägt. Da gibt es Gerechtigkeit und Wahrheit und Treue. Aber es geht um die Stelle, wo Gott aus seiner Perspektive eingreift. Wenn Gott, der gerecht, treu und wahr ist, kämpft, dann kann es in dem Kampf etwas Gerechtes geben. Aber eben eigentlich nicht, weil wir Menschen ja doch immer sehr subjektiv unterwegs sind. Das, was für den einen ein gerechter oder fairer Krieg ist, ist es für den anderen - das erleben wir gerade - so ganz und gar nicht.

DOMRADIO.DE: Wie steht denn die Bibel ganz grundsätzlich zum Krieg? Zeigt sich das da auch schon?

Köhler: Das Wichtigste ist, glaube ich, einfach mal zu sagen, dass die Heilige Schrift, im Alten wie im Neuen Testament, immer den Frieden als den großen Wert ansieht, nicht den Krieg. Das wird da so richtig stark präsent, wo Israel plötzlich kein Staat mehr ist. Und wir merken, dass vom Frieden ganz viel die Rede ist. In Psalm 34 heißt es, der Friede wird gesucht, man jagt ihm sogar nach. Oder im Psalm 85, da heißt es "Treue, Gerechtigkeit und Frieden küssen sich". Oder, wenn wir an die Weihnachtserzählungen denken: Das, was die Engel verkünden, das ist der Friede. Und trotzdem - das haben die Menschen, die ihre Erfahrungen in der Heiligen Schrift niedergeschrieben haben, eben auch mitbekommen - ist Frieden kein Dauerzustand.

Die Schrift kennt deswegen an vielen Stellen einen Kriegszustand, vor allem im Alten Testament, weil die Menschen über die vielen Jahrtausende ihre Erfahrungen mit Gott niedergeschrieben haben. Das waren auch Tage, an denen sie im Krieg lebten. Da haben sie darüber nachgedacht. Und das finden wir dann am Ende in der Heiligen Schrift auch widergespiegelt. Wichtig ist: Der Angreifer, also der, der einen Krieg auslöst - da sind wir wieder in der heutigen Zeit - findet für sein Handeln nie eine Rechtfertigung.

Das ist dann anders, wenn ich Krieg führe, weil ich mich verteidige: meine Familie, mich selbst, meine Habe, mein Land. Interessanterweise wird dann auch nicht mehr so auf das Tötungsverbot verwiesen. Da ist der Rahmen etwas weiter gesteckt. Man könnte auch ein bisschen sagen: Die Feindesliebe hat dann ein Ende. Aber der Grundausgangspunkt ist erst mal: Der Angreifer hat niemals Recht.

Die Bibel sagt dann noch so ein bisschen was über die Ursachen von Krieg. Das ist vielleicht auch das, was wir am meisten über Krieg erfahren. Das ist natürlich die Suche nach einem neuen Wohnraum, nach Nahrung, nach einer Ausdehnung für das eigene Land. Aber eben auch diese ganzen menschlichen Dinge wie Neid und Missgunst. Wenn wir an die erste Kriegserzählung der Bibel denken, dann ist das eigentlich die Geschichte von Kain und Abel. Und da wissen wir ja auch ganz gut, wie das geendet hat.

DOMRADIO.DE: Stichwort Feindesliebe: Das ist ja eigentlich ein Prinzip, das wichtig ist im Christentum und eines, das das Christentum ausmacht. Ich muss ehrlich sagen, und das ist auch das, was ich bei vielen raus höre, dass man ja jemandem wie Putin am liebsten manchmal die Pest an den Hals wünschen würde, weil so viele Menschen wegen ihm leiden und sterben. Aber darf man ihm das wünschen? Oder müsste man ihn nicht in diesem Kontext lieben, weil er der Feind ist? Was heißt das?

Köhler: Ich glaube, einem Aggressor wie Putin die Pest an den Hals zu wünschen, ist eine ziemlich menschliche Reaktion. Ich würde deswegen auch niemanden verurteilen. Was ich daran spannend finde oder was ich im Hinterkopf vielleicht halten sollte, ist, dass ich selber aber nie derjenige bin, der Herr über Leben und Tod ist. Das ist eigentlich alleine Gott.

Und wenn ich jemandem die Pest an den Hals wünsche, dann ist das ja zum Glück erst mal ein Wunsch und nichts, was ich in die Tat umsetze. Ich kann aber als Christ diesen Mordgelüsten oder vielleicht auch Rachegedanken bewusst Ausdruck verleihen, indem ich sie an Gott wende und damit auch betend vor Gott trage: "Also eigentlich würde ich ihm doch am liebsten...".

Kristell Köhler

"Ich glaube, einem Aggressor wie Putin die Pest an den Hals zu wünschen, das ist eine ziemlich menschliche Reaktion."

Dann gebe ich aber mein Handeln auch wieder in seine Hände zurück. In den Psalmen wird das auch ganz wunderbar illustriert. Ich kann das wünschen. Besser ist es, es nicht in die Tat umzusetzen. Und gleichzeitig ist es auch ein Abgeben der Situation.

Die Feindesliebe hat an so einem Geschehen wie jetzt in der Ukraine, glaube ich, einfach ihre Grenzen, was den Anspruch angeht. Denn es geht ja darum, Gott und den Nächsten unbedingt zu lieben. Das ist auch der Ursprung der Feindesliebe. Aber wenn wir auf so eine Situation wie aktuell schauen, dann hat diese Feindesliebe trotzdem einen Anspruch, der eben formuliert wird. Dass ich nämlich am Ende auch zu einer Liebe zurückkehren kann. Auch demjenigen gegenüber, der jetzt im Moment mein Feind ist. Derjenige, der mich jetzt angreift, meine Kinder tötet, meine Häuser zerbombt, den muss ich nicht in dieser Situation lieben oder ihm auch noch den Teppich ausrollen.

Aber ich sollte bereit sein, ihm in einer anderen Situation nicht mehr nur als dem Feind zu begegnen. Es geht bei der Feindesliebe schon, wenn wir heute in so einer Situation darauf gucken, um eine langfristige Perspektive, um die Perspektive einer Versöhnung, die vielleicht wieder möglich wird. Eine Perspektive des Friedenstiftens. Da haben wir in unserer europäischen und ja auch deutschen Geschichte gute Beispiele für, wie sich das am Ende wieder Bahn brechen kann, trotz der Tatsache, dass sich da mal Gegner gegenübergestanden haben.

DOMRADIO.DE: Dann lassen Sie uns am Schluss noch kurz auf eine andere Stelle schauen. "Wenn dich jemand schlägt, dann halt ihm auch die andere Wange hin": Auch dieses Wort habe ich in den letzten Tagen oft gehört, gerade von Menschen, die gegen Waffenlieferungen an die Ukraine waren. Heißt das jetzt, dass man sich eigentlich gar nicht wehren dürfte?

Köhler: Das finde ich schwierig. Das könnte schnell darin münden, dass ich sage: "Ja, wir kapitulieren oder wir geben einfach die Städte und das Land auf." Das ist sicher nicht mitgedacht in so einer biblischen Weisung. Es geht aber vor allen Dingen darum, die Gewaltspirale zu durchbrechen und andere Alternativen zu suchen als nur den Gegenschlag. Und wenn Menschen, die gegen Waffenlieferungen sind, das als Argument bringen, dann kann ich in gewisser Weise nachvollziehen, dass sie sagen "Wir wollen, dass sich diese Spirale der Gewalt nicht weiter hochschraubt."

Und dann sind vielleicht andere Reaktionen, wie der diplomatische Weg oder Sanktionen oder auch, was wir im Moment erleben, eine zunehmende Isolation eines Aggressors, eigentlich genau die Übersetzungen von "die andere Wange hinhalten" oder "die Gewaltspirale nicht hochschrauben".

Und nicht zuletzt natürlich auch das Gebet um Frieden, das deutlich machen kann: Es gibt andere Alternativen als den Krieg, als Gewalt mit Gewalt zu beantworten. Das ist das, was eigentlich auch hinter dieser biblischen Redewendung ja ganz essenziell steht.

Das Interview führte Hannah Krewer. 

Quelle:
DR